Aus für Conrad-Filialgeschäfte

Das Ende einer Institution

13. April 2022, 9:17 Uhr | Martin Fryba
CEO Ralf Bühler richtet Conrad neu aus: B2B-Online-Marktplatz und Filialgeschäft nur noch für Geschäftskunden
© Conrad Electronic

Seelenloser E-Commerce, verödete Innenstädte, Niedergang städtischer Vielfalt: Der stationäre Einzelhandel trägt ein weiteres promintentes Opfer zu Grabe. Aber hat Conrad-Chef Ralf Bühler eine Wahl? Er handelt so, wie es einst Bundespräsident Heinemann treffend ausdrückte.

Kondensatoren-Kit, 300 Stück bei Amazon für unter zehn Euro. Ähnliche Angebote für LED-Dioden, diverse Bausätze oder Akku-Ladegeräte. In Sachen Elektronikbauteile  war Conrad Jahrzehnte lang die Institution schlechthin. Gut sortiert, von Experten beraten, die ihre Bastler-Leidenschaft mit den Kunden teilten, auch wenn diese nur eine Komponente für wenige Mark, später Euro benötigten. Mit den Online-Shops kam die Bequemlichkeit der Kunden. Vom Sofa aus bestellen, zu Hause prüfen und wieder zurückschicken, wenn es nicht passt. Das Internet macht es einem so leicht. Hinzu kam: Die leidenschaftlichen Conrad-Bauteileverkäufer hinter den Verkaufstresen wurden weniger, je mehr von ihnen in Rente gingen. Was zuerst weg war? Der Tresen oder die Experten?

„Schwerer Schritt“, aber …
In der Pandemie bleiben die Kunden dann ganz weg und nun, da endlich der Freedom Day in diesem Frühjahr alle pandemischen Beschränkungen abschafft, kommen viele nicht mehr in die Innenstädte zum Conrad. Schon letztes Jahr schloss der Elektronikhändler viele seiner rund 20 bundesweiten Filialen: Stuttgart, Essen, Nürnberg und München-Moosach. Die letzten noch offenen Geschäfte macht Conrad im Laufe des Jahres dicht (ICT CHANNEL berichtet). Das Ende einer Institution! Wer den E-Commerce seelenlos nennt, mit dem Sterben des Einzelhandels verödete Innenstädte fürchtet, hat einen Beleg mehr für den Niedergang städtischer Vielfalt.

„Natürlich fällt uns dieser Schritt sehr schwer“, sagt Conrad-Chef Ralf Bühler. Jetzt will er sozialverträgliche Regelungen für die Mitarbeiter schaffen, der sozialen Verantwortung gerecht werden, wie er betont. Offene Stellen in der künftigen B2B-Sparte soll es geben. Da könnten sich die bald arbeitslos werdenden Filialangestellten bewerben.

Auch ohne Corona-Pandemie wäre das stationäre Geschäft mit Privatkunden nicht zu halten gewesen. Zweistellige Millionen-Verluste hatte die Conrad Electronic Stores schon 2019 geschrieben: Dem Umsatz der rund 20 Filialen von 160 Millionen Euro stand ein Verlust von über 20 Millionen gegenüber. Einem Strukturwandel wie zum Trotz begegnen, heißt, gegen Windmühlen kämpfen. Freilich hatte Conrad sein Sortiment auch online verkauft. Zu kleinteilig, zu wenig Marge, die Konkurrenz bei teuren Produkten wie beispielsweise Philips Hue nur einen Klick entfernt.

Pandemie war kein Auslöser für das Aus des B2C-Geschäfts
Und nun? Man bleibt dem stationären Handel nicht fern. Conrad will aber eine andere Klientel beglücken. Am Standort im nordrhein-westfälischen Hürth öffnete schon im Frühsommer 2020 der Pilot: Die erste B2B-Filiale für Geschäftskunden. Drei Jahre zuvor richtete sich Conrad auch im E-Commerce auf die Zukunft aus: Ein Online-Marktplatz für Geschäftskunden ging an den Start. „B2B-First“ gab Ralf Bühler, damals noch Chief Sales Officer, als Motto aus. Neudeutsch heißt es: Aufbau einer „Conrad Sourcing Platform“.

Es sei nicht das erste Mal in der fast 100-jährigen Geschichte von Conrad, dass man Veränderungen im Konsumentenverhalten ernst nimmt und konsequent handelt, heißt es in der Conrad-Pressemitteilung zum Aus für das stationäre Privatkundengeschäft. Schon einmal wurden nämlich nahezu alle Filialen geschlossen, als in den 70er Jahren der Versandhandel boomte. Der Conrad-Katalog war auch so eine Institution für Elektronik-Bastler. Bestellt wurde per Post oder Telefon.

„Ein Teil unseres Erfolges besteht seit Generationen darin, Kund*innen gut zuzuhören und danach entsprechend zu handeln”, bemüht sich Bühler, die Erfolgsrezepte der Vergangenheit dieses Unternehmens für die Zukunft fortzuschreiben.

Kein Wandel, kein Handel
Wer mit Conrad seine Leidenschaft für Elektronikbauteile weiter teilen möchte, neugierige Inspiration beim absichtslosen Schlendern im Conrad sucht, kann es auch weiterhin tun. Im einzig verbleibenden Laden in Wernberg-Köblitz, den Bühler nicht schließen möchte. Vorerst jedenfalls. Ist Wernberg-Köblitz nun eine romantische Reminiszenz an längst vergangene Zeiten? Eine Vorstufe zum Firmenmuseum?

Über 100 Jahre gibt es Conrad Electronic und Ralf Bühler soll das in Familienbesitz befindliche Handelsunternehmen in die Zukunft führen. Als Gustav Heinemann 1969 zum Bundespräsidenten gewählt wurde, war Bühler ein Jahr alt. Er wird das Zitat kennen, den dieser liberale Bürgerpräsident den damals Erzkonservativen zum Nachdenken entgegen hielt: Wer nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte. Zu verlieren hätten Bühler und Conrad Electronic sehr viel.

Update: Conrad Electronic wird das Filialgeschäft für Privatkunden nahezu komplett einstellen. Der Shop conrad.de und damit das B2C-Geschäft über das Internet bleibt bestehen.

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