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Digitale Unabhängigkeit

Interview mit dem deutschen Softwareunternehmen Univention

Autor: Diana Künstler • 15.10.2025 • ca. 7:35 Min

connect professional: Wie unterstützt Univention Schulträger konkret bei der Umsetzung digital souveräner IT-Infrastrukturen? (sowohl technisch als auch beratend)
Univention: Mit unserer – zusammen mit Schulträgern entwickelten – offenen Plattform UCS@school bieten wir Schulträgern und Bundesländern die Möglichkeit, eine moderne, datenschutzkonforme und zentral verwaltbare IT für ihre Schulen aufzubauen. Basis bildet das zentrale Management aller digitalen Identitäten und deren Zugriffsrechten auf alle IT-Dienste und Ressourcen. Jeder und jede Nutzer*in bekommt einen Account und kann mit einem einzigen Passwort auf alle angebundenen Dienste komfortabel über ein Webportal zugreifen. Dabei haben wir viel Wert auf Offenheit und standardisierte Schnittstellen gelegt, die eine technische Integration von Drittlösungen besonders einfach und sicher machen. So können vorhandene Lösungen angebunden werden und die Schul-IT Schritt für Schritt um neue Lösungen erweitert werden.

Hinzu kommt die Möglichkeit, Benutzerdaten aus anderen Diensten, wie z.B. Landesverzeichnisdiensten, einfach zu importieren. Die Daten werden zwischen den Systemen – wenn gewünscht automatisiert – synchronisiert und aktuell gehalten. Das reduziert Administrationsaufwände und reduziert Fehler.

Der offene Quellcode und die Bereitstellung unter einer Open-Source-Lizenz ermöglichen die Anpassbarkeit unserer Lösungen. Das in Kombination mit der Möglicheit, UCS@school im eigenen Rechenzentrum oder als SaaS-Dienst zu nutzen, sorgt für digitale Unabhängigkeit und Selbstbestimmung.

Falls Schulträgern eigene Expertise oder personelle Ressourcen fehlen, bieten wir auch Professional-Service-Unterstützung an – durch unser eigenen Teams oder unsere zertifizierten Systemhaus-Partner.

connect professional: Welchen Stellenwert hat das Thema digitale Souveränität derzeit aus Ihrer Sicht in Schulen und Schulverwaltungen – und wie hat sich das in den letzten Jahren verändert?
Univention: Die fortschreitende Digitalisierung und der Diskurs über BigData und KI hat dafür gesorgt, dass breitere Gesellschaftsschichten besser darüber aufgeklärt sind, dass unsere Daten ein „Produkt“ sind und von anderen für wirtschaftliche Zwecke genutzt werden. Auch die DSGVO-Verordnung hat für eine Sensibilisierung gesorgt, die sich auch und besonders in den Bedarfen der Schulen und Schulverwaltungen widerspiegelt. Denn die Daten von jungen Kindern und Jugendlichen sind besonders schützenswert. Und dann kommt natürlich auch die geopolitische Lage hinzu, die uns allen die digitale Abhängigkeit von US-amerikanischen Konzernen deutlich und bedrohlich gemacht hat.

Die Corona-Pandemie hat wie ein Katalysator für die Digitalisierung des Bildungsbereichs gewirkt. Ministerien und Schulträger haben Test-Piloten in kürzester Zeit in der Fläche produktiv ausgerollt und von den Geldern des Digitalpakts 1 wurde IT-Infrastruktur ausgebaut und digitale Geräte angeschafft. Jedoch oft, ohne dass ein wirkliches Konzept dahinter stand, und sehr häufig auch, ohne Datenschutzanforderungen, Nachhaltigkeit und effizienten Einsatz zu beachten.

Das gilt es unserer Ansicht nach jetzt unbedingt nachzuholen und der Digitalpakt 2 kommt hier genau richtig.

connect professional: Wie begleiten Sie Schulträger bei der Entscheidung zwischen On-Premises-, Cloud- oder hybriden Betriebsmodellen? Gibt es bewährte Szenarien oder Empfehlungen?
Univention: Wir haben ein Team erfahrener Kollegen und Kolleginnen, das Schulträger und Kultusministerien bei der Planung der Architektur und deren technischen Implementierung begleitet. Dabei haben wir die Erfahrung gemacht, dass jedes Projekt meist sehr individuell auf die Bedürfnisse des Trägers und der Schulen angepasst werden muss. Denn regionale Faktoren wie die Anzahl und Größe der Schulen, die Verfügbarkeit von Breitband-Internet vor Ort oder die vorhandene IT-Umgebung unterscheiden sich.

