Carrier werben für Fixed-Mobile Convergence

VoIP lernt nur langsam das Laufen

9. Mai 2007, 23:25 Uhr | Stefan Mutschler/wg

Dass Festnetz- und Mobilfunkangebote sich annähern werden, ist seit langem klar. Allein die praktische Entwicklung verlief bisher eher zögerlich. Mit der Verbreitung eines immer ausgereifteren Mobilfunks müssen auch die Festnetz-Provider ihre Rolle neu überdenken. Etablierte Carrier streiten in einem knallharten Zweifrontenkrieg, denn auch im Stammgeschäft müssen sie sich neu erfinden. Marktforscher sehen insbesondere in konvergenten Services einen riesigen Zukunftsmarkt.

Mit Sätzen wie "Festnetztelefonie ist letztlich nur ein Sonderfall der mobilen Kommunikation"
oder "Mobilfunk macht aus einem drahtgebundenen Gruppentelefon in Heim oder Firma einen
Mobil-Communicator für Individuen" vermochten Mobilfunk-Provider in ihren Anfangsjahren ihrem
Publikum ein ungläubiges Staunen zu entlocken. Wie solche Visionen in der Praxis aussehen könnten,
zeigte etwa O2 (damals noch Viag Interkom) noch deutlich vor der Jahrtausendwende mit der
Einführung seiner "Genion-"Tarife: Das Handy "emulierte" im Heimbereich ein schnurloses
Festnetztelefon, überall sonst fungierte es als Mobiltelefon. Auf der technischen Basis einer auf
zirka einen Kilometer genauen Ortungsfunktion im Mobilfunknetz entstand so ein erstes, einfaches
Konvergenzprodukt im Bereich Telefonie.

FMC für Unternehmen

Die gebührentechnisch auf eine bestimmte örtliche Basis (Heim oder Büro) bezogene Gestaltung
eines Mobilfunkvertrags ist heute nicht mehr ganz das, was die Branche unter dem Ausdruck "
Fixed-Mobile Convergence" (FMC) versteht. Eine verbindliche Definition existiert nicht, doch
flossen in den letzten Jahren verschiedene Trends in das Verständnis von FMC ein. Parallel zum
Zusammenfluss von Festnetz und Mobilfunk konvergieren im Zuge allgegenwärtiger IP-Infrastrukturen
auch der Sprach- und der Datenverkehr sowie allgemein Informationstechnik und Telekommunikation
samt zugehöriger Provider. FMC schließt inzwischen auch ganz klar die Datenkommunikation mit ein.
Im Mobilfunk als solchem ergänzt inzwischen WLAN das Spektrum im Nahbereich – künftig wird auch
noch Wimax hinzukommen. Laut Wikipedia ist das Hauptmerkmal der FMC die Mobilität von Endgeräten,
Diensten und Personen. Unter mobilen Diensten ist dabei ein Paket konsistenter Dienste zu
verstehen, das unabhängig vom Endgerät, Zugangsnetz und dem Aufenthaltsort zur Verfügung steht.
Persönliche Mobilität bedeutet dabei, dass der Teilnehmer überall unter einer Rufnummer erreichbar
ist. Dies schließt das Roaming zwischen verschiedenen Netzen mit ein.

Problemfall Roaming

Gerade Letzteres gehört allerdings noch keineswegs zum Alltag. Zwar gibt es inzwischen eine
Reihe von WLAN-/GSM- sowie WLAN-/UMTS-Dual-Mode-Telefone, doch ein unterbrechungsfreies Gespräch
ist beim Übergang aus dem WLAN- in den Mobilfunkbereich in der Regel noch nicht möglich. Allerdings
soll sich das sehr bald ändern. Wie es funktionierten könnte, hat zum Beispiel Siemens Enterprise
auf der letzten CeBIT vorgestellt: "Hipath Mobile Connect" erlaubt es, ein Gespräch via VoIP over
WLAN zu beginnen und bei zunehmender Entfernung vom WLAN-Router ohne merkliche Unterbrechung als
Mobilfunkgespräch fortzusetzen. Der "Trick", mit dem dieses Kunststückchen jetzt gelang, ist im
Grunde recht einfach: Wird die gemessene Feldstärke am WLAN-Modul schwächer, baut die Lösung ab
einem bestimmtem Schwellwert parallel eine Mobilfunkverbindung auf. Erreicht der WLAN-Empfang einen
kritischen Wert, schaltet das System unterbrechungsfrei auf die bereits aufgebaute
Mobilfunkverbindung um. Die neue Siemens-Lösung erlaubt es also, mit einem Telefon, einer Rufnummer
und einer Mailbox sowohl auf dem Unternehmensgelände über WLAN als auch außerhalb des Geländes über
das Mobilfunknetz (GSM) erreichbar zu sein und zu telefonieren.

