Mit dem neuen Microsoft Lync Server 2010 hat für manche ältere Telefonanlage das letzte Stündchen geschlagen. Einige Anwender nutzten bereits dessen Vorgänger, den Office Communications Server (OCS) 2007 R2, für ihre komplette Telefonie. Für die meisten Unternehmen steht der Umstieg von der klassischen TK-Anlage auf Lync erst noch an - und damit in der Regel eine längere Migrationsphase mit Parallelbetrieb von altem und neuem TK-System.Da der Lync Server als Nachfolger von OCS neben vielen anderen Kommunikationswegen jetzt alle wichtigen Funktionen einer TK-Anlage umfasst, bietet Microsoft nun auch im Telefoniemarkt eine ernsthafte Alternative zu klassischen TK-Systemen. Selbstverständlich muss solch ein Umstieg auf Lync beim Anwender gut vorbereitet sein, und oft betreiben Unternehmen alte und neue Technik über einen längeren Zeitraum parallel und migrieren ihre Benutzer schrittweise. Zu den Lücken in der Telefonie, die der Lync Server gegenüber der Vorgängerversion schließt, gehören unter anderem
die Unterstützung analoger Endgeräte - nach Ablösung einer Telefonanlage existieren oft noch Notrufapparate im Aufzug, Türöffner, Frankiermaschinen oder Faxgeräte, deren Betrieb weiterhin gewährleistet sein muss,
ausfallsichere Telefonie in Außenstellen bei zentralem Betrieb der Lösung im Rechenzentrum des Unternehmens - dazu hat Microsoft das Konzept der "Survivable Branch Appliance" als kostengünstige Lösung eingeführt,
eine größere Auswahl an Endgeräten mit erweiterten Funktionen sowie
Bandbreitenverwaltung, Teilnehmerlokalisierung bei Notrufen und viele weitere Sonderfunktionen.
Motivation für den Umstieg
Wer eine ältere TK-Anlage betreibt, kennt die Situation: Die meisten Hersteller unterstützen nur ihre eigenen Telefonmodelle. Diese kosten relativ viel Geld, sofern sie überhaupt noch lieferbar sind. Entsprechendes gilt für Erweiterungsbaugruppen - ein interner Primärmultiplexanschluss kommt meist auf mehrere Tausend Euro. Auslaufende Mietverträge und zunehmende altersbedingte Hardwareausfälle bringen zusätzlichen Zeitdruck ins Spiel. Auf der anderen Seite steigt die Nachfrage der Anwender und Entscheider nach der Einführung moderner Unified-Communications-Systeme. Schließlich versprechen diese erhebliche Vorteile, vor allem durch Präsenzinformation, Instant Messaging und vielseitige Konferenzfunktionen. Für eine Migration zum neuen System existieren unterschiedliche Szenarien, von denen die wichtigsten nachfolgend etwas genauer dargestellt sind.
Sofortiger Umstieg
Beim Aufbau eines neuen Standorts "auf der grünen Wiese" fällt es sehr leicht, in einem Rutsch eine neue Technik wie den Lync Server einzuführen. Leider kommt dieser Fall relativ selten vor. Er erspart im Wesentlichen den Administrationsaufwand, der beim Parallelbetrieb unweigerlich entsteht. Für alle Nutzer gelten zudem jederzeit die gleichen Arbeitsbedingungen, was auch die Schulung und Betreuung vereinfacht. Ein radikaler Umstieg "über Nacht" kann auch an einem bereits vorhandenen Standort angezeigt sein, wenn zum Beispiel der Vertrag über die bisherige TK-Anlage ausläuft und nicht genügend Zeit für eine schrittweise Migration zur Verfügung steht. Die Herausforderung: Die Telefonie muss an Arbeitstagen jederzeit und uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Eine sorgfältige Planung und Vorbereitung der Installation ist hier also besonders wichtig, um das Risiko von Ausfällen nach dem Umstieg so gering wie möglich zu halten. Die Projektverantwortlichen müssen die neue Umgebung vor der Umschaltung ausgiebig testen. Der wichtigste Vorteil bei dieser Variante ist das Vermeiden zusätzlicher Hardwarekosten für den vorübergehenden Parallelbetrieb.
Der zeitweilige Parallelbetrieb von Lync als Unteranlage stellt die am häufigsten praktizierte Vorgehensweise dar. Der Administrator verbindet die Telefonanlage intern mit einem Media Gateway, das die Verbindung zur Lync-Infrastruktur herstellt und aus Sicht der TK-Anlage eine Unteranlage ("Querverbindung") darstellt. Unter Umständen kann die Verbindung zwischen Anlage und Lync auch direkt über SIP erfolgen. Dies bringt allerdings eine Reihe von Einschränkungen mit sich, da Telefonanlagen im Gegensatz zu zertifizierten Gateways nicht alle von Lync angebotenen Optionen unterstützen. Dazu gehört unter anderem "Media Bypass", also die direkte Sprachverbindung zu den Telefonie-Endpunkten ohne Zwischenstationen. Media Bypass macht sich durch geringere Sprachverzögerung (Latenz) und weniger Paketverluste bemerkbar. Auch verschlüsselte Kommunikation oder erweiterte Funktionen wie "DNS Load Balancing" sind nur mit entsprechenden Gateways nutzbar. Eine Liste der von Microsoft vollständig zertifizierten Geräte ("Enhanced Gateways") findet sich unter technet.microsoft.com/en-us/lync/gg131938.aspx.