Was den Betrieb der IT im eigenen Rechenzentrum, in der Cloud oder als hybride Umgebung angeht ist bei den rund 70 von uns betreuten Schulträgern und Kultusministerien die komplette Bandbreite vertreten. Während z.B. die Stadt Jena Wert darauf legt, die IT möglichst komplett im eigenen Rechenzentrum zu betreiben nutzen andere Schulträger wie z.B. die Stadt Köln zahlreiche Clouddienste, die sie über den Univention ID-Broker an UCS@school anbinden und so den Lehrenden und Lernenden eine zentralen Zugriff darauf ermöglichen. Hier ist aufgrund der fortschreitender Technologiesierung gerade viel in Bewegung da immer mehr skalierbarere Cloud-Lösuungen bereitgestellt werden, die z.B. auf Kubernetes und mit Docker laufen.

Auf jeden Fall können wir empfehlen, mit der Etablierung eines zentralen Identitätsmanagements anzufangen, den Import der Benutzer zu regeln und dann schrittweise Anwendungen anzubinden. Sinnvollerweise sollte die Administration und der Betrieb der IT möglichst weitgehend aus den Schulen geholt und zentral über den Schulträger oder das Land erfolgen. Denn Lehrkräfte sind bereits jetzt durch die vielen Aufgaben und den Personalmangel stark gefordert, da braucht es nicht auch noch die Beschäftigung mit der Schul-IT.

connect professional: Welche Rolle spielt das Identitätsmanagement als Rückgrat schulischer Digitalisierung – insbesondere im Hinblick auf Datenschutz, Skalierbarkeit und Nutzerfreundlichkeit?
Univention: Ein zentrales Identitätsmanagement mit einem dezidierten Rollen- und Rechtemodell sorgt dafür, dass allen Endnutzer*innen genau die IT-Dienste zentral bereitgestellt werden können, die sie benötigen, und der Zugriff darauf komfortabel und datenschutzkonform erfolgt. Das sorgt gleichzeitig für hohe Skalierbarkeit, da neue Dienste sehr schnell zentral bereitgestellt werden können – angefangen bei einer einzelnen Pilotschule bis hin zu allen Schulen der Stadt, des Landkreises oder sogar des Bundeslandes. Und gerade in puncto Datenschutz ist ein zentrales Identitätsmanagement – am besten auf Open-Source-Basis - unerlässlich. Es sorgt dafür, dass die sensiblen Benutzerdaten unter der eigenen Kontrolle z.B. im eigenen Rechenzentrum bleiben und die Anmeldung an Diensten über Konnektoren erfolgen kann, die nur ausgewählte und notwendige Daten der Benutzer weitergeben.

connect professional: Wie gewährleistet UCS@school Interoperabilität – z.B. bei der Anbindung von Lernplattformen, Fachverfahren oder Verwaltungslösungen?
Univention: Der Leitspruch von Univention ist „be open“. Dies bezieht sich nicht nur auf den Open-Source-Ansatz und unsere Firmenkultur, sondern auch auf die Betriebssysteme, Serverlösungen und Schulverwaltungssoftware, Lernmanagementsoftware und MDM-Lösungen.

Wir möchten unseren Kunden die freie Wahl genau der IT-Dienste und Einsatzszenarien ermöglichen, die zu ihren eigenen Bedarfen passen.

Daher sind alle unsere Lösungen so konzipiert, dass vielfältige Schnittstellen nach einem initialen Setup dafür sorgen, dass neue Dienste und Datenquellen integriert werden können.

Viele dieser Schnittstellen wurden gemeinsam mit den Entwicklern anderer Softwarelösungen konzipiert, so dass die Integration zahlreicher IT-Dienste über den Univention ID-Broker oder das Univention App Center erfolgen kann und der gesamte Datenfluss automatisch vorkonfiguriert werden kann.

connect professional: Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Lösungen auch in groß angelegten Infrastrukturen wie im Land Brandenburg langfristig skalieren und betriebssicher bleiben?
Univention: Die Landeslösung in Brandenburg ist ein gutes Beispiel dafür, wie eine vom Kultusministerium selbst entwickelte Schulverwaltungslösungen über das zentrale IdM mit anderen IT-Diensten verbunden wurde. Die IT-Architektur ermöglicht die Synchronisation der Benutzerdaten – vom Schulsekretariat bis hin zu den Daten des Bildungsministeriums - ebenso wie die zentrale Bereitstellung von Diensten, wie z.B. einen E-Mail-Account, den jede Lehrkraft in Brandenburg automatisch bei Eintritt in den Lehrdienst erhält.

