Kommentar: Gartner fordert Missbrauch heraus

Der Quadrant kennt nur einen Gewinner

18. Juli 2007, 23:46 Uhr | Dr. Werner Degenhardt/wj

Gartner Magic Quadrant for User Provisioning, Identitätsmanagement, erste Jahreshälfte 2006: Für Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Consultant. Warum zu einfach auch fundamental falsch sein kann.

Der IT-Markt ist sicherlich einer der komplexesten Bereiche, in dem man Produkte kaufen und
verkaufen kann. Wenn Lösungen für Probleme gleich Millionen Euro kosten können, dann hat es Sinn,
nach Mitteln und Wegen zu suchen, die ein Unternehmen vor Fehlentscheidungen bewahren können.

Der Markt für Identitätsmanagement ist von hoch komplexen Produkten gekennzeichnet. Außerdem ist
er 2006 enorm gewachsen, und dieser Trend wird sich allen Anzeichen nach noch weiter verstärken. Es
gibt zurzeit über hundert Produkte, die sich dem Markt für Identitätsmanagement zurechnen lassen.
Hier das beste Produkt für das Unternehmen zu finden, stellt deshalb eine besondere Herausforderung
dar. Die Organisationen wiederum spüren den Druck, die Effizienz ihrer IT-Infrastruktur zu
verbessern, oder sie unterliegen gesetzlichen Regelungen und anderen Compliance-Anforderungen wie
Basel II.

Analysten sollen dem Anwender helfen

Vor diesem Hintergrund ist es die Aufgabe von Analysten, den geplagten Entscheidern in den
Unternehmen das Leben leichter zu machen. Der Gartner Magic Quadrant ist eine Erfindung, die genau
diese Erleichterung verspricht.

Hinter dem Magischen Quadranten steckt außerdem auf den ersten Blick eine geniale Idee. Er
positioniert nämlich in der Regel wenige Hersteller im Leader-Quadranten. Genau dies macht dem
Entscheider das Leben leicht: Er will den Besten im Hause haben, und da soll es eben unbedingt ein "
Leader" sein.

Die anderen Hersteller müssen sich aber eigentlich nicht als Verlierer fühlen. Sie sind immerhin
entweder "Herausforderer" oder "Visionäre" oder haben doch wenigstens eine "Nischenlösung“ im
Programm. Und wenn sie sich ein wenig anstrengen – wer weiß, vielleicht gibt es im nächsten
Quadranten schon einen Platz an der Sonne? Der Magic Quadrant kennt keinen Verlierer, aber auf
jeden Fall einen Gewinner: Gartner selbst.

Problematisch wird die Sache dann, wenn der Magic Quadrant zu Entscheidungen führt, die an den
Bedürfnissen des Unternehmens vorbei gehen.

Quadranten gefährden laufende Projekte

Beim Autor dieser Zeilen gingen Berichte darüber ein, dass Entscheider in Unternehmen
IDM-Projekte in fortgeschrittenem Stadium aufgehalten haben, weil die IT-Abteilung mit einem
Produkt arbeitete, das nicht als Leader im Magic Quadrant for User Provisioning ausgewiesen war.
Interessant dabei ist, dass die IT-Abteilung mit einem Produkt gearbeitet hatte, das im
vorhergehenden Quadranten (Meta-Directory) als Leader ausgewiesen war.

Was ist daran falsch? Wenn man den speziellen Fall kennt, alles. Wenn man den speziellen Fall
nicht kennt, dann auch.

Falsch daran ist zunächst einmal, dass es Magic Quadrants für Produkte gibt, die viel zu komplex
sind, als dass man sie ohne Augenzwinkern in einen Magic Quadrant pferchen könnte. Jeder der
Hersteller könnte Leader werden, je nachdem, welcher Produktaspekt als Leitaspekt definiert
wird.

Falsch daran ist auch, dass es Entscheider gibt, die einen Magic Quadrant als
Entscheidungsgrundlage benutzen und sich erst gar nicht die Mühe machen, den Text dazu zu
lesen.

Falsch daran ist schließlich noch der Aspekt, dass Gartner meint, von jeder Schuld an einem
möglichen Missbrauch eines Magic Quadrant befreit zu sein, wenn nur im Text zum Bild steht, dass "
kein Unternehmen ein Hersteller oder ein Produkt auswählen sollte, nur weil es im Leader-Quadranten
zu finden ist." Gartner glaubt, dass grundsätzlich selber schuld ist, wer dies ignoriert und
trotzdem so vorgeht.

Noch falscher muss man es nennen, dass Gartner die Magic Quadrants Herstellern gegen Entgelt für
Marketingzwecke überlässt und die Verantwortung für Fehlinterpretationen dann dem Hersteller
zuschreibt.

