VDI, Terminal-Services und Thin Clients

Ein neues Zuhause für Desktops

25. März 2010, 10:10 Uhr | Dr. Wilhelm Greiner

Virtual Desktop Infrastructure (VDI), Vsphere, Xenserver, View, Xendesktop, Hyper-V, virtualisierte Applikationen, Application Streaming, Flexcast, HDX, PCoIP, TCX etc. - im Desktop-Virtualisierungsmarkt drängen sich viele konkurrierende Konzepte, Techniken, Produkte und Marketing-Begriffe. Kein Wunder, haben doch IDC- und Gartner-Analysten den virtuellen Desktops eine üppig aufblühende Zukunft vorhergesagt. Da legen sich die Anbieter kräftig ins Zeug, um sich für den Kampf um Marktanteile möglichst gut zu positionieren. LANline zeigt den Stand der Dinge auf.

Das dramatischste Duell liefern sich derzeit Citrix und VMware: Beide sind Platzhirsche in ihren
jeweiligen Kernmärkten (Server-Based Computing/SBC und Server-Virtualisierung), beide positionieren
virtuelle Desktops als logische Fortsetzung dieses Kerngeschäfts (Citrix hat sogar sein Branding
geändert und alles auf die Vorsilbe "Xen" des zugekauften Virtualisierers Xensource abgestimmt),
beide geben sich aber ebenso gerne als der Herausforderer (indem sie temporär der Argumentation des
Opponenten folgen). Und beide propagieren ihre Lösungen (Citrix Xendesktop, VMware View) als
technisch führend, wenn nicht gar als die beste Erfindung seit Toastbrot. Der direkte Wettbewerb
zeigt sich nicht nur darin, dass zwei "Vierer"-Versionen gegeneinanderstehen, sondern auch im
Timing: Citrix kündigte Xendesktop 4 am 16.11.09 an, VMware View 4 am 19.11.09.

Aber auch andere große Player sind auf den Zug aufgesprungen, vor allem Symantec, Quest,
Microsoft und Sun. Hinzu gesellen sich diverse Klein- und Spezialanbieter wie Pano Logic oder
Kaviza. Am Rande des Getümmels stehen die Thin-Client-(TC-)Anbieter (die sich freuen, dass ihr
Einzugsbereich wächst) sowie die Anhänger des klassischen SBCs (die sich fragen, ob der ganze
VDI-Rummel nicht reichlich übertrieben ist).

View 4 versus Xendesktop 4

View 4 wurde laut VMware "speziell entwickelt, um den Desktop als Service anbieten zu können".
Man will also weg vom Image, nur auf der Server-Seite zu Hause zu sein, und Virtual Desktops zum
Mainstream machen. Dazu bietet View 4 laut Hersteller ein vereinfachtes Provisioning, staffelbare
SLAs, Funktionen für Ausfallsicherheit und Disaster Recovery sowie Skalierbarkeit für Zehntausende
Benutzer. Für Compliance soll ein zentrales Management der Sicherheits-Policies und -Updates
sorgen, für den schnellen Zugriff das von Teradici erworbene Protokoll PC over IP (PCoIP), als
Softwareimplementierung oder mit Support durch Grafikchips. Zudem unterstütze View 4
Multi-Monitor-Szenarien, das Mapping von USB-Peripherie in den virtuellen Desktop, Remote Printing
(bandbreitenoptimiertes Drucken ohne lokale Treiberinstallation) sowie Single Sign-on (SSO) für
View, Terminal-Services, Blade-PCs und entfernte physische Desktops.

Auf der Server-Seite setzt VMware auf seine marktführende Plattform Vsphere (vormals ESX), für
Application Streaming (die "Live-Übertragung" von Anwendungen zum Desktop) auf das hauseigene Tool
Thinapp. Thin Provisioning mittels Linked Clones soll den Speicherbedarf der Desktop-Images im Zaum
halten, für das Profil-Management setzt VMware auf eine Partnerschaft mit RTO. Unterstützung von
Windows 7 soll noch dieses Quartal kommen. Die Option, virtuelle Desktops auch offline zu nutzen
(Offline-VDI), ist leider nach wie vor "experimentell".

