Andererseits muss man den Broadlinern zugestehen, dass sie sich, nach dem ersten Schock, den der Siegeszug neuer Technologien und Herausforderungen im Rahmen der digitalen Transformation unter den Zwischenhändlern auslöste, erstaunlich schnell in Position brachten. Während viele VADs und Spezialisten beispielsweise ihre Reserviertheit gegenüber Cloud Computing nur sehr zögerlich aufgaben, haben die Distributionsriesen bereits entsprechende Angebote in den Markt gebracht. Martin Twickler von Exclusive Networks will dagegen »klarstellen«: »Nein, hier hat niemand zu zögerlich agiert, sondern wir mussten abwarten. Denn in Deutschland mussten erst die rechtlichen Voraussetzungen für die neuen Technologiefelder wie Cloud geschaffen werden, da hier der Datenschutz im Gesetz verankert ist.« Viele Webservices gab es nur mit US-Providern wie Amazon, führt er an, erst seit kurzem sei mit der Telekom ein gesetzeskonformer Anbieter vorhanden, mit dem auch die deutsche Distribution arbeiten könne. Auch TIM-Vorstand Jörg Eilenstein ist überzeugt: »Zu einem Value Distributor gehört auch, die Marktpotentiale in den relevanten Segmenten realistisch einzuschätzen und Trends oder neue Geschäftsmodelle zu einem Zeitpunkt und in einer Form verfügbar zu machen, die auch sinnvoll für die Partner ist.«
Am schnellsten waren auch beim Cloud Computing ohnedies dann doch einige Spezialisten am Start, wie Udo Schillings hervorhebt: »Das kann man nicht pauschalisieren. Gerade das Thema Cloud wurde von VADs entscheidend in den Channel getrieben. Wir setzen bereits seit zehn Jahren fast ausschließlich auf cloud-basierende Lösungen!« Auch der VAD Arrow, der mit »Arrowsphere« bereits im Jahr 2012 eine erste Cloud-Distribution-Plattform im Markt startete, sieht sich zu Recht als Cloud-Pionier. Deutschland-Geschäftsführer Richard Hellmeier betont die Unterschiede zu den Broadliner-Angeboten: »In Europa haben wir durch den frühen Start eine beachtliche Kundenbasis, die Arrowsphere nutzt, aufgebaut. Rund um Cloud haben wir in den letzten Jahren ein umfassendes Service- und Lösungsportfolio, inklusive Partner Enablement, Cloud Assessment und Migration, entwickelt und sehen uns hier einzigartig positioniert. Was den Mittelstand der deutschen Systemhäuser angeht, können wir bei Projekten dadurch den Lösungsansatz wesentlich besser koordinieren. Broadliner sind häufig in `Hersteller-Silos´ organisiert und können somit nicht umfassend den steigenden Projektanforderungen gerecht werden.«
Auch Distributor Westcon wird im Juli eine Cloud-Plattform einführen, wie Marianne Nickenig gegenüber CRN verrät. »Wer als Distributor weiterhin im Markt bestehen will, braucht eine überzeugende Cloud-Strategie. Aus unserer Sicht bedeutet das in erster Linie, dass wir unseren Kunden eine leistungsfähige Plattform bieten wollen, auf der sie die Cloud-Produkte unserer Herstellerpartner ordern, die Lizenzen und Leistungen managen und die entsprechenden Projekte abrechnen können«, führt sie aus. Die Plattform »Westcon BlueSky« ist unter anderem bereits in den USA, in Afrika und in Australien im Einsatz. In Deutschland startet BlueSky im Juli zunächst mit Cloud-Produkten von Microsoft, Cisco und Symantec, im Jahr sollen dann sukzessive weitere Herstellerpartner hinzukommen, erklärt Nickenig. »Natürlich wäre es uns lieber, wenn wir die Plattform schon vor einem Jahr gehabt hätten. Aber angesichts der Transformation, die mit der Einführung eines solchen Systems einhergeht, wäre das einfach nicht realistisch gewesen. Und ich glaube nicht, dass wir durch die etwas langsamere schrittweise Umsetzung gegenüber unseren Mitbewerbern ernsthaft an Boden verloren haben«, gibt sie sich überzeugt. Helge Scherff, Zentraleuropachef beim VAD Nuvias, der unter seinem Dach den Security-Spezialisten Wick Hill und den Netzwerkdistributor Zycko vereinte, beobachtet scharfsichtig: »In der Tat hat sich Cloud Computing in den letzten Jahren zu einem echten `Game Changer´ entwickelt und die VAD-Branche unter Druck gebracht. Mittlerweile gilt es, das Gesamtpaket der angebotenen Technologien stets im Hinblick auf eine integrierte Cloud-Strategie zu gestalten. Nicht zuletzt aus diesem Grund haben wir bei Nuvias einen eigenen Bereich für Cloud-Lösungen aufgebaut. Mit Karl Roe an der Spitze, einem erfahrenem Experten auf diesem Gebiet, sehen wir uns für diese Aufgaben bestens gerüstet.«
Im Übrigen haben sich durch die neuen Technologien wie Big Data, Cloud oder das Internet of Things die gewohnten Rollenverteilungen nicht geändert ist, Udo Schillings überzeugt. »Bei allen Technologien, die erklärungsbedürftig sind und ihren Einsatz im professionellen Endkundensegment finden setzen Hersteller sehr gerne auf die Mehrwerte und den Marktzugang, den VADs mitbringen, und erst ab einem gewissen Marktvolumen kommen dann die Broadliner ins Spiel«, beschreibt er die Lage. Auch TIM-Vorstand Eilenstein bekräftigt: »Wir sind nach wie vor als VAD hervorragend positioniert, um unsere Partner auch bei neuen Technologien und Prozessen optimal zu unterstützen. Gerade die schnell voranschreitende Entwicklung im IT-Bereich erfordert einen Distributor, der nicht nur liefert sondern Partner aktiv in der Geschäftsentwicklung unterstützt und beraten kann. Wir passen permanent unser Portfolio und unsere Services den Marktgegebenheiten und Anforderungen unserer Partner an. Dies ist möglich, weil wir als VAD und mit unserer Größe flexibel, schnell und effizient auf Veränderungen reagieren können.«