Mittelstand braucht bewährte Prozesse

Hilfestellung für die ITIL-Einführung

15. August 2005, 23:06 Uhr | Volker Altwasser/wg Volker Altwasser ist Senior Consultant im Bereich Business Development bei Arxes NCC.

Im Mittelstand herrscht ein unübersehbarer Nachholbedarf bei der Einführung etablierter und kosteneffizienter IT-Prozesse, wie sie ein Best-Practice-Regelwerk bietet. Eine für den Mittelstand zugeschnittene Lösung sollte einen schnellen und kostengünstigen Einstieg ermöglichen, ohne den hohen Wirkungsgrad einer komplett implementierten Lösung zu verringern, und auch für weitere Entwicklungen skalierbar bleiben.

Die IT Infrastructure Library ist ein im Umfeld der britischen Regierung entstandenes Regelwerk,
das eine umfangreiche Best-Practice-Sammlung bereitstellt und heute als De-facto-Standard gilt.
IT-Servicemanagement nach ITIL betrachtet die wichtigsten Aspekte zum Management der IT-Services.
ITIL beinhaltet Aussagen zur Strategie, zu ihrer Umsetzung in den Prozessen und ihre Wirkung auf
Mitarbeiter und Kunden. So genannte "Key Performance Indicators" (zentrale Leistungsparameter)
schaffen Transparenz. Sie erlauben es, hochkomplexe Betriebssituationen ausgerichtet an den
Geschäftszielen eines Unternehmens nachvollziehbar zu steuern und zu managen. Die IT-Organisationen
der meisten Mittelständler stoßen oft an ihre Grenzen, wenn es die erforderlichen komplexen
Prozesse in einfache und kostenoptimierte Services umzusetzen gilt, deren Einhaltung SLAs (Service
Level Agreements) garantieren. Selten ergreifen sie von selbst gegenüber dem Management die
Initiative, sondern entwickeln ihre IT-Abteilung organisch gemäß den Anforderungen der
Unternehmensleitung.

Diese Vorgehensweise hat womöglich in der Vergangenheit funktioniert, selbst wenn der Vergleich
mit Best Practices ein vielfach signifikantes Optimierungspotenzial bezüglich Kosten und Qualität
der Services offen legt. Doch heute ist die IT ein unternehmenskritisches Produktionsmittel, dessen
Zustand sich in wachsendem Maße auf die Konkurrenzfähigkeit des Gesamtunternehmens auswirkt – nicht
nur in betriebswirtschaftlicher Hinsicht.

Das IT-Wissen kleinerer Unternehmen konzentriert sich zudem meist nur in wenigen Köpfen. Diese
Mitarbeiter sind zudem eher Generalisten als Spezialisten. Verlassen sie das Unternehmen, ist der
von ihnen aufrechterhaltene Service gefährdet. Eine Vertreterregelung besteht zumeist nur auf dem
Papier, da viel Spezialwissen undokumentiert bleibt.

Der Mittelstand steht vor den Herausforderungen großer Konzerne. Eine Best-Practice-Sammlung wie
ITIL schafft hier klare Prozeduren, Verantwortungen und Schnittstellen, die unabhängig vom Wissen
Einzelner sind und im Unternehmen verbleiben. Damit ist ein solches Regelwerk im Mittelstand ebenso
notwendig wie bei Konzernen, denn beide stehen vor denselben Herausforderungen: Die Mittelständler
brauchen die gleichen Services wie die Großen – etwa so, wie eine Kleinstadt dieselben
Grundfunktionen für seine Bürger vorzuhalten hat wie eine Großstadt. Die Organisation mit
Bürgermeister und Ämtern ist in beiden Fällen sehr ähnlich, ebenso die zu erbringenden Leistungen.
Das reicht vom Sozialamt über die Zulassungsstelle bis zum Finanzamt. Nur in Ausprägung und
Komplexität unterscheiden sich die Herausforderungen.

So dringend der Mittelstand ein IT-Regelwerk benötigt, so groß sind die Probleme, die sich ihm
bei einer Einführung in den Weg stellen. Im Gegensatz zu Großunternehmen verfügt der Mittelstand
personell wie finanziell nur über eng begrenzte Ressourcen, um seine IT methodisch zu
optimieren.

Mittelstandsstrategie

Eine erfolgreiche Strategie, um auch Mittelständler in den Genuss der greifbaren Vorteile einer
prozessorientierten IT kommen zu lassen, liegt daher in der geeigneten Anpassung etablierter
Standardmethoden an die individuellen Ziele und Erfordernisse eines Unternehmens. Das alleinige
Überstülpen eines Frameworks allein bringt nur selten überhaupt einen nachhaltigen Erfolg.
Letzterer ist nur durch eine grundsätzliche Orientierung der IT-Prozesse an den Geschäftszielen und
-prozessen zu erreichen. Damit haben sich die IT-Prozesse nicht wie bisher nach den Ereignissen zu
richten, sondern an den Unternehmenszielen zu orientieren.

