Das Management der Rechenzentrumsinfrastruktur, kurz DCIM (Datacenter-Infrastructure-Management) zählt zu den wichtigsten und einflussreichsten Aufgaben in modernen Rechenzentren. Seit einigen Jahren überbieten sich verschiedene Anbieter mit Versprechungen, dazu mit ihren Tools umfassend Unterstützung zu bieten. Nutzer zeigen sich jedoch nach wie vor oft enttäuscht von den tatsächlichen Fähigkeiten dieser Softwarewerkzeuge. Im Gespräch mit der LANline erläutert Holger Nickel, Geschäftsführer von Aixpertsoft, woran dies liegt, welche Hürden den Markt hemmen und welche Fortschritte zu beobachten sind.
LANline: In DCIM-Sessions einschlägiger Veranstaltungen fällt auf, dass kaum ein Rechenzentrumsverantwortlicher ein gutes Haar an den verfügbaren DCIM-Lösungen lässt. Der Tenor lautet: Die Lösungen versprechen viel und halten wenig. Können Sie das nachvollziehen?
Nickel: Das ist absolut nachvollziehbar. Mit DCIM entstand vor wenigen Jahren ein Kunstbegriff ohne klare Definition, der versucht, vielfältige Anforderungen und Disziplinen unter einem Dach zu vereinen. In der Praxis kann jedoch kaum ein Anbieter die damit verbundenen Erwartungen erfüllen. So gibt es zwar ITK-Infrastrukturverwaltungs-, Facility- und Configuration-Management-Lösungen bereits seit den 1990er-Jahren, einen hohen Erfüllungsgrad in allen Disziplinen jedoch nicht. Hinzu kommt die extrem divergente Erwartungshaltung außerhalb des DCIM-Kerns an eine solche Lösung. Dazu gehören beispielsweise physisches und logisches Verbindungs-Management, das klassisch in einer Cable-Management-Lösung beheimatet ist, ebenso wie die Verwaltung logischer Netzstrukturen etwa für Netze, Adressen, Security etc. Und immer stärker kommen auch Service-orientierte Ansätze dazu, die traditionell üblicherweise in BSM- oder ITSM-Disziplinen zu finden sind. All diese Aufgaben zählen nicht zu einem reinrassigem DCIM. Vielen DCIM-Lösungen fehlt es entweder an Modell- und Funktionstiefe oder an geeigneten Integrationsmethoden. Wirklich ganzheitliche Ansätze gibt es kaum.
LANline: Der Markt ist offensichtlich geprägt von einerseits IT-zentrischen, andererseits Facility-zentrischen DCIM-Lösungen - beide Lager scheinen nach wie vor stark zu konkurrieren, statt aufeinander zuzugehen. Sehen Sie das ähnlich oder beobachten Sie Fortschritte?
Nickel: Es gibt erste Fortschritte, die aber eher von IT-zentrischen Systemen Richtung Facility festzustellen sind - die umgedrehte Richtung ist auch wesentlich schwerer zu realisieren, da hier tiefere Kenntnis über die Abbildung von IT-Systemen notwendig ist. Man erkennt den Schwerpunkt des jeweiligen Anbieters an seiner ursprünglichen Herkunft.
LANline: Wenn das Feld der DCIM-Aufgaben so komplex ist, warum bauen die Marktteilnehmer nicht ein Ökosystem auf, in das sich jeder über standardisierte Schnittstellen einbringen kann? In anderen IT-Bereichen ist so etwas ja durchaus üblich. Anwender hätten dann die Möglichkeit, sich passgenau für die Anforderungen in ihrem Rechenzentrum die benötigten Funktionen zusammenzustellen. Gibt es bei DCIM inzwischen entsprechende Initiativen, beziehungsweise gar Standard-Definitionen?