Rivale Citrix bietet mit Xendesktop 4.0 eine direkt vergleichbare Lösung, betont aber aufgrund
seiner Historie als dominanter SBC-Player die Kombination und Integration des Zugriffs auf
verschiedene Back­end-Infrastrukturen wesentlich stärker: Dies sei bei Citrix nicht nur per SSO
geregelt, sondern aus einem Guss, "Flexcast" genannt. Gemeint ist der flexible Zugriff auf
virtualisierte Applikationen (so nennt Citrix SBC heute), virtuelle Desktops à la VDI, dedizierte
Blade-PCs für Power-User, gestreamte Applikationen (ähnlich VMware Thinapp) sowie lokale
virtualisierte Desktops, die auch offline zu betreiben sind. Die ersten vier Punkte beherrscht
Xendesktop bereits, für Offline-VDI will man im ersten Quartal mit den Xenclient einen
Bare-Metal-Client-Hypervisor auf den Markt bringen. Es fällt auf, dass Citrix seinen gesamten
Marktauftritt umgekrempelt hat: SBC mittels Xenapp ist, wie man sieht, als eine Variante in
Xendesktop enthalten – allerdings auch weiterhin als Standalone-Lösung verfügbar.

Wie VMware hat auch Citrix viel Arbeit ins Übertragungsprotokoll gesteckt: Der ICA-Nachfolger
heißt HDX und soll den Fernzugriff auf Multimedia-Inhalte ebenso optimieren wie die
Echtzeit-Collaboration, soll zudem USB-Redirection bieten und sogar die Arbeit an 3D-Grafiken
erlauben. Simon Crosby, CTO Virtualisierung bei Citrix, erklärte im LANline-Interview, HDX sei um
den Faktor 10 schneller als die Hardwareimplementierung von PCoIP; VMwares Virtual-Desktop-Mann
Jürgen Dick betonte uns gegenüber allerdings, die Softwareversion von PCoIP sei grundlegend
erneuert und habe mit der Hardwarevariante nur noch wenig zu tun. Wie sich die Protokolle im
Vergleich schlagen, werden Praxistests zeigen müssen.

Anders als View ist Xendesktop auf Server-Seite plattformunabhängig: Man hört immer wieder von
Projekten, die Xendesktop mit ESX/Vsphere kombinieren; zudem läuft Xendesktop natürlich mit dem
hauseigenen Xenserver, und aufgrund der engen Partnerschaft mit Microsoft überrascht auch der
Support von Hyper-V nicht. Der Self-Service-Auswahl von Applikationen dient das Portal Dazzle nach
dem Vorbild von Apples App Store.

Microsoft, Quest, Sun, Symantec

Seit Oktober bietet Microsoft mit der VDI Suite eine eigene umfassende Virtual-Desktop-Lösung
an. Zum Funktionsumfang der VDI Standard Suite zählen neben Hyper-V Server 2008 R2 als
Hypervisor-Plattform die einschlägigen System-Center-Verwaltungswerkzeuge, die
Remote-Desktop-Services (wie die Terminal-Services nun heißen) sowie die
Applikationsvirtualisierung mittels Microsoft Desktop Optimization Pack (MDOP). App-V dient dabei
als Lösung für das Application-Streaming. Die Lizenz gilt ausschließlich für VDI, in der
Premium-Variante hingegen sind auch Session-basierte Zugriffe und Microsoft Application
Virtualization for Remote Desktop Services (also SBC) mit enthalten. Für den Zugriff nutzt
Microsoft RDP, das für viele Szenarien als ausreichend erachtet wird, aber bei höheren
Performance-Ansprüchen laut Marktkennern nicht mit ICA/HDX oder PCoIP mithalten kann. Ein
RDP-Nachfolger ist offenbar in Vorbereitung.

Kurz vor Weihnachten hat Quest, seit der Übernahme von Provision Networks im Bereich Virtual
Desktops unterwegs, Version 7 seiner VDI-Lösung Vworkspace vorgestellt. Eine Pointe des
Quest-Ansatzes ist die plattformübergreifene Eignung: Die Lösung unterstützt Windows Server 2008
R2, System Center Virtual Machine Manager 2008 R2 und Parallels Virtuozzo Containers (x86 wie auch
x64), auf Client-Seite nun auch Windows 7. Vworkspace 7 beherrscht nun die automatische
Provisionierung virtueller Desktops mittels VMware Linked Clones sowie
Flash-Multimedia-Beschleunigung. Als Protokoll nutzt Quest EOP. Dabei handelt es sich, wie etwa
auch bei Wyse TCX, um eine RDP-Erweiterung.

