Die Bereitstellung von Windows-Arbeitsumgebungen aus der Cloud (Desktop as a Service, DaaS) fristete lange ein Nischendasein. Die Generalüberholung von Citrix? Virtual-Desktop-Plattform, eine VMware-Akquisition und ein neues DaaS-Angebot von Amazon Web Services (AWS) sollen dies nun ändern. Es bleiben aber Vorbehalte gegen den Bezug von Desktops aus der Cloud.Desktop as a Service ist eigentlich nichts Neues, solche Angebote gibt es seit Jahren. Allerdings galt DaaS bislang als Randerscheinung und Spielwiese von Nischenanbietern wie Desktone und Virtual Bridges. Zwar führen große Player wie IBM DaaS im Portfolio, und in Deutschland kann man Desktops als Service von diversen Anbietern wie Materna oder Pironet-NDH beziehen - auf breiter Front durchsetzen konnte sich DaaS bisher aber nicht. Zu groß waren und sind die Vorbehalte gegen das Outtasking der Arbeitsumgebungen und/oder das Cloud Computing, hinzu kommen Sorgen um die benötigte Bandbreite auf Client- oder Niederlassungsseite, um die Hochverfügbarkeit und Sicherheit, den Zwang zum "Always on" sowie - Stichwort NSA - verstärkt um die Informationssicherheit. Dennoch setzen mehrere IT-Größen auf DaaS: Citrix, VMware und neuerdings auch Amazons Cloud-Division AWS. Citrix hat dieses Jahr mit seiner Lösung Xendesktop 7 die erste Version auf Basis der neuen Plattform aus dem "Avalon"-Projekt vorgestellt. Avalon - offiziell verkündet im Mai 2012 auf der Citrix-Hausmesse Synergy - zielte darauf ab, virtualisierte Desktops und Applikationen nicht mehr nur mittels einer Virtual-Desktop-Umgebung klassischer Bauart (auf Basis von VMware ESX, Microsoft Hyper-V oder dem hauseigenen Xenserver) bereitstellen zu können. Vielmehr kann man nun Desktops wahlweise nach Bedarf aus der Cloud beziehen. Cloud-Umgebungen von AWS oder auf Cloudstack-Basis sollen so höhere Skalierbarkeit und mehr Flexibilität ermöglichen. Mit Xendesktop 7.1 kam jüngst Microsoft Azure als Option hinzu. Zu diesem Zweck hat der Client-Virtualisierungs-Marktführer die Xendesktop-Architektur grundlegend renoviert. Diese besteht nun aus vier Ebenen ("Tiers"): je eine für Self-Service, Orchestrierung, die Desktop- und Applikationsbereitstellung sowie die Cloud-Infrastruktur. Citrix betont, dass dabei lokaler Virtual-Desktop-Betrieb und DaaS-Bezug nahtlos ineinandergreifen: Ein Unternehmen könne je nach Workload den Arbeitsplatz mal im eigenen RZ, mal per Cloud bereitstellen. Im zweiten Teil von Avalon, "Projekt Merlin" genannt, sollen nun noch die Werkzeuge folgen, um den DaaS-Betrieb vollständig zu automatisieren. Damit dürfte wohl bis zur Synergy 2014 zu rechnen sein. Auch Virtualisierungsschwergewicht VMware hat kürzlich verstärktes Engagement für den DaaS-Markt bewiesen, und zwar per Akquisition des erwähnten DaaS-Spezialisten Desktone, bekanntgegeben im Oktober auf der Hausmesse VMworld in Barcelona. Sanjay Poonen, Executive Vice President und General Manager End-User Computing bei VMware, erläuterte in einem Blog-Beitrag, warum VMware den hierzulande kaum bekannten DaaS-Spezialisten übernommen hatte: Desktones Virtual-Desktop-Platform biete "eine einzigartige Architektur einschließlich Mandantenfähigkeit, Self-Service-Provisionierung, RZ-übergreifendem Management, Support für mehrere Desktop-Modelle, Rollentrennung, Grid-Skalierung und Sicherheit", so der VMware-VP. Desktone-Akquisition Desktone habe jahrelange Erfahrung und einen guten Ruf bei der hochskalierenden Bereitstellung von Desktops aus der Cloud. Virtual-Desktop-Experte Brian Madden wies in seinem Blog auf Desktones wechselhafte Geschichte hin: Gestartet als Dienstleister für andere Service-Provider, hatte sich Desktone selbst eine Zeitlang als DaaS-Anbieter versucht, um dann zum ursprünglichen Geschäftsmodell zurückzukehren. Gerade in dieser Rolle als "Providers? Provider" ist Desktone für VMware nützlich, kann doch der Konzern den laut eigenen Angaben rund 11.000 Service-Providern unter seinen 55.000 Partnern nun anbieten, ihnen den Sprung zum DaaS-Dienstleister zu erleichtern. "Die Desktone-Lösung ermöglicht es SPs, viele Verträge, die alle auf der gleichen Infrastruktur gehostet werden, leicht zu managen", kommentiert Gartner-Analyst Gunnar Berger. Allerdings basieren die virtuellen Desktops nicht auf Windows 8, sondern auf Windows Server RDSH (Remote Desktop Services Host): Jeder neue DaaS-Anwender erhält bei Desktone seinen eigenen Desktop, aber stets in Form eines zum Desktop zurechtgemachten Servers. Denn Desktone, so Analyst Berger, müsse "Microsofts strenge Richtlinien befolgen, die