ITIL aber ist weder ein Rezeptbuch noch eine Bibel. Welchen positiven Effekt die Einführung
dieses Regelwerks in ein Unternehmen trägt, hängt in hohem Maße vom Mix aus standardisiertem
Vorgehen und individueller Anpassung ab. Im Mittelstand eignet sich ITIL daher nur in einer
besonders ausgeprägten Form für die Umsetzung. Die Ausprägung eines Mittelstandsmodells, das den
genannten Anforderungen gerecht wird, richtet sich streng danach, welche Elemente das Management
eines Unternehmens für die Aufgaben "Führen und Steuern" tatsächlich braucht.

Eine Strategie, um die Komplexität tatsächlich zu senken, ist daher die sinnvolle Kombination
der für einen ITIL-konformen IT-Betrieb notwendigen Rollen und Prozesse. Kritisch zu hinterfragen
ist überdies, welches Maß an Wertschöpfung das ITIL-Regelwerk sowohl in seiner Breite als auch in
der Tiefe seiner Elemente erzeugt. Dabei muss ein Unternehmen berücksichtigen, auf wie viele
Ressourcen es zurückgreifen kann. Des Weiteren ist jede individuelle Lösung vor ihrer Einführung
anhand objektiver Kriterien nach dem Verhältnis von Aufwand und Ertrag zu bewerten. Daraus kann der
Mittelständler Eckpunkte für ein Anforderungsprofil von IT-Dienstleistern entwickeln. So kann er
eine qualifizierte Auswahl unter den Anbietern treffen, die er für geeignet hält, in seinem
Unternehmen ein effizientes, kostenoptimiertes IT-Framework zu etablieren, das seine
Geschäftsprozesse am besten unterstützt.

ITIL-Einführung in fünf Phasen

Das Ziel im Mittelstand ist die pragmatische, kostengünstige, aber dennoch skalierbare und
effiziente ITIL-Einführung. Dies setzt in aller Regel die Zulieferung eines fertigen und
praxiserprobten Prozessmodells voraus. Optimal wäre eine Musterlösung, die das Projektteam nur mit
geringem Aufwand modifizieren muss, ohne dass das Unternehmen nur die "Light-Version" eines
Prozessmodells erhält.

Die Implementierung selbst lässt sich in fünf Phasen darstellen (siehe Bild). Zentraler
Bestandteil hinsichtlich Funktion und Kosten und bereits erste Phase des Projekts ist ein modular
aufgebautes Prozessmodell. Der IT-Dienstleister sollte es "von der Stange" mitbringen, dennoch
sollte es an individuelle Erfordernisse anpassbar sein. Das Modell muss die Funktionen einer
vollständigen ITIL-Implementierung identifizieren, die für den Mittelstand tatsächlich notwendig
sind. Zudem zielt es darauf ab, die Komplexität des Rollenmodells zu reduzieren, ohne dass sich
wesentliche Auswirkungen auf Effektivität und Effizienz dieser Lösung ergeben. Idealerweise enthält
ein solches Prozessmodell schon Skill-Profile und Vorschläge zur Rollenverteilung. Neben der
Darstellung der Prozesse in Form von Wertschöpfungs- und ereignisgesteuerten Prozessketten
vervollständigt ein Rollen- und Dokumentenmodell sowie eine Top-Level Balanced Scorecard ein
derartiges Modell.

In der zweiten Phase analysiert der IT-Dienstleister die Geschäftsprozesse mithilfe der Process
Owners (Prozessverantwortlichen) des Unternehmens. Dann projiziert er sie vor dem Hintergrund der
Unternehmenskultur auf die benötigten Komponenten sowie Services und Arbeitsabläufe. Daraus ergeben
sich Definitionen für Ziele und Bedürfnisse; zudem offenbaren sich Problemfelder. Der Dienstleister
erhält Einblick in das IT-Know-how des Unternehmens, um es optimal und Kosten reduzierend für
folgende Phasen einzusetzen.

Die dritte Phase nimmt Anpassungen am Framework-Prototyp vor. Dazu dokumentiert der
Dienstleister die Soll-Prozesse und vergleicht sie mit den Ist-Prozessen. Bei sorgfältiger
Vorbereitung und hinreichend skalierbarem Prototyp ist mit nur geringfügigem Anpassungsaufwand zu
rechnen. Der Mittelständler kann über das Outtasking von Disziplinen entscheiden. Die Bandbreite
reicht von der Nutzung von Skaleneffekten im Einkauf bis hin zum Outsourcing des Service-Desks oder
des kompletten Rechenzentrums.

Die vierte Phase dient der Einführung des modifizierten Prozessmodells einschließlich des
Service-Level-Managements. Das Projektteam automatisiert Vorgänge und passt Systeme sowie
Dokumentationen an. Die Projektphase fünf sollte neben Coaching die Entwicklung eines
Trainingsplans für die Mitarbeiter sowie den Know-how-Transfer umfassen. Nach der Einschwingphase
ist ein Review des aktuellen Prozessstands durchzuführen. Dessen bewertete Ergebnisse bilden die
Basis für die weitere Prozessoptimierung. Review und Briefing sind Teil eines kontinuierlichen
Verbesserungskreislaufs.


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