In einem Kommentar erklärte Christian Reinwald, Head of Product Management and Marketing bei Reichelt Elektronik, vor Kurzem, warum es seiner Meinung nach in Unternehmen ein Umdenken bezüglich Lagerhaltung und Just-in-Time-Planung braucht.
Über Jahrzehnte hinweg haben Unternehmen ihre Lagerhaltung auf ein Minimum begrenzt. Dies geschah unter dem Credo, Kosten für die Lagerhaltung und die damit verbundene Kapitalbindung so gering wie möglich zu halten. Durch Just-in-Time-Bestellungen und -Lieferungen werden Waren genau dann angeliefert, wenn sie auch benötigt werden. Bestellmengen decken nur die derzeitige Produktion ab.
Das Vorhalten von Lagerbeständen werde in diesem System dem Lieferanten überlassen, so Reinwald weiter. Da man davon ausgeht, dass dieser am Geschäftsabschluss interessiert ist, habe dieses Modell bislang auch wunderbar funktioniert. Den Effekt sahen wir jedoch jeden Tag auf bundesdeutschen Straßen: LKWs wohin das Auge reicht. Somit wurden Autobahnraststätten oder zuweilen auch die gesamte rechte Spur zu umfunktionierten Lagerhallen.
Diese Philosophie des „Just in Time“ war aus Unternehmenssicht auch lange sinnvoll, bis die Corona-Epidemie ausbrach und die staatlichen Maßnahmen ganze Märkte im Lockdown erstarren ließen, so Reinwald. Spätestens jetzt sollten es alle verstanden haben: Just in Time sei in diesen Zeiten wie russisches Roulette. Ein Wetten auf nahtlose Lieferketten, die ohne Unterbrechungen ablaufen, kann ganze Branchen lahmlegen oder für massive Umsatzeinbrüche sorgen.
Eine Umfrage von Reichelt Elektronik bestätige: 95 Prozent der produzierenden Unternehmen berichten seit Beginn der Pandemie von Produktionsstillständen aufgrund von Lieferengpässen. Im Schnitt konnte 35 Tage lang nicht produziert werden, was zu Verlusten von durchschnittlich rund einer Million Euro geführt hat. Ein Blick auf die Automobilindustrie hierzulande und hinter die Kulissen des aktuellen globalen Chipmangels dürfte auch dem letzten Zweifler die Augen öffnen, so Reinwald.
Doch was ist mit dem Argument der Kapitalbindung? Zweifelsohne ist es eine Investition, Bauteile auf Lager vorzuhalten. Die Frage ist eine Risikoabwägung: Kostet es mehr, Bauteile zu lagern oder die Produktion aufgrund von Lieferengpässen stoppen zu müssen? Im derzeitigen Klima der steigenden Inflation und Negativzinsen müsse die Frage gestellt werden, ob es noch sinnvoll ist, große Mengen an Geld auf Konten zu lagern, oder ob diese Mittel nicht sinnvoller eingesetzt werden können.
Dass die Zentralbanken ihren Kurs auf kurze oder sogar mittelfristige Sicht ändern werden, sei nicht abzusehen. Gleichzeitig ist das Waren- und Dienstleistungsangebot gesunken. Alle Zeichen stehen für eine Investition der Kapitalmittel in dringend gebrauchte Waren.
Lange Jahre diente China westlichen Unternehmen als Werkbank der Welt, die zuverlässig Waren und Bauteile liefert. Im Zuge der Pandemie hat die Volksrepublik zum Teil drastische Maßnahmen beschlossen, die auch den internationalen Handel stark betroffen haben. Zum Beispiel werden bei Auftreten von nur einem Corona-Fall enorm wichtige Häfen aufgrund des Infektionsschutzes ohne Vorwarnung geschlossen. Dies mache es noch schwieriger, vorausschauend zu planen.
Derzeit sehen wir, so Reinwald, dass China begonnen hat, die Energieversorgung in bestimmten Regionen zu drosseln und deshalb auch produzierende Unternehmen vor Ort ihre Ware nicht wie geplant herstellen können. Wie sich die Zusammenarbeit mit China in den nächsten Jahren entwickelt, wird sich zeigen. Eines steht jedoch fest: Wer nach der Pandemie von einem „Zurück zur Normalität“ ausgehe, verschließe die Augen vor der Realität. Unternehmen müssen damit rechnen, dass Handelsbeziehungen zu wichtigen Partnerländern komplexer werden und es immer wieder zu Lieferverzögerungen kommen kann.