Carrier Ethernet auf Expansionskurs

Ein Protokoll von Welt

18. Juli 2007, 23:10 Uhr | Dr. Wilhelm Greiner

Auf Carrier-Ansprüche ausgelegte Switches und Switch-Router gewinnen bei den Netzbetreibern immer deutlicher an Beliebtheit. Während der Rollout von Ethernet über Glasfaser in Europa nicht so recht vorankommt, läuft der Backhaul des hier zu Lande so verbreiteten DSL-Verkehrs immer öfter über Ethernet/IP, und manches Metronetz nutzt bereits natives Ethernet. Mit PBT (Provider Backbone Transport) liegt nun zudem ein Vorschlag für eine Ethernet-Erweiterung auf dem Tisch, die MPLS (Multiprotocol Label Switching) für manche Einsätzfälle Konkurrenz machen soll.

Die Marktforscher von Infonetics Research und der Dell’Oro Group sind sich einig: Zwar habe der
CES-Umsatz (Carrier-Ethernet-Switch) im ersten Quartal 2007 ein wenig geschwächelt, doch sei dies
lediglich ein kleiner, saisonal bedingter Dämpfer im Rahmen eines anhaltenden Siegeszugs. "Trotz
eines rückläufigen Quartals besteht die Erwartung, dass IP-Core- und -Edge-Router wie auch Carrier
Ethernet Switches innerhalb der nächsten paar Jahre ein starkes Wachstum aufweisen werden,"
prognostiziert Michael Howard, Principal Analyst bei Infonetics. Seamus Crehan, Senior Director
Carrier Ethernet Switch Research bei Dell’Oro, stimmt zu: "Wir glauben, dass der [CES-]Markt für
anhaltendes Wachstum gut positioniert ist."

So hat der Gesamtumsatz mit Service-Provider-Routern und -Switches im ersten Quartal 2007 laut
Infonetics gegenüber dem Vorquartal fünf Prozentpunkte verloren, im Vergleich zum ersten Quartal
2006 aber um zehn Prozent zugelegt. Die CES-Verkäufe konnten im Jahresvergleich sogar ein Plus von
13 Prozent verzeichnen. Als Beweggründe für das Gedeihen der Ethernet-/IP-Geräte nennt
Infonetics-Forscher Howard erstens die zahlreichen Projekte bei den Netzbetreibern zur Umstellung
auf NGNs (Next-Generation Networks) und somit auf eine IP/MPLS-Basis, zweitens das "unaufhaltsame"
Ansteigen des Datenverkehrs. Das prominenteste Beispiel für die Einführung eines NGNs liefert
derzeit wohl die British Telecom mit dem Rollout ihres 21st Century Networks. Für eskalierendes
Datenvolumen sorgen unter anderem Traffic-starke Multimedia-Sites à la Youtube und Konsorten.

Den CES-Gerätemarkt führte Cisco im ersten Quartal 2007 laut Infonetics-Berechnungen mit 63
Prozent Marktanteil an, gefolgt von der chinesischen Huawei, Siemens (seit Anfang April Teil von
Nokia Siemens Networks, NSN) sowie Nortel. Zusätzlich zur allseits vertretenen Catalyst-Familie
bietet Cisco bereits seit Jahren spezielle Geräte für Carrier-Ethernet-Szenarien: die Serie ME 3400
und ME 4900 im unteren Leistungsspektrum, den 3750 Metro und den ME 6500 am Highend. Wie von
Carrier-Ethernet-Lösungen zu erwarten, sind Ciscos ME-6500-Geräte konform mit Carrier-Anforderungen
wie NEBS und den MEF-Spezifikationen 9 und 14.

Konkurrent Foundry wiederum hat kürzlich mit dem Bigiron RX-32 einen neuen Highend-Switch für
das Enterprise vorgestellt, der laut Hersteller 3,2 TBit/s Switching-Kapazität aufweist und bis zu
128 10GbE-Ports unterstützt. Auch Foundry führt eine Carrier-optimierte Gerätefamilie im Portfolio,
die Netiron-Serie. Der Netiron MLX-32 und der Netiron XMR 32.000 nutzen nun das gleiche luftstrom-
und verkabelungsoptimierte Chassis wie der Vetter vom Bigiron-Clan. Foundrys Product Marketing
Manager Bill Ryan betonte im LANline-Interview das "starke Interesse" der Netzbetreiber an
Carrier-Ethernet. Als Beispiel verwies er auf Kabel BW, die für die Bereitstellung von
Triple-Play-Services (Daten, Sprache, Video über IP) laut Ryan 25 XMR-16-Geräte nutzen.

Eine Marktlücke im Carrier-Ethernet-Geschäft will Extreme Networks entdeckt haben: Der nur drei
Rack-Einheiten hohe, modulare Black Diamond 12802R eigne sich aufgrund kompakten Formats und
umfassender CES-Features auch für Carrier-Ethernet-Einsätze mit geringer Port-Dichte. Hierfür, so
Extreme, mussten Carrier bislang auf zu große und damit zu teure CES-Geräte oder aber auf
Enterprise-Switches zurückgreifen, die nicht alle Carrier-Features boten. Der 12802 soll nun gegen
Alcatels 7450 ESS-2 und Ciscos ME 6524 antreten.

