Generative KI im Gesundheitswesen: Potenziale, Hürden und strategische Anforderungen
Generative KI wird das Gesundheitswesen revolutionieren, nicht geringer ist die allgemeine Erwartungshaltung. Das Potenzial wohnt der Technologie definitiv inne, allerdings muss der Healthcare-Sektor auch für eine gewissenhafte Einführung sorgen. Eine Diagnose des Status quo.
Das Gesundheitswesen steht vor enormen Herausforderungen. Während die Zahl der Patienteninnen und Patienten mit der Bevölkerung und dem zunehmenden Alter in der Bundesrepublik steigt, schließen immer mehr Krankenhäuser und medizinische Einrichtungen. Doch ganz so dramatisch, wie diese Entwicklungen suggerieren, ist die Lage freilich nicht. Natürlich – davon berichten die Medien konstant – operiert das Gesundheitssystem in Deutschland am Limit. Dennoch sind die Kapazität und Leistungsstärke medizinischer Einrichtungen in den letzten Jahrzehnten konstant gestiegen. Ein Grund dafür ist der technologische Fortschritt. Und nun, da die Menschheit am Beginn des KI-Zeitalters steht, wird die Technologie auch aktuelle Herausforderungen im Healthcare-Sektor wie den allgegenwärtigen Fachkräftemangel sowie eben das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage nach Versorgung ausgleichen.
Ein elementarer Faktor dafür ist generative KI, wie eine aktuelle Studie von NTT Data belegt. Ganze 94 Prozent der Befragten glauben, dass generative KI (GenAI) die Produktivität im Gesundheitswesen deutlich steigern wird. Bis es soweit ist, wird allerdings noch ein wenig Zeit vergehen, denn gerade einmal 54 Prozent schätzen die aktuellen GenAI-Fähigkeiten ihrer medizinischen Einrichtung als „hoch performant“ ein. Und ein weiteres Problem tritt auf den Plan, denn Künstliche Intelligenz und entsprechende Anwendungen bedürfen einer Investition und einer sinnvollen Geschäftsstrategie, um wirklich effektiv zu sein. Nur 40 Prozent der Organisationen haben ihre GenAI- mit ihrer Geschäftsstrategie verzahnt. Die gute Nachricht: vier von fünf Healthcare-Betrieben verfügen bereits über eine GenAI-Strategie.
GenAI wird das Gesundheitswesen prägen
Der praktische Nutzen von generativer KI ist mannigfaltig. So kann generative KI etwa administrative Prozesse erheblich beschleunigen, teils sogar automatisieren. Ein konkretes Beispiel ist die Bearbeitung sogenannter Prior-Authorization-Anfragen, also die Anträge auf Kostenübernahme, die Healthcare-Dienstleister an die Krankenversicherung ihrer Patienteninnen und Patienten schicken müssen. Darunter fällt die Deckung von Kosten für medizinische Leistungen, Medikamente oder Behandlungsverfahren. Für die Abwicklung mussten bisher Behandlungsdaten manuell erhoben, Anträge ausgefüllt, anschließend von der Versicherung geprüft und bewilligt werden. Die meisten Schritte dieses langwierigen Prozesses kann generative KI bereits vollautomatisch übernehmen, wodurch laut Studie die Bearbeitungszeit mehr als halbiert werden konnte.
Auch bei der Einhaltung der strengen Datenschutz- und Compliance-Richtlinien im Gesundheitswesen kann generative KI helfen. Speziell trainierte Systeme können automatisch überwachen, dass alle Prozesse den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Dass GenAI zudem Backoffice-Workflows wie die Abrechnung, Buchhaltung und Dienstplanoptimierungen verbessern kann, ist bereits aus anderen Branchen bekannt.
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Abgesehen von diesen eher organisatorischen Vorteilen, spielt GenAI sein großes Potenzial aber auch ganz konkret bei der Verbesserung der medizinischen Versorgung aus. KI unterstützt die Erforschung und Entwicklung neuer Therapien durch die schnelle Auswertung großer Datenmengen. Laut der Studie von NTT Data beschleunigen bereits 94 Prozent der befragten Organisationen des Healthcare-Sektors ihre R&D-Prozesse durch KI. GenAI kann zudem die Effizienz klinischer Studien erhöhen, indem sie bisherige Testdesigns und Vorgänge analysiert und Verbesserungsvorschläge macht.
Prädiktive Analyse ermöglicht es Ärztinnen und Ärzten unter anderem auch, Risikopatienten frühzeitig zu erkennen und passende Präventivmaßnahmen zu entwickeln. Eine Case Study im Report zeigt, dass das betroffene Unternehmen mit Hilfe von KI rund 74 Millionen US-Dollar an Einsparungen machen konnte. Und natürlich ist generative KI auch in der Lage, konkrete Behandlungsmethoden vorzuschlagen. Doch dieses Potenzial entfaltet sich nur dann, wenn Datenqualität, technische Infrastruktur und Compliance ineinandergreifen.
Flächendeckender KI-Einsatz bleibt vorerst aus
An Daten mangelt es dem Gesundheitssystem keinesfalls, doch deren Nutzung im Kontext von generativer KI stellt medizinische Einrichtungen vor große Probleme, denn Gesundheitsdaten sind höchst sensibel. Sicherheitslücken im System sind unter allen Umständen zu vermeiden, da Datendiebstahl enorme rechtliche Konsequenzen in Form finanzieller Strafen für die Einrichtungen sowie die Verantwortlichen privat nach sich ziehen können. Doch auch das Vertrauen der Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörigen steht auf dem Spiel.