es untersagen, dass mehrere Organisationen die gleiche Hardware gemeinsam nutzen." Microsofts komplexe und DaaS-feindliche Lizenzpolitik gilt seit Langem als großer Bremsklotz am Siegeswagen der Cloud-basierten Desktops. Dank seiner starken Position in zahlreichen Unternehmens-RZs, seinem umfangreichen Partnernetzwerk und den nun auch in Europa im Aufbau befindlichen hauseigenen Hybrid-Cloud-Services (Vcloud Hybrid Service, VCHS) könnte VMware dem Thema DaaS einen ähnlich deutlichen Ruck geben, wie dem Anbieter dies letztes Jahr per Nicira-Übernahme mit dem Thema Virtual Networking im Data Center gelang. (Auch Nicira kannten bis zur Übernahme nur Insider.) Davon könnten dann auch andere DaaS-Anbieter profitieren, zu denen neben Global Playern wie IBM ab nächstem Jahr sicher auch diverse Citrix-Partner zählen werden. Man darf gespannt sein, ob und wie VMware die Desktone-Technik mit der hauseigenen VDI-Lösung View - aktuell in Version 5.3 mit Nvidia-Grid-Support - zusammenführen wird. Offen ist derzeit auch, wie man etwaige in hauseigenen VCHS-Data-Centern gehostete DaaS-Lösungen von Partnerangeboten abgrenzen will. Schwergewicht Amazon steigt ein Wenig später hat auch Amazon Web Services (AWS), laut Gartner mit großem Abstand Marktführer im IaaS-Markt (Infrastructure as a Service), auf seiner Hausmesse Reinvent mit Amazon Workspaces ein Angebot für Desktops as a Service vorgestellt. Damit erhalten Unternehmen "komplett verwaltete" virtualisierte Desktops als Dienstleistung aus der Cloud, Clients bietet AWS für den Zugriff per Notebook, Ipad, Android-Tablet oder Kindle Fire. Amazon betont, das hauseigene DaaS-Angebot sei nur halb so teuer wie der lokale Betrieb einer Virtual-Desktop-Infrastruktur (VDI). Amazon Workspace, Cloud-üblich für eine monatliche Abonnementgebühr zu beziehen, bietet eine in AWS-Rechenzentren gehostete Desktop-Computing-Umgebung mit persistentem Speicher sowie paketabhängiger CPU-, RAM-, Storage- und Softwareausstattung. Die Lösung soll sich laut AWS mit wenigen Mausklicks bereitstellen lassen. Verfügbar sind die vier Bundles namens Standard, Standard Plus, Performance und Performance Plus. Die Hardwareausstattung reicht von einer virtuellen CPU, 3,75 GByte RAM und 50 GByte Storage im Standardpaket bis zu zwei virtuellen CPUs, 7,5 GByte RAM und 100 GByte Storage beim Performance-Plus-Bundle. Die Plus-Bundles umfassen dann neben den Standard-Utilities (Adobe Reader und Flash, Internet Explorer, Firefox, 7-Zip sowie Java-Laufzeitumgebung) auch Microsoft Office Professional 2010 und Trend Micros Antivirenlösung. Alle Workspaces-Bundles bieten laut AWS-Angaben eine vollwertige Windows-7-Arbeitsumgebung, allerdings auch hier auf der Basis von Windows Server 2008 R2. Die Desktop-Instanzen laufen auf AWS EC2 und bieten persistenten Storage. Für Backups nutzt Amazon seinen hauseigenen Service S3. Für die beschleunigte Übertragung der darzustellenden Desktop-Inhalte kommt Technik von Teradici zum Einsatz, die auch VMware für sein VDI-Angebot nutzt. Amazon Workspaces ist bislang allerdings nur als "Limited Preview" verfügbar. Microsoft hingegen bietet zwar mit Azure ebenfalls die Option, Desktops über RDSH zu beziehen, hält sich in Sachen DaaS bislang noch weitgehend bedeckt. DaaS-Gerüchte um Microsoft Zwar kursieren seit dem Frühjahr Gerüchte, der Softwareriese arbeite im "Projekt Mohoro" ebenfalls an einem eigenen Azure-basierten DaaS-Angebot, doch eine offizielle Ankündigung aus Redmond steht dazu bislang noch aus. Es wäre nicht das erste Mal, dass Microsoft bei neuen Trends erst mal abwartet, um dann verspätet, aber mit geballter Marktmacht zur Aufholjagd zu blasen. Ausblick Der Startschuss für den Wettlauf um die beste Position im noch jungen DaaS-Markt ist gefallen. Insbesondere durch Amazons Vorstoß könnte der DaaS-Markt deutlich Fahrt aufnehmen, hat AWS doch auch schon andere Cloud-Services "salonfähig" gemacht. Nun muss der Zauberer Merlin zeigen, was er kann. Und es wäre hilfreich, wenn die Lizenzmagier aus dem Reich Redmonds dem DaaS-Modell ein paar Stolperfallen aus dem Weg zaubern würden. Brian Maddens Kollege Gabe Knuth hat das Jahr 2014 jedenfalls schon zum "DaaS-Jahr" ausgerufen. Allerdings darf man - insbesondere mit Blick auf den deutschen Markt - diese These wohl mit einigen Fragezeichen versehen. Denn angesichts des NSA-Abhörskandals dürften hiesige Cloud-Skeptiker noch mehr zögern als früher, die Arbeitsplätze der Mitarbeiter in die Hände eines (US-)Cloud-Anbieters zu geben.
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