Vor allem das Foto von einem Mann mit unverpixeltem Gesicht, der vor einem knieenden Polizisten steht, sorgte für Chaos. Der dazugehörige Text: »Das ist der ‚Demonstrant‘, welcher mit einem Böller einem Polizisten das Augenlich[t] nahm. Findet Ihn! Bitte teilen. Für die Ergreifung ist eine hohe fünfstellige Belohnung ausgesetzt.« Der Widerspruch der Hamburger Polizei gegen diese Fake News und der Hinweis, dass der abgebildete Mann nicht tatverdächtig sei, halfen nichts: Innerhalb nur eines Tages wurde der Facebook-Post 150.000 Mal geteilt. Weitere Varianten wurden bis zu 40.000 Mal weiterempfohlen — Hasskommentare und Aufrufe zur Lynchjustiz inklusive. Zur Verbreitung dürften auch etablierte Quellen wie »Bild Hamburg« beigetragen haben, die das Bild online stellte und den abgebildeten Mann für die Verletzungen des Polizisten verantwortlich machte. Doch nicht nur Boulevardmedien, auch Internet-Accounts von Polizeistellen beteiligten sich am digitalen Lynchmob. Der Twitter-Account der Deutschen Polizei-Gewerkschaft (DPolG) Königsbrunn veröffentlichte das Foto samt Fahndungsaufruf und konterkarierte damit die mit dem Rechtsstaat vereinbare Arbeit ihrer Hamburger Kollegen.
Sowohl Bild als auch die DPolG Königsbrunn ruderten zwar nach anschwellender Kritik zurück, doch der Schaden war bereits angerichtet. Die Richtigstellungen wurden in sozialen Medien nur zu einem Bruchteil so weit verbreitet wie die ursprünglichen Fahndungsaufrufe. Die Polizei Hamburg musste wertvolle Zeit damit verschwenden, gegen die selbsternannten Hilfssheriffs und ihren digitalen Lynchsturm anzukämpfen. Zumal das Bild nur die Spitze des Eisbergs war und viele weitere ähnliche Fahndungsaufrufe mit unverpixelten Menschen in den sozialen Netzwerken kursierten. Unabhängig davon, ob es sich dabei um die wahren Täter handelt, ist das Vorgehen schlicht illegal und behindert die Ermittlungsbehörden bei der Aufarbeitung der Krawalle.
Das Beispiel zeigt, wie wichtig Faktenchecks in Zeiten immer schnellerer News und des immer stärker werdenden Kampfes um Aufmerksamkeit werden. Wird hier in Zukunft nicht gegengesteuert, leidet vor allem einer: der Bürger.