Mit der Sun Virtual Desktop Infrastructure 3.0 setzt der Open-Source-Spezialist auf Offenheit
und Flexibilität. An Server-Plattformen unterstützt Sun neben dem hauseigenen Solaris auch Vsphere
und Hyper-V, als Gastbetriebssystem bei Nutzung der ebenfalls hauseigenen Lösung Virtualbox for VDI
3.1 neben Windows (inklusive Windows 7) auch Opensolaris, Ubuntu und Suse Linux. Sun verspricht
beim Einsatz von Sun-Servern und -Storage eine sehr hohe CPU- und Speicherauslastung. Mit den
Ultra-Thin-Clients der Serie Sun Ray ist dies der einzige VDI-Anbieter, der eigene Endgeräte
mitliefern kann. Für den Zugriff von PCs, Macs und Thin Clients auf virtuelle Desktops unterstützt
Sun neben dem proprietären Protokoll ALP auch RDP.

Symantec hat Software aus mehreren Akquisitionen zu einer Suite vereint, die VDI ebenso
beherrscht wie Application Virtualization und Application Streaming: Die Endpoint Virtualization
Suite umfasst die VDI-Lösung Workspace Corporate (akquiriert von Nsuite), Workspace Virtualization
(vormals Altiris SVS) sowie Workspace Streaming (vormals Appstream). Die Lösung bietet laut
Hersteller ein regelbasiertes Management, SSO, Remote Printing, einen Kiosk-Modus sowie Support der
Hypervisor von Citrix, VMware und Microsoft. An Protokollen unterstütze man unter anderem RDP, ICA
und PCoIP. Das Profil-Management bezieht Symantec von RTO.

Nischenanbieter

Neben den bekannten Playern gibt es im VDI-Markt zahlreiche kleinere Anbieter. Ein interessanter
Nischenanbieter ist der US-Startup Kaviza. Er bietet mit VDI-in-a-Box eine VDI-Lösung, die
erschwinglich, einfach einzurichten und gut skalierbar sein soll. Punkten will der Startup mit
mehreren Besonderheiten: Kaviza verbindet Standard-Server zu einem horizontal skalierenden Grid
ohne Single Point of Failure, neue Server erkennt das Grid automatisch. Die Lösung unterstützt auch
lokalen Speicher der Server, sodass man optional auf ein teures SAN verzichten kann. Die
Verwaltungslösung KMGR umfasst VM-Manager, Connection Broker, Load Balancing sowie
Image-Verwaltung. Auch Kaviza arbeitet mit Thin Provisioning, eine Anbindung an Active Directory
und LDAP ist ebenfalls möglich. Erhältlich ist die Lösung als Virtual Appliance für VMware ESXi,
ESX oder Hyper-V. Kaviza 2.1 unterstützt auch Clients mit Windows 7.

Applidis Fusion 4 des französischen Anbieters Systancia soll die gemeinsame Verwaltung von SBC
und VDI erleichtern. Dazu versprechen die Franzosen die zentrale Verwaltung von Servern,
Anwendungen, Softwarelizenzen und Zugangsberechtigungen aus einer Web-Konsole heraus. Applidis
Fusion 4 unterstütze alle Windows-Anwendungen und -Desktops inklusive Windows 7. Über einen
Applikationskatalog beantrage der Anwender den Zugriff auf gewünschte Anwendungen. Multimedia
(Video, Flash, DirectX) werde sowohl in virtualisierten Anwendungen wie auch in VDI-Szenarien
unterstützt, auch Scanner oder Kameras sollen sich benutzen lassen, Remote Printing sei ebenfalls
inbegriffen. Interoperabel ist Applidis Fusion laut Hersteller mit VMware ESX/ESXi sowie mit
Xenserver, Hyper-V und Novell Xen.

Dazu gesellen sich Lösungen, die ähnlich Suns Ansatz auf so genannte "Zero Clients" setzen, also
selbst das Betriebssystem in Echtzeit auf die Clients streamen. Dies erlaubt den Einsatz
ultraschlanker und somit problemlos austauschbarer Thin Clients. Eine schicke Designervariante
solcher Zero Clients führt Pano Logic im Angebot, und auch TC-Veteran Wyse bietet mit seiner "00"
-Serie solche Geräte.