Hipath Mobile Connect ist ein Beispiel für Konvergenzlösungen, die ein Unternehmen in
Eigenverantwortung betreibt. Service-Provider sind hier lediglich als IP-Breitbandverbindungs- und
Mobilfunklieferant involviert. Neue Provider-Lösungen, die über vertragstechnische Kombiangebote
hinausgehen, setzen auf anderer Ebene an. Zentrum ist hier meist eine integrierte IP-Plattform, ein
IMS (IP Multimedia Subsystem) wie sie zum Beispiel Alcatel-Lucent, Ericsson, Huawei oder Siemens
Mobile Networks im Angebot führen. Auch Juniper will in Kooperation mit NEC in diesem Sektor
mitmischen. Cisco hat bereits Ende 2005 angekündigt, IMS-Infrastrukturen und -Funktionen mit seinen
Routern zu unterstützen.

IMS als Basis

Auf der Grundlage von IMS können Netzbetreiber attraktive FMC-Services wie eben beispielsweise
nahtlose Übergänge zwischen unterschiedlichen Netzen (Voice Call Continuity, VCC), internetbasierte
Telefonie- und Videodienste (VoIP) sowie Multimedia-Konferenzschaltungen und Instant Messaging (IM)
anbieten. IMS ist eine standardisierte NGN-Architektur (Next Generation Networks) für TK-Carrier,
die mobile und festnetzbasierte Multimediadienste anbieten wollen. Die Architektur basiert auf
einer 3GPP-standardisierten (3rd Generation Partnership Project) Implementierung des SIP (Session
Initiation Protocol). Obwohl ursprünglich für den Mobilfunk entwickelt, wird mit dem IMS Release 7
auch Tispan (Telecoms & Internet Converged Services & Protocols for Advanced Networks) und
Festnetz unterstützt.

Einer der ersten Provider, die IMS-basierte Konvergenzlösungen in Deutschland anbieten, ist BT:
Die Lösung BT Corporate Fusion setzt das "duale VoIP" mit WLAN auf dem Betriebsgelände und GSM
außerhalb desselben in die Tat um. Die entsprechenden Dual-Mode-Geräte liefern über das zugrunde
liegende IMS gemeinsame Applikationen und Gesprächsfunktionen. Die Mitarbeiter greifen über ein
einziges Endgerät unabhängig vom Standort auf Voice-Mail, das unternehmensweite Telefonverzeichnis,
Telefonkonferenzen und andere Kommunikationsdienste zu. Durch die Umleitung mobiler Anrufe ins
Festnetz und durch die geringere Komplexität der erforderlichen Infrastruktur sollen Unternehmen
zudem ihre Kommunikationskosten senken können.

Das nahtloses Roaming, also das unterbrechungsfreie Handover von Gesprächen zwischen WLAN- und
GSM/UMTS, funktioniert hier nach dem gleichen Prinzip wie bei der Siemens-Enterprise-Lösung. Die
technische Basis dafür hält BT flexibel – auf der letzten CeBIT wurde diese Funktion etwa über
Handys der Nokia E-Serie mit einem speziellen SIP-Client von Newstep auf der einen und einem Cisco
Mobility-Server auf der anderen Seite gezeigt. Der norwegische VoIP-Provider Telio verfolgt einen
ähnlichen Ansatz. In Großbritannien bietet Truphone als einer der ersten Mobile-VoIP-Provider eine
FMC-Lösung mit Dual-Mode-WLAN- und GSM-Telefonen an. Dort steht – wie bei BT – auch die
Unterstützung von Symbian- und Windows-Mobile 5.0-Clients auf dem Plan.

