Grenzen der Digitalsierung und Künstlichen Intelligenz

Frankensteins Erbe

30. April 2019, 16:00 Uhr | Martin Fryba

Fortsetzung des Artikels von Teil 2

Frankenstein lässt grüßen

In Stahlbehälter werden die Gehirne toter Menschen gelegt, um sie in ferner Zukunft bei entsprechend entwickelter Technologie wiederbeleben zu können. Das ist kein Science Fiktion, sondern das Angebot von Alcor.
In Stahlbehälter werden die Gehirne toter Menschen gelegt, um sie in ferner Zukunft bei entsprechend entwickelter Technologie wiederbeleben zu können. Das ist kein Science Fiktion, sondern das Angebot von Alcor.
© alcor
Digitaler Humanismus liegt bei Piper in der mittlerweile 3.Auflage vor.
Digitaler Humanismus liegt bei Piper in der mittlerweile 3.Auflage vor.
© Piper

Rationalisten, die Nida-Rümelin und Weidenfeld als Vertreter einer »starken KI«, bezeichnen, machen zwischen menschlichem Denken und Computerprozessen keinen kategorialen Unterschied. Sie glauben vielmehr, dass starke KI das Ideal der universellen, vollständig determinierten Maschine als Erklärungsmuster der Welt und des Menschen hervorbringen könne. »Starke KI ist in all ihren Varianten eine Form des Anti-Humanismus. Sie negiert sowohl die menschliche Vernunft – und damit auch die Fähigkeit, sich von Gründen leiten zu lassen – also auch die Rolle subjektiver Zustände in einem Teil der belebten Natur« (Seite 57), begründen die Autoren.

Die Reflektion über den Sinn von Technologie im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz ist überfällt. Der digitale Humanismus von Nida-Rümelin und Weidenfeld ist als Gegenentwurf zu einem alten und angesichts rasanter Fortschritte in der Entwicklung von auf quantencomputing basierenden neuronalen Netzen neu belebten Menschheitstraum zu lesen, nämlich eines Tages Unsterblichkeit in einem wie auch immer gearteten Maschinenkörper zu erlangen. Die Grenzen und Begrenzungen zu akzeptieren, allen voran die Sterblichkeit des Menschen, schließen Vertreter der transhumanistischen Bewegung aus, wie die Autoren skizzieren.

Humanoide Mischwesen, Cyborgs, kennt man längst nicht mehr nur aus Hollywoods Science Fiction-Produktionen wie RoboCop (1987 und Neuverfilmung 2014). Mittlerweile haben Startups oder »Life Extension«-Pioniere wie die Alcor Foundation in den USA aus dem (»regressiven und narzisstischen«) Wunsch, eine in Zukunft entwickelte Technologie könne das in einer Lauge konservierte Gehirn eines Menschen in einem künstlichen Körper wiederaufleben lassen, ein Geschäftsmodell gemacht.

Positive Versuche, etwa gelähmten Menschen mittels brain-computer-interface wieder zur Teilmobilität zu verhelfen, negiert der digitale Humanismus von Nida-Rümelin und Weidenfeld keinesfalls. Vor grenzüberschreitenden Ambitionen, etwa neurologischen Manipulationen, um Menschen zu bestimmten Handlungen zu veranlassen, warnen die Verfasser aber. Nietzsches Übermensch als Vorläufer des transhumanistischen Ideals, »der auf nichts und niemanden Rücksicht nehmen muss und der sich über die Herde des vermeintlichen Mittelmaßes und die Werte der Humanität hinwegsetzen kann« (Seite 197), scheint im 21. Jahrhundert nicht mehr nur ausschließlich Gegenstand fiktionaler Literatur zu sein. Frankenstein lässt - näher als je zuvor - grüßen.

Überhaupt erweist sich das Autorenduo Nida-Rümelin und Weidenfeld als Glücksfall, das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz unter ethischen Gesichtspunkten zu vermessen. Hier Julian Nida-Rümelin, der Physiker, Mathematiker und Philosoph – dort Nathalie Weidenfeld, die Kulturwissenschaftlerin und vorzügliche Kennerin der Science Fiction-Literatur und ihrer Hollywoodproduktionen: Die Co-Autorenschaft schlägt eine vorzügliche Brücke zwischen Philosophie, Technik, Naturwissenschaft und Kultur.

Das Buch braucht nicht den moralischen Zeigefinger zu heben, es muss auch nicht wie so viele andere Sachbücher platt und pauschal vor den Gefahren des Fortschritts und im speziellen der Digitalisierung warnen. Die Autoren bleiben optimistisch, was die menschliche Gestaltungskraft der digitalen Portenziale angeht. Sie sind aber skeptisch gegenüber utopischen Erwartungen.
Vor einer düsteren Welt, weil der Fortschrittsglaube weder ausreichend reflektiert noch, wo nötig, begrenzt ist, brauchen die Autoren nict zu warnen. Das tun andere für sie. Die szenischen Filmschilderungen aus der dystopischen Welt in diesem Buch sprechen für sich, ihre Ableitungen auf den Kern des jeweils beschriebenen ethischen Problems und die daraus gezogenen Schussfolgerungen haben es verdient, »Digitaler Humanismus« zu einem Buch nicht nur für Computerexperten, sondern für eine breite Leserschaft werden zu lassen. Digitalisierung geht uns schließlich alle an.


  1. Frankensteins Erbe
  2. Kein digitales Schlaraffenland
  3. Frankenstein lässt grüßen

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