Nickel: Wir beobachten nun seit 25 Jahren die Versuche, sich im Configuration-Management auf einheitliche Standards zu einigen. Dies ist nicht erfolgt, und genauso wenig wird das im DCIM-Bereich der Fall sein. Allerdings muss man aufgrund der Vielschichtigkeit differenzieren. Wenn man alle Disziplinen von DCIM beziehungsweise DCIM 2.0, wie es in seiner erweiterten Form gerne genannt wird, betrachtet, so sind heute Sensoren und Systemmonitore gut über SNMP abfragbar, ITSM- und BSM-Systeme verfügen über Web-Services wie REST zum Austausch von Prozess- und Service-Daten oder auch für den Funktionsaufruf. Lediglich im Config-Umfeld bestimmen spezifische Datenmodelle die Anforderungen. Das soll heißen: Hier benötigen wir im Regelfall ein ausgeklügeltes ETL-Werkzeug (ETL = Extract, Transform, Load; d.Red.) für den Datenaustausch inklusive Transformation.
Das lässt sich sehr einfach am Beispiel der DCIM-Integration eines Mainframes verdeutlichen. In gängigen DCIM-Lösungen haben Sie zu einem Mainframe lediglich Standort und Standfläche sowie einige wenige Attribute zu Seriennummer, Stromaufnahme etc. Wenn Sie ein Rechenzentrum zu managen haben, brauchen Sie aber Informationen darüber, welche Hardware eingebaut ist, wie das System ans Netzwerk angebunden ist, welche Applikationen auf welchen logischen Einheiten laufen und einiges mehr. Da können schnell sehr viele Attribute beziehungsweise Objekte zusammen kommen. Aber nur so können Sie im Fehler- und Service-Fall reagieren. Also ist es unschätzbar, wenn Sie die Detaildaten aus der Mainframe-Management-Software auslesen können. Alternativ müssen Sie mit mehreren Systemen arbeiten - DCIM, Monitoring, Management-Konsole, Ticketsystem etc. - und verlieren im Notfall sehr viel Zeit und damit Geld, weil auf Mainframes typischerweise sehr wichtige Applikationen laufen.
LANline: Wo sehen Sie im DCIM-Ökosystem die größten Probleme? Und was müsste passieren, um die Situation für die Nutzer grundlegend zu verbessern?
Nickel: Wir fassen den Begriff DCIM-Ökosystem im "ganzheitlichen DCIM 2.0"-Ansatz und der "IT Management Landscape" zusammen. Die größten Probleme ergeben sich aus dem Fehlen der geeigneten Schnittstellen zwischen den Systemsilos und der mangelnden Funktionstiefe.
Natürlich sind Dinge wie Energieeffizienz und übersichtliche optische Darstellung wichtig, echten Nutzen zieht der Betreiber daraus jedoch nur, wenn sie in einen ganzheitlichen Ansatz eingebunden sind. Nehmen wir als typisches Beispiel einen Server-Umzug. Gängiges DCIM kann hier ein Server-System von Schrank A nach Schrank B umziehen und visualisieren.
Umzug als Testfall
Etwas bessere Lösungen erzeugen noch einen Arbeitsauftrag und stellen grafisch dar, dass eine Planung vorliegt. In der Realität ist aber beim Umzug noch viel mehr zu tun: Erzeugen eines Change-Auftrags im ITSM-System, Prüfung, Genehmigung, Information an beteiligte Endkunden, die das System nutzen, Auftrag an Logistikunternehmen, Planung und Durchführung von Patches, Planung von IP-Adressen, also IPv4 oder IPv6, Aktualisierung von Softwareständen, Umzug von logischen Netzwegen, Überprüfung der redundanten Stromanbindung, Ausrollen neuer Systemmonitore, Funktionstests, Inbetriebnahme und noch einiges mehr. Wenn das DCIM-System den Rechenzentrumsmanager bei der professionellen Kapazitäts-, Belegungs- und Umzugsplanung unterstützt, spart das sicher mehr Energie als die bloße Visualisierung von Verbräuchen.
LANline: Herr Nickel, vielen Dank für das Gespräch!
Der Autor auf LANline.de: ElCorrespondente