Thin Clients und DaaS

Die Thin-Client-Hersteller wie Fujitsu, HP, Igel, VXL, Wyse und die zahlreichen kleineren
Anbieter (siehe Tabelle auf Seite 28) versprechen sich vom Virtual-Desktop-Hype einen Boom
beim Absatz ihrer schlanken PC-Alternativen. Denn da die Desktop als virtualisierte Instanzen im RZ
verwaltet werden, reicht für den Zugriff ein schlankes Endgerät wie eben ein TC oder, je nach
Architektur, sogar ein Zero-Client. Für die Unternehmen bedeutet dies vor allem mehr Flexibilität
bei der Auswahl ihrer Client-Hardware. Neben der reinen Hardwareleistung (die zum Beispiel für das
lokale Rendering von Multimedia-Inhalten oder Application Streaming weiter erforderlich ist) können
damit Aspekte der zentralen Verwaltung stärker in den Mittelpunkt rücken. Da viele Unternehmen Fat
Clients/PCs nur allmählich (wenn überhaupt gänzlich) abschaffen werden und ein zentrales
Client-Lifecycle-Management (CLM) oft schon eingeführt ist, bleibt der PC als Client ein wichtiger
Faktor. Diverse TC-Anbieter haben deshalb Hardware- und Softwarelösungen im Portfolio, um PCs
logisch auf TC-Verhalten einzuschränken und so den Verwaltungsaufwand gering zu halten. Aber auch
mobile Endgeräte wie Netbooks oder Smartphones wie das Iphone eignen sich immer mehr als
VDI-Endgeräte. Die Client-Landschaft dürfte also auch in einer Virtual-Desktop-Welt recht bunt
bleiben.

Fluchtpunkt der Virtual-Desktop-Konzepte ist es letztlich, den Desktop "aus der Cloud" zu
beziehen (Desktop as a Service, DaaS), so wie man heute bereits E-Mail-Konten, Speicherplatz oder
Security-Services aus der Internet-Wolke bezieht. Gemäß der von Gartner diagnostizierten "
Consumerization" dürfte auch dieser Trend aus der Consumer-Welt heraus in die Unternehmen wandern.
Erste Angebote in dieser Richtung gibt es aber bereits: So offeriert der Dortmunder IT-Spezialist
Materna seit 2009 die Migration zu Windows-7-PCs "auf Knopfdruck" mittels bei Materna gehosteter
virtueller Desktops. Maternas DaaS-Angebot nutzt Virtualisierungstechnik von Citrix (Xenapp,
Xendesktop) wie auch von VMware (Vsphere), das hauseigene Tool DX-Union dient dem Management.

? und nicht zu vergessen: SBC

Vielen erscheint der Rummel um Virtual Desktops allerdings als übertrieben. Denn die
Virtual-Desktop-Lösungen bieten weder eine Integration in bestehende IT-Management- noch in ITSM-
Plattformen (IT-Service-Management), zudem ist der zusätzliche Kosten- und Verwaltungsaufwand meist
sehr hoch: Bei individualisierbaren Virtual Desktops gilt es, eine ganze Reihe von Images und
Profilen zu pflegen (zusätzlich zu den Fat Clients), während bei nicht-individualisierbaren (also "
Pooled") Desktops wiederum häufig der Nutzen gegenüber klassischem SBC nicht ersichtlich ist. Und
mit SBC lassen sich pro Server nach wie vor deutlich mehr Anwender versorgen – Fachleute sprechen
von zehn Mal mehr Benutzern pro Server.

Dazu kommt, dass sich auch Xenapp fröhlich weiterentwickelt. Mitte Dezember gab Citrix in einem
Blog-Eintrag einen Ausblick auf die nächste Xenapp-Version: Sie soll 20 Prozent mehr User pro
Server verkraften, Logons beschleunigen und rollenbasierte Installationen ebenso bieten wie endlich
eine einheitliche Management-Konsole. Xenapp soll dann in Dazzle und App-V integriert sein, zudem
soll es neue Clients (Receiver genannt) und Plug-ins für Mac, Iphone, Android und Windows Mobile
geben. Der Wettbewerb um die Versorgung der Anwender mit zentral gehosteten Ressourcen bleibt also
ebenso spannend wie vielfältig.


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