»Sichere Qualität für ein paar Euro mehr«

Telekom erteilt Netzneutralität unverzügliche Absage

29. Oktober 2015, 20:59 Uhr | Stefan Adelmann
Timotheus Höttges und die Telekom wollen schnellstmöglich Profit aus der Aufweichung der Netzneutralität schlagen

Telekom-Chef Timotheus Höttges hat sich dafür ausgesprochen, die vor kurzem durch das EU-Parlament geschaffenen Schlupflöcher der Netzneutralität wirtschaftlich zu nutzen. Unternehmen, die eine stabile Übertragung für ihre Dienste benötigen, sollen dafür zahlen.

Erst vor wenigen Tagen hat das EU-Parlament das neue Gesetz zur Netzneutralität beschlossen (lesen Sie mehr auf Seite 23), da meldet sich auch schon der erste Netzbetreiber und will die geschaffenen Definitionslücken für seine Zwecke nutzen. Zwar hat die Deutsche Telekom noch keine konkreten Pläne vorgelegt, dass das neue Gesetz im Sinne des Bonner Konzerns ist, daran lässt Chef Timotheus Höttges aber kein Zweifel. »Schon heute ist die Qualitätsdifferenzierung im Netz längst gelernte Praxis«, so Höttges. »In Zukunft wird es eben auch die Möglichkeit geben, einen Dienst für ein paar Euro mehr in gesicherter Qualität zu buchen.« Qualitätsdifferenzierung sei keineswegs eine Revolution im Netz, sondern die natürliche Weiterentwicklung.

Mit dieser Ankündigung tritt unverzüglich ein, was viele Kritiker im Vorfeld der EU-Entscheidung befürchtet hatten. Die von der Politik geschaffenen Freiräume für sogenannte Spezialdienste, bei denen EU-Kommissar Oettinger eigentlich Gesundheitsleistungen oder Verkehrssicherheitssysteme im Sinn hatte, sollen kommerziell genutzt werden. »Das fängt bei Videokonferenzen und Online-Gaming an und geht über Telemedizin, die automatisierte Verkehrssteuerung und selbststeuernde Autos bis zu vernetzten Produktionsprozessen der Industrie«, zählt Höttges auf.

Start-ups zur Kasse

Besonders drastisch könnten die Pläne der Telekom für Start-ups und kleine Dienstleister ausfallen, deren Geschäftsmodelle hauptsächlich auf Cloud-Angeboten fußen. Zwar erklärt Höttges, die Unternehmen mit gesicherten Bandbreiten unterstützen zu wollen, um mit »großen Internetanbietern mithalten zu können.« Im gleichen Atemzug sagt er aber, dass man sich diese Dienste »im Rahmen einer Umsatzbeteiligung von ein paar Prozent« bezahlen lasse. »Das wäre ein fairer Beitrag für die Nutzung der Infrastruktur«, so der Telekom-Chef.

Ob die EU solche Geschäftsmodelle bei ihrer Definition der Spezialdienste im Sinn hatte, bleibt zu bezweifeln. Entsprechend kritisch fielen die Reaktionen auf den Vorstoß der Telekom aus, die schon ein neues »Drosselgate« heraufbeschwören. So hört Netzaktivist Mathias Schindler gar einen erpresserischen Unterton heraus und schreibt auf Twitter: »Schönes Start-up haben Sie da. Wäre doch schade, wenn da mal eine Verbindung wackeln oder abbrechen würde.«


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