Was passiert mit dem Facebook-Nachlass?

Der Kampf ums digitale Erbe

20. Juni 2018, 11:19 Uhr | Peter Tischer
© Facebook

Die Eltern möchten den Tod der Tochter verstehen. Das Facebook-Konto des Mädchens könnte Hinweise enthalten. Aber der Konzern verwehrt den Zugriff. Jetzt steuert der Streit auf das entscheidende Urteil zu.

Mutter und Vater wollen endlich Gewissheit über die Todesumstände ihrer Tochter - aber ihre Suche nach Antworten endet an der Zugangssperre zum Facebook-Konto des Mädchens. Seit Jahren streiten die Eltern vor Gericht um Einblick in die Inhalte. An diesem Donnerstag (21. Juni) erreicht ihr Fall die höchsten Zivilrichter am Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. (Az. III ZR 183/17)

Die 15-Jährige war Ende 2012 in Berlin unter ungeklärten Umständen von einer U-Bahn erfasst worden. War es ein schlimmes Unglück? Oder wollte das Mädchen nicht mehr leben?

Wichtige Hinweise erhoffen sich die Eltern von der Facebook-Seite ihrer Tochter. Nach eigener Aussage hatten sie sich von ihr das Passwort geben lassen. Aber Facebook hat das Konto nach dem Hinweis eines Nutzers auf den Tod des Mädchens in den »Gedenkzustand« versetzt. Die Seite ist seither noch für alle Kontakte zur Erinnerung erreichbar. Sich anmelden und etwas ändern kann aber niemand mehr. Den Eltern ist damit der Zugang zu dem Account versperrt.

Die Mutter, die offiziell in dem Prozess als Klägerin auftritt, sieht es so, dass sie und ihr Mann das Facebook-Konto geerbt haben. Sie möchten die Seite einsehen können - so wie Erben nach dem Tod eines Angehörigen dessen Briefe und Tagebuch-Aufzeichnungen lesen dürfen.

Aber Facebook lässt das nicht zu. Der US-Konzern bekundet zwar Mitgefühl mit der Familie. Der »Gedenkzustand« schütze aber nicht nur die Rechte toter Nutzer, sondern auch deren Facebook-Kontakte. Diese seien davon ausgegangen, dass private Nachrichten privat bleiben.

Zu dem Streit trägt auch eine unklare Rechtslage bei. Es ist umstritten, ob digitale Inhalte vererbt werden können, die sich nicht - vergleichbar mit dem Tagebuch - ausschließlich zu Hause auf der Festplatte oder einem Datenträger befinden, sondern draußen auf einem fremden Server. Eine eindeutige Neuregelung, wie sie seit Jahren der Deutsche Anwaltverein fordert, ist bislang ausgeblieben.

Auch deshalb der langwierige Prozess, der den Eltern viel abverlangt. »Besonders schmerzlich ist für uns auch das damit verbundene lange Warten auf eine endgültige Gewissheit«, ließen sie nach dem vorerst letzten Urteil des Berliner Kammergerichts im Mai 2017 über ihren Anwalt mitteilen. Die Richter äußerten damals zwar »vollstes Verständnis« für die Situation der Eltern, sahen sich aber »rechtlich daran gehindert, diesem Ansinnen zum Erfolg verhelfen zu können«.

Knackpunkt war für den Senat das Fernmeldegeheimnis: Facebook dürfe die Konto-Inhalte nicht herausgeben, denn das - so die Argumentation - wäre nur erlaubt, wenn jeder einzelne Facebook-Freund des Mädchens dem zuvor zugestimmt hätte. Dass der Account vererbbar ist, hielten die Richter zwar für gut möglich, sie ließen die Frage aber offen.

Ein Rückschlag für die Eltern, denn zuvor hatte ihnen das Berliner Landgericht als Erben Zugang zu dem Nutzerkonto zugesprochen. Die Richter dort sahen den »Gedenkzustand« nicht als Hindernis. Sie erklärten die Facebook-Richtlinie für unwirksam, weil der Umstand, dass jeder beliebige Kontakt die Sperrung des Kontos veranlassen könne, die Erben eines toten Nutzers unangemessen benachteilige.

Nun hängt alles davon ab, welche Position die Bundesrichter beziehen. Sie können ihr Urteil direkt am Donnerstagnachmittag nach der Verhandlung oder erst zu einem späteren Termin verkünden.

Inzwischen haben Facebook-Nutzer die Möglichkeit, zu Lebzeiten einen »Nachlasskontakt« zu benennen. Diese Person darf das Konto in gewissem Umfang gestalten, sobald dieses im »Gedenkzustand« ist.


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