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Mosaiksteine ins Rollen bringen

20. November 2019, 11:05 Uhr | Sabine Narloch
© ximagination/123rf

Es wird noch etwas dauern, bis sich der Frauenanteil in der IT-Welt signifikant erhöht haben wird. Bis dahin braucht es Initialzündungen: größere, aber auch viele kleinere.

Es gibt Momente, da hofft man, dass das, was gerade zu beobachten ist, auch andere wahrnehmen. So ein Moment ist zum Beispiel, wenn sich ein männ-
licher Referent auf der Bühne unpassend über Frauen äußert. Das kommt bei den unterschiedlichsten Tagungen hier und da vor. Mitunter ist das Mokieren darüber später auf der Damentoilette zu verfolgen. Bei der Gelegenheit werden dann ähnliche Stories ausgepackt – viele Frauen in der IT-Welt dürften hier mindestens eine im Gepäck haben.

Nun hat ja gerade die IT-Branche mit einem Frauenanteil von 17 Prozent einen großen Nachholbedarf. Es tut sich zwar einiges – vom Girls‘ Day bis hin zu Frauenförderprogrammen in den Tech-Unternehmen. Doch jede Aktivität für sich genommen, ist letztlich ein Mosaikstein, der seine Wirkung erst noch entfalten muss. Solch ein Mosaikstein könnte die Keynote von Annette Maier, General Manager DACH bei Google Cloud, auf dem diesjährigen Google Cloud Summit im September in München gewesen sein. Es gab darin mehrere Aspekte, die einer Nachbetrachtung wert sind.

Strickjackendenken ade
Mit Rollkragenpullover, Rock und Stiefeln betrat Maier die Bühne. In Zeiten, in denen im beruflichen Umfeld Sneaker, T-Shirts, Jeans und der klassische Anzug eine friedliche Koexistenz führen eigentlich nicht erwähnenswert. Doch noch 2011 wurde im Manager Magazin darüber diskutiert, ob eine Strickjacke für eine weibliche Führungskraft nun tragbar sei oder nicht. Offensichtlich ging man davon aus, dass ein solches Kleidungsstück alles Wissen und Können quasi auslöscht. Absurd.
Annette Maier begann ihre Keynote vor den 2.000 Anwesenden mit einer Geschichte über ihre Tochter im Teenageralter. Das ist nicht erwähnenswert? Mitnichten. In den letzten Jahren und Jahrzehnten haben viele Frauen ihre Kinder im Job so weit wie möglich unerwähnt gelassen. Der Chef oder der konkurrierende Kollege hätte dies als Argument gegen sie verwenden können; es gab und gibt die Bedenken, eine Mutter könne womöglich nicht mehr ihre volle Konzentration auf die Arbeit legen. Dass das nach wie vor ein Thema ist, zeigt unter anderem der Fall von Sandra Runge. Ihr wurde als Unternehmensjuristin am ersten Arbeitstag nach der Elternzeit gekündigt. Mittlerweile bloggt sie zu Mütter- und Elternrechten, hat einen Rechtsratgeber für Eltern geschrieben und in Berlin einen Coworking Space mit angeschlossener Kita gegründet.

Im weiteren Verlauf der Keynote holte Maier zur Erklärung neuer technischer Lösungen Google-Kollegen und -Kolleginnen auf die Bühne – mit ihr waren es vier Frauen und sechs Männer. Zumindest auf der Bühne also ein fast paritätisches Verhältnis.

Wie könnte nun das Geschehen auf der Bühne über das Fachliche hinaus auf ein Publikum gewirkt haben, in dem überwiegend Männer unterschiedlichen Alters saßen? Wäre ein Blick in die Köpfe der Zuhörer möglich, dann wäre idealerweise Folgendes zu sehen: das Bröckeln von eventuell noch existierenden Vorbehalten gegenüber Frauen in der IT-Welt.

Dieses Bröckeln könnte bewirken, dass sich keinerlei Vorbehalte mehr finden, wenn es darum geht Bewerberinnen zum Vorstellungsgespräch einzuladen, einzustellen und in der Folge der neuen Kollegin im Team kollegial und auf Augenhöhe zu begegnen.

Allerdings: Die absolute Grundvoraussetzung für einen höheren Anteil an Frauen in der IT ist, dass sich mehr Frauen dafür interessieren und eine entsprechende Ausbildung oder ein Studium aufnehmen. Ein solches Interesse wird oftmals in der Kindheit und Jugend geweckt, also im familiären Rahmen. Denkbar wäre, dass die Frauen auf der Google Cloud-Bühne dazu beitragen können, bei den anwesenden (künftigen) Vätern von Töchtern etwas anzustoßen. Es könnte sie ermutigen, ihre Töchter neugierig auf die IT-Welt zu machen und sie für diese zu begeistern.
Nicht zuletzt zeigt sich auf der Bühne: In der IT besetzen Frauen bereits Spitzenpositionen. Warum sollten Frauen ungefragt bleiben, wenn es um große Aufgaben im Unternehmen geht? Mag sein, dass eine Frau hier nicht so vorprescht, wie das manch ein männlicher Kollege tun würde. Vielleicht hakt es auch an der Vereinbarkeit von der neuen Aufgabe mit der Familie; diese Vereinbarkeit wünschen sich im Übrigen auch immer mehr Männer. Ein solches Zögern sollte in jedem Fall nicht der Moment sein, zu dem jemand abgeschrieben wird – es sollte der Moment sein, zu dem Unterstützung angeboten wird.

Und was mag die Keynote bei Zuhörerinnen möglicherweise bewirkt haben? In Zeiten, als Bundeskanzlerhelmutkohl ein Wort war, war die Rede davon, dass Frauen die Vorbilder fehlen. Das war letztlich auch Fakt. Aber kann man sich als Frau nicht auch einen Mann zum Vorbild nehmen? Aus eigener Erfahrung wäre zu sagen: möglicherweise. Aber als 1988 Rita Süssmuth Präsidentin des Deutschen Bundestages wurde, war es dann schon noch mal was anderes. Und jetzt, da wir mit großer Selbstverständlichkeit eine Bundeskanzlerinangelamerkel haben, sowieso.
Von großer Selbstverständlichkeit ist die IT-Branche noch entfernt. Da heißt es: dranbleiben. Die großen Tech-Unternehmen sollten sich hier – wie im Übrigen auch in anderen Belangen – ihres Vorbildcharakters bewusst sein. In jedem Fall kann eine Bühne wie auf dem Google Cloud Summit zum Mosaikstein werden, der in den Köpfen von Männern und Frauen etwas ins Rollen bringt. Halten wir uns den Spiegel vor – und inspirieren wir uns gegenseitig. Es geht nur zusammen.


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