Bei dieser Vorgehensweise sind einige Einschränkungen in Kauf zu nehmen, unter anderem:
Erheblicher Konfigurationsaufwand innerhalb der Telefonanlage: Diese muss jederzeit wissen, welche Benutzer bereits nach Lync migriert wurden und wie diese über die Querverbindung zu erreichen sind. Unter Umständen sind dafür ein doppelter Rufnummernraum sowie bei jedem einzelnen zu verschiebenden Nutzer eine Aktualisierung der Konfiguration erforderlich.
Anschaffung eines teuren internen Primärmultiplexanschlusses, der jedoch nur während der Migrationsphase benötigt wird.
Nach Beendigung der Koexistenzphase und Außerbetriebnahme der alten TK-Anlage müssen die Administratoren die Gateway-Konfiguration erneut anpassen.
Um diese Nachteile zu vermeiden, gehen Anwender neuerdings vermehrt dazu über, das Media Gateway vor die TK-Anlage zu schalten. Diese Betriebsart nennt sich im Fachjargon auch "drop and insert". Das Gateway verteilt in diesem Fall sämtliche Rufe zwischen Telefonnetz, alter Telefonanlage und Lync-Benutzern. Dabei ist das Gateway direkt mit dem amtsseitigen Primärmultiplexanschluss verbunden. Nach innen bietet es für die TK-Anlage eine Schnittstelle, die sich exakt wie das Amt verhält ("Network Termination Mode").
Dieser Konfiguration bietet den großen Vorteil, dass sich für die TK-Anlage kein Unterschied zum bisherigen Betrieb ergibt und die Administration das bisherige System daher nicht umkonfigurieren muss. Dies ist aber noch nicht alles: Auch die Migration einzelner Benutzer zu Lync muss weder im Gateway noch in der TK-Anlage erfolgen. Dazu bedient sich der Administrator einer Software des Gateway-Herstellers, die regelmäßig eine aktuelle Liste der Lync-Telefonnummern aus dem Active Directory ausliest und dem Gateway für Routing-Zwecke zur Verfügung stellt. Sobald ein Teilnehmer für Lync-Telefonie (im Microsoft-Jargon "Enterprise Voice") aktiviert wird, erhält er eine Telefonnummer im E.164-Format, zum Beispiel "+493328455987", die diese Software findet und dem Gateway bekannt macht. Damit kann Letzteres bei einem eingehenden Ruf entscheiden, ob dieser zur TK-Anlage oder zu Lync durchzuschalten ist.
Die Software sorgt dann für das korrekte Routing von Anrufen aus dem Telefonnetz. Zusätzlich muss die Administration noch folgende Wege konfigurieren:
von Lync zu externen Nummern,
von Lync zu TK-Nebenstellen,
von TK-Nebenstellen zu externen Nummern sowie
von TK-Nebenstellen zu Lync-Benutzern.
Diese Einstellungen sind nicht immer trivial. Der Vorteil bei "drop and insert" besteht jedoch darin, dass sie nur einmalig vorzunehmen sind und sich während der gesamten Migrationsphase nicht mehr ändern.
Eine zwingende Voraussetzung für die Zertifizierung als vollwertiges Lync-Gateway ist die Unterstützung analoger Geräte. Microsoft selbst kommuniziert ausschließlich per SIP-Protokoll und hat alle anderen Techniken auf die Gateway-Hersteller verlagert. Analoge Teilnehmer lassen sich in der "Lync Management Shell" anlegen und einem Gateway zuordnen. Damit ist Lync in der Lage, Policies, Wählpläne, Normalisierungsregeln etc. auch für diese Geräte anzuwenden, die aber selbst keinen vollwertigen Lync-Benutzer inklusive Präsenzanzeige darstellen.
Um Fremdgeräte vollständig in Lync einzubinden, ist daher der Einsatz einer zusätzlichen Software erforderlich. Einige Gateway-Hersteller bieten hierfür Softwarelösungen an - wie beispielsweise Ferrari Electronic mit Officemaster Sip2lync. Darüber lassen sich fremde Telefonapparate als vollwertige Lync-Endgeräte nutzen, auch wenn sie selber nicht direkt zu Lync kompatibel sind. Vor allem die häufig nachgefragte Einbindung von DECT-Infrastrukturen wie die von Aastra lässt sich über eine solche Software realisieren.
Pilotinstallationen als Grundstein
Unternehmen, die eine Migration zu Microsoft Lync in Erwägung ziehen, beginnen häufig mit einer Pilotinstallation. Bereits in dieser Phase ist es sinnvoll, sich von qualifizierten Microsoft-Partnern beraten zu lassen, in komplexeren Umgebungen oder bei speziellen Anforderungen zusätzlich von Gateway-Herstellern. Die Erfahrung zeigt, dass sauber aufgesetzte Pilotinstallationen schnell positives Echo bei Anwendern und Administratoren hervorrufen und gleichzeitig den Grundstein für den reibungslosen, schrittweisen Ausbau zum Vollbetrieb darstellen.