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Wege zur digitalen Unabhängigkeit

Wie die OSBA digitale Souveränität mitprägt

Offene Software gilt als strategisches Fundament für digitale Unabhängigkeit. Peter H. Ganten, Vorsitzender der Open Source Business Alliance, erklärt, warum Open Source mehr ist als Technik und welche politischen und wirtschaftlichen Hürden bestehen.

Autor: Diana Künstler • 1.12.2025 • ca. 4:25 Min

Open Source, Infrastruktur
© Shutterstock AI Generator – shutterstock.com

Peter H. Ganten kam in den 1990er-Jahren eher zufällig zur Open-Source-Welt. Als Psychologe an der Universität Bremen baute er ein Labor für EEG-Forschung mit auf – und setzte mangels Budget auf Linux. „Wir haben da eines der ersten Linux-Netzwerke an deutschen Universitäten aufgebaut. Mich faszinierte die internationale Community, die jenseits von Hierarchien gemeinsam Software entwickelte“, erinnert er sich im Gespräch mit connect professional.

Die Offenheit und Nachvollziehbarkeit dieser Arbeitsweise überzeugten ihn. Proprietäre Software erschien ihm unvereinbar mit wissenschaftlicher Transparenz. Noch während der New-Economy-Phase gründete er mit Venture-Kapital ein Start-Up, das an Microsoft-Alternativen arbeitete. Als die Blase platzte, folgte 2002 die Gründung von Univention – bewusst ohne Risikokapital, sondern mit „hanseatischer Kaufmannskunst“. Heute liefert Univention Identitäts- und Zugriffsmanagementlösungen für tausende Schulen,Behörden und weitere Organisationen in Deutschland und darüber hinaus.

Parallel engagierte sich Ganten in Verbänden. Aus dem Zusammenschluss kleinerer Organisationen entstand 2011 die Open Source Business Alliance (OSBA), deren Vorstand er seither leitet. Aus zunächst 100 Mitgliedern wurden rund 240 Unternehmen und Institutionen.

Digitale Souveränität als politische Agenda

2018 ergänzte die OSBA ihren Namen um den Zusatz „Bundesverband für digitale Souveränität“. Der Begriff sei strategisch gewählt, so Ganten: „Open Source ist keine technische Eigenschaft, sondern ein Möglichkeitsraum. Es geht um Nachvollziehbarkeit, geringere Abhängigkeit und Gestaltungsfähigkeit.“ Ein häufiger Irrtum sei, Open Source mit technischer Komplexität gleichzusetzen – Terminal, Kommandozeile, Nerdkultur. „Dabei kann jede Software, auch von Microsoft oder Apple, theoretisch von heute auf morgen Open Source werden, ohne dass sich technisch etwas daran ändert“, erklärt er.

Die OSBA prägte die politische Debatte um digitale Souveränität maßgeblich. Ganten selbst war 2015 Mitautor in einer Arbeitsgruppe des Nationalen IT-Gipfels, in der die ersten Definitionen erarbeitet wurden. Heute findet sich der Begriff in nahezu jeder Digitalstrategie von Bund und Ländern. „Dass digitale Souveränität inzwischen in jeder politischen Agenda vorkommt, ist ein riesiger Erfolg – auch durch unsere Arbeit.“

Zwischen geopolitischen Zyklen und Marktbarrieren

Die Umsetzung politischer Open-Source-Strategien bewertet Ganten ambivalent. Einerseits gebe es Leuchtturmprojekte wie Schleswig-Holstein, das seine Landesverwaltung konsequent auf Open-Source-Lösungen umstellt, oder Thüringen, das ebenfalls auf quelloffene Software in der Landesverwaltung setzt. „Vor zehn Jahren wäre das noch undenkbar gewesen.“

Andererseits bremsen Beharrungskräfte: Marktanteile der Big-Tech-Unternehmen von über 90 Prozent, Fachverfahren, die auf Microsoft-Produkte zugeschnitten sind, oder psychologische Effekte. „Wenn in einer Nischenlösung Probleme auftreten, heißt es sofort: Die Software ist schuld. Bei Microsoft liegt es dagegen angeblich am Nutzer.“ Für echte Veränderung brauche es klare Vorgaben: offene Schnittstellen, offene Dokumentenformate, verbindliche Durchsetzung bestehender Beschlüsse.

Auch geopolitische Entwicklungen prägen die Diskussion. Schon Trumps erste Amtszeit brachte Bewegung, Scholz habe dagegen zuletzt „alle bei Microsoft unterschreiben lassen“. Nun, mit Trump II, gewinne das Thema wieder an Fahrt. „Europa muss sich in eine Position bringen, in der es nicht erpressbar ist“, warnt Ganten. Zudem verweist er auf ein Grundmuster: „Menschen überschätzen kurzfristige Entwicklungen und unterschätzen langfristige.“ Wer die letzten 30 Jahre betrachte, sehe, dass Open Source in Bereichen wie Rechenzentren oder Automobilsoftware längst Standard geworden sei. Auch wenn Verwaltung und Office-Welt noch hinterherhinken.