Extreme ist neben Nortel und NSN einer der Verfechter des noch jungen Ethernet-basierten
Verfahrens Provider Backbone Transport (PBT). Nortel hatte PBT mit der und für die British Telecom
entwickelt, weshalb Scherzbolde "PBT" auch mit "Proposal for British Telecom" übersetzen. Nortel
hat PBT inzwischen bei der IEEE als Standard vorgeschlagen, wo der Ansatz als PBB-TE (Provider
Backbone Bridging with Traffic Engineering) läuft. Branchenkenner erwarten eine Ratifizierung
allerdings erst 2009. PBB-TE stützt sich neben PBB (802.1ah) auch auf 802.1ag (Connectivity Fault
Management). Zu 802.1ag läuft derzeit die Working-Group-Abstimmung, mit der Absegnung von 802.1ah
rechnet man erst 2008.

PBB-TE ergänzt PBB um die Möglichkeit, individuelle Pfade mit Verkehrsflusssteuerung vorzugeben,
statt die Traffic-Kontrolle den Ethernet-Automatismen zu überlassen. Diese Verlagerung von
Steuerungsintelligenz auf die Managementebene ähnelt der Provisionierungsweise, die traditionelle
Carrier von SDH her kennen (siehe dazu "MPLS-Konkurrenz für Metronetze?" in LANline Spezial
I/2007). PBB-TE soll SDH-Betreibern den Weg zum NGN ebnen, ohne dass diese vertraute Verfahren
aufgeben müssten. Zugleich betont man seitens Nortel, das Verfahren sei weniger komplex als MPLS.
Dessen Verfechter wiederum argumentieren, MPLS sei PBB-TE um Jahre von Entwicklungsarbeit voraus,
und PBB-TE sei für die Triple-Play- und Multicast-Verfahren, die die Carrier heutzutage anstreben,
nicht ausgelegt. Die meisten Anbieter zeigen sich zu PBB-TE allerdings ganz entspannt und
abwartend. "Wir haben PBB-TE im Auge," so Bill Ryan von Foundry, "aber wir sind in dieser Frage
ziemlich agnostisch." Denn dank der Verwendung von FPGAs (programmierbaren ASICs) könne Foundry
neue Mechanismen leicht implementieren.

Einen interessanten Ansatz für hohe Flexibilität bietet Ciena mit Flexselect und der
CN-Plattform. Diese kombiniert optischen Transport mit Layer-2-Services und MPLS. Der im Frühjahr
2007 vorgestellte CN5060 dient der Multiservice-Aggregation. Die Pointe: Cienas CN-Systeme erlauben
die einfache Migration per Softwareumschaltung.

Denn der Ethernet-Transport ist die eine Seite der Carrier-Ethernet-Medaille. Aus
Unternehmenssicht ist es vor allem interessant, dass die Dienstanbieter Ethernet-Services liefern.
Zur Auswahl stehen hier Punkt-zu-Punkt-Verbindungen (E-Line) oder Punkt-zu-Multipunkt (E-LAN),
wobei Ethernet über Glasfaser oder Kupfer geführt wird, oder aber der Carrier nutzt Pseudowires
(Circuit Emulation).

Angesichts weltweit wachsenden Bandbreitenhungers verdrängen laut Infonetics IP/MPLS- und
Ethernet-VPN-Dienste die traditionellen Anbindungsweisen via ATM und Leased Lines immer stärker.
Berechnungen der Marktforscher zufolge stieg der weltweite Umsatz mit Ethernet-Services 2006 um 65
Prozent und erreichte 9,4 Milliarden Dollar. "Auf der Basis der heute erkennbaren
Umsatzsteigerungen ist es offensichtlich, dass es weiterhin einen starken Zuwachs an neuen Nutzern
von Ethernet- und IP/MPLS-VPN-Services geben wird," so Analyst Michael Howard. Er schätzt, dass
Ethernet-Services bis 2010 um über 170 Prozent zulegen werden.

"Deutschland ist in Europa eines der führenden Länder auf dem Gebiet der Metro-
Ethernet-Services," so Michael Ritter, Vice President Business Management Ethernet Access bei Adva.
"Die Nachfrage von Unternehmensseite spielt eine zentrale Rolle für die Entwicklung von
Metro-Ethernet- Diensten." Ein Indiz für die zu erwartende Dynamik: Der Umsatz mit EADs (Ethernet
Access Devices) – also Geräten, die im Zugangsnetz für die Bereitstellung von
Carrier-Ethernet-Diensten zum Einsatz kommen – hat sich laut Infonetics 2006 verdoppelt. Bis 2010
soll sich das EAD-Geschäft mehr als vervierfachen. Am Umsatz gemessen führte 2006 Adva Optical den
EAD-Weltmarkt an, bedingt vor allem durch einen großen Vorsprung bei Glasfaser-Deployments. Advas
Flaggschiffprodukt, die Fiber Service Platform 3000, bietet im Release 8 nun eine
GMPLS-Steuerungsebene (Generalized MPLS).

In Sachen Glasfaseranbindung an das weltweite Datennetz hinkt Europa im internationalen
Vergleich allerdings hinterher, so eine Studie von Point-Topic-Analyst Vince Chook: "Zwar sind es
Europäer seit langem gewohnt, ein ‚Erste-Welt‘-Breitbandkontinent zu sein, doch dieser Status steht
kurz davor, ein Downgrade zu erfahren." Ende 2006 habe es weltweit rund 30 Millionen
FTTX-Anschlüsse (Fiber "to the X", also to the Home, Office oder Building) gegeben, ganz Europa
habe in diesem Jahr aber nur halb so viele FTTX-Neuanschlüsse getätigt wie Nordamerika, während
allein Südkorea bereits zwei Millionen FTTX-Kunden aufweise. Chooks düstere Prophezeihung: "Ohne
Glasfaser wird Europa zum digitalen Traktor auf dem Information Super-Highway."


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