Ganz besonders falsch aber am Magic Quadrant ist, dass er gegen ein ganz bestimmtes Diktum von
Albert Einstein verstößt: "Make everything as simple as possible, but not simpler (Mache alles so
einfach wie möglich, aber nicht noch einfacher)."

Undurchsichtige Methodik der Analyse

Wenn man tatsächlich erst einmal misstrauisch geworden und deshalb die begleitenden Dokumente zu
magischen Quadranten liest, kann man speziell im Beispielfall feststellen, dass die Analyse zu dünn
ist. Sie ist nicht falsch, sicher nicht. Sie ist sogar in hohem Maße kenntnisreich. Aber nirgendwo
in den Reports ist beschrieben, mit welchen Evaluationsmethoden die Analyse genau zu ihrem Urteil
gekommen ist. Da gibt es Kürzel wie ITSM, SPML, IAM, WAM, EAM, SOD, FIM, ESSO und noch viele mehr,
die eindrucksvoll unterstreichen, das der Analyst auf jeder Herstellerparty mitreden könnte. Es
findet sich aber keine Liste der Evaluationskriterien, keine Gewichtung der Kriterien und keine
Angabe über das formale Verfahren, wie das Endergebnis im Magic Quadrant schließlich zustande
gekommen ist.

Uns sind folgende formale Verfahren bekannt, auf die ein Bewertungssystem wie das von Gartner
sinnvollerweise zurückgreifen könnte:

Argumentenbilanz,

Rangfolgeverfahren, Punktbewertung,

BRR: Business Readiness Rating for Open Source,

Nutzwertanalyse und

AHP: Analytic Hierarchy Process.

Ich bin mir sicher, dass der Analyst über die Argumentenbilanz nicht hinaus gekommen ist. Wie
auch? Er hat ja weder die Zeit noch die Möglichkeit, die Aufgabeneignung der Produkte unter allen
Aspekten zu testen.

Letzten Endes muss man sagen, dass Magic Quadrants für IDM-Produkte genau diejenigen Personen
bedienen, die der Papsttheorie der Wahrheit anhängen: Glauben ist immer einfacher als zweifeln und
denken.

Gartner bedient mit Magic Quadrants für komplexe Produkte wie IDM-Produkte deshalb die falschen
Leute mit schlechten Informationen. Sicher muss jeder Geld verdienen, aber hier gilt: Bitte nicht
auf diese Weise!

Gartner relativiert sich selbst

Ein wenig versöhnen die überlebenswichtigen Feststellungen für User Provisioning und
Identity-Management-Projekte im Allgemeinen, die Gartner in den begleitenden Dokumenten
publiziert:

User-Provisioning und IdM-Projekte dürfen keinesfalls als Technologieprojekte
missverstanden werden. IdM-Projekte bedeuten und bewirken die Änderung von Geschäftsprozessen im
Unternehmen. Sie sind organisatorisch komplex und politisch.

Der Erfolg von User Provisioning und IdM-Projekten hängt fast vollständig von
der Projektvorbereitung ab, in der die Bedürfnisse und Ziele des Unternehmens und die
organisatorischen und technischen Rahmenbedingungen erhoben werden. Die Designphase nimmt in der
Regel ein Jahr oder sogar mehr in Anspruch.

Produkt und Hersteller sollten erst n a c h dem erfolgreichen Abschluss der
Designphase ausgewählt werden. Der Erfolg von User Provisioning und IdM-Projekten hängt wesentlich
von der Verfügbarkeit einer Infrastruktur von Systemintegratoren ab, auf die das Unternehmen
Zugriff hat.

Wenn Systemintegratoren in allen Projektphasen herangezogen werden
(Anforderungsanalyse, Design der Architektur, Produktauswahl, Produktimplementation) beträgt das
Verhältnis von Dienstleistungskosten zu Produktkosten etwa 6:1.

Erfolgreiche IdM-Projekte setzen erfahrene Kenntnisträger im Unternehmen
voraus, die die Komplexität des Vorhabens und die Eignung der Produktkonstellation für die Ziele
des Unternehmens abschätzen können.

Fazit

Der Nutzen der Magic Quadrants als Entscheidungsgrundlage für die Produkt- und Herstellerauswahl
wird dadurch von Gartner selbst vollkommen relativiert. Gartner sagt hier selbst, dass der Analyst
nur dann zu vernünftigen Aussagen kommen kann, wenn er weiß, wofür genau und in welchem Umfeld das
Produkt eingesetzt werden soll.

Vielleicht sollte Gartner des Magic Quadrant durch ein neues Produkt ersetzen: Durch "Rent an
Analyst"!


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