Ein großes Hemmnis für die Einführung von GenAI-Anwendungen im Gesundheitswesen ist, dass weniger als die Hälfte der von NTT Data befragten Organisationen ihre Systeme als ausreichend geschützt ansehen. Hinzu kommt, dass viele GenAI-Modelle komplex und deren Empfehlungen schwer nachvollziehbar sind. Oft fällt es medizinischen und administrativen Fachkräften schwer, die vom System getroffenen Aussagen zu prüfen. Das erschwert die Akzeptanz in der Belegschaft sowie auf Seiten der zu Behandelnden. Der Einsatz in Bereichen wie Diagnose, Therapieplanung oder Finanzverwaltung bleibt damit ein heißes Eisen und bedarf eines sehr vorsichtigen sowie streng kuratierten Vorgehens. Ein vertrauensvoller und flächendeckender Einsatz von GenAI-Anwendungen ist daher im Gesundheitswesen noch nicht vorhersehbar, auch wenn das Potenzial und der Wille vorhanden sind.
Neben diesen Herausforderungen ist auch die technische Basis entscheidend. Die Studie zeigt, dass in 91 Prozent der Organisationen veraltete Systeme die Einführung von KI-Anwendungen erschweren. Nur etwa die Hälfte bewertet ihre Datenreife zudem als ausreichend, um entsprechende Lösungen sicher, skalierbar und zuverlässig einzusetzen. Statt auf On-Premises-Ansätze zu bauen, sieht die überwiegende Mehrheit der befragten Stakeholder die Cloud als kosteneffizienteste Basis für GenAI. Ohne eine moderne Infrastruktur, skalierbare Cloud-Architekturen und ein solides Datenmanagement wird die praktische Umsetzung von GenAI-Projekten erheblich erschwert.
Ab in die Zukunft
Was also tun? Damit KI im Gesundheitswesen Akzeptanz findet, braucht es zunächst eine Vertrauensbasis. Organisationen können sie in Form eines belastbaren Governance-Frameworks erreichen, zu dem vier zentrale Prinzipien gehören:
- Transparenz und Vertrauen: Um Vertrauen in GenAI im Healthcare-Sektor zu schaffen, ist eine klare Kommunikation über deren Funktionsweise, Nutzen und Grenzen entscheidend. Mitarbeitende sollten durch gezielte Schulungen befähigt werden, die KI-Tools sicher und effizient zu nutzen. Zudem ist die kontinuierliche Einbindung von Feedback seitens der Mitarbeitenden und Patienten wichtig, um die Systeme fortlaufend zu verbessern. Ethische Aspekte wie Fairness, Bias-Vermeidung und der Schutz der Patientenautonomie müssen medizinische Einrichtungen dabei stets berücksichtigen.
- Strategie und Risikomanagement: Für einheitliche Governance-Richtlinien sind cross-funktionale Teams aus der Führungsebene, Compliance-Fachleuten und der IT-Abteilung unerlässlich. Ein umfassendes Risikomanagement-Framework hilft, potenzielle Risiken der KI frühzeitig zu identifizieren, zu bewerten und kontinuierlich zu überwachen, sodass Stakeholder Entscheidungen sicher und fundiert treffen können.
- Cybersecurity und Datenschutz: Sicherer Umgang mit sensiblen Behandlungsdaten ist essenziell. Um ihn zu gewährleisten, bedarf es mehrstufiger Datenmanagement-Strategien, in deren Zuge Legacy-Systeme abgelöst und Daten in geschützte Cloud-Infrastrukturen migriert werden. Robuste Sicherheitsmaßnahmen und strikte Protokolle gewährleisten, dass die hochsensiblen Daten vor unbefugtem Zugriff geschützt sind.
- Datenqualität: Die Implementierung von GenAI muss im Einklang mit etablierten klinischen Standards erfolgen. Eine strenge Daten-Governance stellt sicher, dass die verwendeten Daten kontinuierlich validiert, bereinigt und überwacht werden, um Genauigkeit, Vollständigkeit und Bias-Freiheit zu gewährleisten. Dies bildet die Grundlage für vertrauenswürdige und sichere KI-gestützte Entscheidungen im Gesundheitswesen.
Vertrauen als Währung der digitalen Medizin
Generative KI steht kurz davor, die Gesundheitsbranche von der Forschung über die Verwaltung bis zur ärztlichen Versorgung zu revolutionieren. Es ergibt allerdings keinen Sinn, sich nur auf das Potenzial der neuen Technologie zu konzentrieren, ohne an die praktische und vertrauenswürdige Umsetzung zu denken. Die Zukunft des Gesundheitswesens liegt nicht in der reinen Technologie, sondern in ihrer verantwortungsvollen Anwendung. Governance, Datenqualität und digitale Kompetenz sind und bleiben die Eckpfeiler einer nachhaltigen KI-Strategie, nirgends gilt das so sehr wie im Healthcare-Sektor. Nur wenn sie zusammenspielen, kann GenAI ihr Versprechen einlösen, eine bessere Versorgung und effizientere Prozesse zu schaffen sowie dem Personal mehr Zeitkontingent für Patienteninnen und Patienten zu verschaffen.