Arbeitsweise, Regulierung und neue Felder

Die OSBA arbeitet heute mit zehn festangestellten Mitarbeitenden, zahlreichen Arbeitsgruppen und speziellen Foren. In Working Groups werden Positionen zu Cloud, Security, öffentlicher Beschaffung, Cyber Resilience Act oder Künstlicher Intelligenz entwickelt. Foren wie „Public Affairs“, „Sovereign Cloud Stack“ oder „Europa“ bündeln Ressourcen, finanzieren Lobbyarbeit oder treiben Standardisierung. Ein großer Teil der Arbeit sei weiter ehrenamtlich, betont Ganten. Aber genau das fördere Austausch und Kooperation. „Dieser Austausch ist oft entscheidend: Man merkt, bei den anderen Unternehmen wird auch nur mit Wasser gekocht. Oder man findet Partner für gemeinsame Angebote.“

Peter Ganten, OSBA
Peter H. Ganten, Vorstandsvorsitzender der Open Source Business Alliance und Geschäftsführer von Univention, spricht während einer Diskussionsrunde auf der CIVI/CON Anfang September 2025. Er ist überzeugt: „Wer Innovation fördert, sollte Ergebnisse offenlegen, statt sie in Schubladen verschwinden zu lassen.“
© OSBA

Die Professionalität hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. „Wir sind mit einem Budget unter 100.000 Euro und einer halben Stelle gestartet. Heute bewegen wir uns in Richtung eines jährlichen Beitragsvolumens von rund einer Million Euro und werden von Politikern aktiv angefragt, wenn Regulierungsvorhaben anstehen.“ Früher habe man überhaupt erst erklären müssen, dass mit Open Source Geld verdient werde. Heute sei die Branche als Wirtschaftsfaktor anerkannt.

Regulierungsthemen wie der Cyber Resilience Act oder die KI-Verordnung der EU sind aktuell zentrale Felder. „Viele Unternehmen haben noch gar nicht verstanden, wie relevant diese Regelwerke werden. Wir helfen, diese Themen frühzeitig auf die Agenda zu bringen.“

Neben diesen Strukturthemen richtet die OSBA den Blick auch auf Zukunftsfelder. Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Bereich KI. Ganten warnt: „KI wird zu einer Plattform wie Betriebssysteme oder Clouds. Wenn wir da keine europäischen Alternativen schaffen, laufen wir in dieselbe Abhängigkeit wie zuvor.“ In einer OSBA-Working-Group erarbeiten Mitglieder Kriterien, wie souveräne KI aussehen muss.

Auch Initiativen wie das ZenDiS (Zentrum für Digitale Souveränität) oder die Sovereign Tech Agency bewertet Ganten als wichtige Bausteine – das eine als Kompetenzzentrum für die öffentliche Hand, das andere als Förderinstrument für Lücken im Ökosystem. Trotzdem betont er: „Förderung ist gut. Aber entscheidend ist, dass Vergabeverfahren auf digitale Souveränität ausgerichtet sind. Nur wenn die öffentliche Hand im Standardfall Open Source beschafft, wächst der Markt.“ Zudem fordert er mehr Transparenz: Förderprogramme für KMU könnten etwa zusätzliche Mittel vergeben, wenn Ergebnisse offen zugänglich gemacht würden. „So verschwinden Innovationen nicht in der Schublade, sondern stärken Wirtschaft und Gesellschaft.“

Fazit: Markt statt Förderabhängigkeit

Die OSBA ist heute weit mehr als ein Fachverband: Sie ist Schnittstelle zwischen Politik, Verwaltung und Wirtschaft, Treiber von Begriffen und Konzepten und eine Plattform für Kooperation im Mittelstand. Damit prägt sie nicht nur die politische Agenda, sondern auch den Markt für Open-Source-Dienstleistungen in Deutschland und Europa. Für Ganten steht fest: „Wir brauchen digitale Souveränität dringend – für unsere Gesellschaft und für eine starke Digitalwirtschaft in Europa.“

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Die Open Source Business Alliance (OSBA) in Kürze

  • Gegründet: 2011 (Fusion von Linux-Verband und Linux Solution Group)
  • Mitglieder: ca. 240 Unternehmen – vom Mittelstand bis zu internationalen Playern wie Suse, Red Hat, Ionos, der Schwarz-Gruppe und Cariad (Volkswagen-Konzern)
  • Vorsitzender: Peter H. Ganten (CEO Univention)
  • Fokus: Politische Interessenvertretung, Arbeitsgruppen zu Cloud, Security, AI, Vergabe u. a.
  • Mitarbeitende: ca. 10 festangestellte, dazu ehrenamtliche Vorstände und Foren
  • Selbstverständnis: Bundesverband für digitale Souveränität, Treiber des Begriffs in Politik und Gesellschaft