Konvergenz "light"

Die größten FMC-Player in Deutschland – T-Com, Arcor, Vodafone und O2 – haben bislang allesamt
noch kein IMS in ihre Netzwerkinfrastrukturen integriert – zumindest in Deutschland.

T-Com beispielsweise hat eine IMS-Lösung letztes Jahr erst einmal nach Ungarn auf
Bewährungsprobe geschickt. Magyar Telekom betreibt dort als Telekom-Tochter ein IMS-Netz mit
kombinierten Angeboten von T-Com und T-Mobile.

O2 betont mit seinen jüngsten FMC-Lösungen den Aspekt der integrierten
Sprach-/Datenkommunikation. Dabei geht es um den mobilen Internetzugang nach dem Modell von Genion:
Wer in seiner "Stammzelle" (Heim oder Arbeitsplatz) mit UMTS-Diensten von O2 Germany versorgt ist,
vermag hier mit seinem UMTS-Handy besonders günstig im Internet zu surfen. Außerhalb dieses
Bereichs schlagen die üblichen Kosten für mobiles Surfen zu Buche. Da O2 sein UMTS-Netz derzeit
noch nicht mit dem Beschleunigungsverfahren HSDPA (High-Speed Downlink Packet Access) aufgerüstet
hat, erreicht die Übertragungsrate maximal 384 kBit/s.

Schneller geht es bei T-Mobile und Vodafone, die beide flächendeckend die HSDPA-Stufe 1 (mit 1,8
MBit/s) und größtenteils Stufe 2 (3,6 MBit/s) realisiert haben. Heute ist bereits das Wettrennen um
den Ausbau zur Stufe 3 (7,2 MBit/s) gestartet. Beide Mobilfunker bieten seit 2005 ebenfalls
Homezone-Modelle (also rund sieben Jahre später als O2), haben dabei allerdings gleich die
Datenkommunikation integriert und dadurch Nägel mit Köpfen gemacht. Bei allen drei genannten
Mobilfunkanbietern bedeutet FMC letztlich nichts anderes als Telefonieren und Surfen aus einer
Hand, wobei jeweils ein Großteil der Gebühren – mit Ausnahme der Anrufe ins Mobilfunknetz sowie ins
Ausland – in Form einer Pauschale abgegolten sind. In die gleiche Kerbe schlagen auch die
TK-/Mobilfunk-Reseller wie 1&1 oder Freenet.

Ausblick

Die FMC-Zukunft liegt eindeutig in den IMS-Konvergenzplattformen, darin sind sich die
Marktforscher einig. Doch unter den Auguren finden sich auch einige große FMC-Skeptiker. IDC sieht
zwar ein sehr hohes Wachstumspotenzial, will aber zunächst vor allem den Mittelstand besser über
den Nutzen der FMC informiert wissen. Solange die Vermittlung nicht besser funktioniere, blieben
die Wachstumsmöglichkeiten weitgehend unausgeschöpft.

Ein besonders nüchternes Bild zeichnet Ovum. Das Institut sieht in den USA bei den
WLAN-/GSM-Dual-Mode-Handys bis 2010 lediglich ein Wachstum von zwei Prozent. Auf die Ankündigung
von BT, den Fusion-Service jetzt auf Basis einer IMS-Plattform anzubieten (bisher ohne IMS und
nicht sonderlich erfolgreich), räumte Ovum immerhin ein, dass sich damit die Attraktivität solcher
Services beträchtlich erhöhe. Grund sei nicht zuletzt neben dem wesentlich höheren Nutzen für die
Anwender vor allem die Möglichkeit für Provider, flexiblere Tarifmodelle aufzusetzen. Vielleicht
entwickelt sich ja der Mobilfunk so stark – auch angetrieben durch Techniken wie Wimax – dass
klassische Festnetzangebote tatsächlich obsolet werden. Dann ist auch keine Integrationsplattform
mehr nötig. Der gesamte Sprach- /Daten- und zunehmend auch Videoverkehr wäre dann "nativ mobil". An
ein solches Szenario mögen aber derzeit allenfalls ein paar Mobilfunkvisionäre glauben.


Lesen Sie mehr zum Thema


Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu Lampertz GmbH & Co. KG

Matchmaker+