Als Unternehmen fokussieren wir uns auf die Funktionalität der Kerntechnologie und modernisieren diese regelmäßig. Ein Beispiel ist die Entwicklung der für den Betrieb auf Kubernetes angepassten Variante von Nubus eine wichtige Komponente von openDesk, des vom ZenDiS entwickelten Open-Source-Arbeitsplatze. Das Land Brandenburg schaut sich openDesk gerade mit großem Interesse an. Gerade erst vollzogen hat den Wechsel auf openDesk das Bildungsministerium in Baden-Württemberg für seinen digitalen Arbeitsplatz für Lehrkräfte. Die offene Struktur unserer Lösung macht solche Migrationen – anders als geschlossen Software-Stacks – relativ unkompliziert und garantiert so Nachhaltigkeit und Skalierbarkeit.

connect professional: In welchen Bereichen setzen Ihre Kunden vermehrt auf Automatisierung?
Univention: Unsere Kunden setzen zum Beispiel beim Geräte-Rollout auf Mobile-Device-Management-Lösungen unserer Partner Relution oder jamf im Apple Ökosystem. Auch die automatisierte Softwareverteilung durch die Lösung opsi der Firma uib kommt bei vielen unserer Kunden zum Einsatz.

connect professional: Wie reagieren Sie auf Anforderungen an Resilienz, Hochverfügbarkeit und Betriebskontinuität – insbesondere bei größeren Installationen auf Landes- oder Kreisebene?
Univention: Innerhalb der Kernfunktionalität unserer Lösungen Nubus und UCS sind um den Primary Node Server Backup Nodes und Replica Nodes inkludiert. Außerdem setzen wir auf Performance-sichere Debian Server als Kern unserer Lösung. Debian ist eine Linux Distribution, die von einer sehr großen Community gepflegt und laufend weiterentwickelt wird. Und nicht zuletzt sind unsere Lösungen alle zu 100% Open Source und somit frei verfügbar.

connect professional: Wie koordinieren Sie die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Schulträgern? Gibt es gemeinsame Foren, Austauschformate oder Pilotnetzwerke?
Univention: Wir laden unsere Kunden, Partner, die Wissenschaft und Politik seit vielen Jahren zum Univention Summit nach Bremen ein. Ein wichtiger Teil der Veranstaltung besteht aus Best-Practice-Präsentation von Anwendern – viele davon kommen aus dem Bildungsbereich - und bieten viel Raum für Diskussion, Austausch und Vernetzung.

Auch organisieren wir regelmäßig auf Länderebene Treffen von Schulträgern mit dem gleichen Ziel. Und natürlich vernetzen und organisieren sich die Schulträger auch ohne unsere Hilfe untereinander. Und es kommt oft vor, dass interessierte Schulträger bei Kunden von uns anrufen und sich über deren Erfahrungen in Digitalisierungsprojekten berichten lassen.

connect professional: Welche Bedeutung messen Sie europäischen Cloud-Infrastrukturen wie Gaia-X oder Sovereign Cloud für Ihre Produktstrategie und Ihre Kundenprojekte bei?
Univention: Europäische Infrastruktur-Projekte wie Gaia-X oder der Sovereign Cloud Stack (SCS) sind für unsere Produktstrategie von großer Bedeutung und wir arbeiten daran, diese Lösungen kompatibel zu machen und unseren Kunden zur Verfügung zu stellen. Und wie schon erwähnt stößt openDesk gerade auf immenses Interesse.

connect professional: Wo sehen Sie regulatorischen oder politischen Handlungsbedarf, um digitale Souveränität in der Fläche realisieren zu können?
Univention: Ganz zentral ist die Schaffung einheitlicher Standards und Richtlinien, die auch bei der Beschaffung und Ausschreibungen gesetzt sein müssen. Hier sollte außerdem Open-Source-First gelten, denn nur damit sind Herstellerunabhängigkeit, Mitbestimmung, Nachnutzung, Anpassbarkeit und Kontrolle über Daten und Prozesse gewährleistet.

Zum anderen ist eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen erforderlich, um die digitale Transformation speziell in der Schule voranzutreiben.

connect professional: Welche technologischen oder bildungspolitischen Entwicklungen beobachten Sie derzeit besonders aufmerksam – etwa im Hinblick auf KI, Plattformökonomie oder föderale Digitalstrategien?
Univention: Selbstverständlich ist KI ein sehr spannendes Thema. Im Bereich des Identitätsmanagement sehen wir insbesondere Potential in Bereich Sicherheit. KI kann helfen, mögliche Gefahren im System, die z.B. aus Accountübergriffen resultieren, frühzeitig zu erkennen und Administratoren zu warnen. Eine entsprechend trainierte, DSGVO-konforme KI kann helfen die Systemsicherheit deutlich zu stärken ohne dabei Kontrolle über das System zu haben.

Bildungspolitisch begrüßen wir die Einigung von Bund und Ländern auf den Digitalpakt 2.0, der den Ausbau der digitalen Bildungsinfrastruktur fortführen soll. Er sollte als strategische Chance genutzt werden, die digitale Infrastruktur in Schulen und Verwaltungen zukunftsfähig zu gestalten - effizient, sicher und langfristig.

Als Handlungsfelder sehen wir: Erstens die Etablierung zentral verwaltbarer Lösungen. Zweitens Fokussierung von Datenschutz und DSGVO. Drittens Nachhaltigkeit statt Einmalanschaffung und viertens Open-Source-First für digitale Unabhängigkeit und Nachnutzung.

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