Der Amazon-Standort in Winsen ist bereits zum zweiten Mal Schauplatz einer Auseinandersetzung des Etailers mit seinem Betriebsrat. Diesmal erhielt der Betriebsratsvorsitzende seine Kündigung. „Zu Recht“ fragt Rechtsanwalt Christian Solmecke. Oder will Amazon den Betriebsrat loswerden?
„Möchte Amazon den Betriebsrat loswerden?“, fragt Rechtsanwalt Christian Solmecke von der Kanzlei WBS.Legal. Hinweise dafür gibt es – und die kommen bereits zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit aus dem Amazon-Logistikzentrum in Winsen.
Beim ersten Mal ging es um die zulässige Überwachung der Arbeitnehmer mit einer Software. Nun entschied das Arbeitsgericht (ArbG) Lüneburg über die außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsvorsitzenden. Für Solmecke wirft das die Frage auf, ob Amazon gezielt Mitglieder des Betriebsrates loswerden will, oder die Kündigung im konkreten Fall sogar gerechtfertigt war.
Betroffen ist der Betriebsrat am Amazon-Standort Winsen (Luhe). Dessen Betriebsratsvorsitzender war für die Teilnahme am Deutschen Betriebsrätetag vom 8. bis 10. November 2022 mit drei weiteren Betriebsratsmitgliedern auf Kosten seines Arbeitgebers nach Bonn gereist. Am 9. November verließ er die Veranstaltung bereits am Vormittag und fuhr aus privaten Gründen nach Düsseldorf. In seinem Arbeitszeitnachweis gab er allerdings an, am 9. November einige Stunden Betriebsratsarbeit geleistet zu haben. Darin sah der Arbeitgeber Amazon einen Arbeitszeitbetrug und beantragte beim Betriebsrat die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden. Nachdem dieser die erforderliche Zustimmung nicht erteilte, beantragte der Arbeitgeber beim ArbG Lüneburg die Ersetzung der Zustimmung. Das ArbG gab dem Antrag statt (Beschl. v. 05.04.2023, Az. 2 BV 6/22).
Tiefgreifende Erschütterung des Vertrauens
Dem Betriebsratsvorsitzenden wurde vorgeworfen, nur am ersten von drei Tagen anwesend gewesen und ansonsten „ausschließlich privaten Angelegenheiten nachgegangen“ zu sein. Dass er am 9. November privat nach Düsseldorf reiste, gab er im Rahmen einer Einlassung vor Gericht zwar zu. Seine Aussage, dass er in dieser Zeit auch Betriebsratstätigkeiten nachgegangen war, stand jedoch im Widerspruch zu Äußerungen, die er gegenüber seinen Kollegen getätigt hatte. Es bestand damit der dringende Verdacht, dass der Betriebsratsvorsitzende bewusst falsche Angaben zu seiner Arbeitszeit gemacht hatte.
Das eigenmächtige vorzeitige Verlassen der Betriebsräteveranstaltung, um privaten Interessen nachzugehen sowie der Verdacht einer versuchten Täuschung über stattdessen geleistete Betriebsratstätigkeit sei laut ArbG in der Gesamtschau dazu geeignet, das Vertrauen des Arbeitgebers in seinen Arbeitnehmer tiefgreifend zu erschüttern. Aus diesem Grund nahm das Gericht das Vorliegen eines „wichtigen Grundes“ im Sinne des § 626 BGB für eine außerordentliche Kündigung an. Ob Amazon den Vorsitzenden gezielt und nur aufgrund seiner Betriebsratstätigkeit gekündigt hatte, sei zumindest im vorliegenden Fall fraglich, meint Solmecke.
Die schriftliche Begründung des Beschlusses steht noch aus. Rechtskräftig werden der Beschluss und damit auch die außerordentliche Kündigung erst, wenn keine Rechtsmittel mehr eingelegt werden können. Der Betriebsratsvorsitzende hat jedoch bereits angekündigt gegen den Beschluss vorzugehen.