Im Interview: Gründer von greenDCision

Energieneutrales RZ als Ziel

18. Mai 2022, 7:00 Uhr | Dr. Jörg Schröper

Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Gesamtheitliche Konzepte

LANline: Was muss denn konkret passieren, damit RZ-Planung und -Betrieb besser in gesamtheitliche Konzepte einbezogen werden, etwa bei der Abwärmenutzung?
Faust: Tatsächlich wird viel über Wärmerückgewinnung diskutiert und zu Recht ein Hype daraus gemacht. In der Realität ist allerdings die Nutzung der RZ-Abwärme wegen der oft vollkommen unklaren Schnittstellen zu Haushalten und der Industrie nach wie vor so gut wie unzugänglich. Es wird kräftig geklappert, nur stellt sich kaum jemand der Komplexität des Themas auf ganzer Breite – erst recht nicht RZ-Planer.

LANline: Was empfehlen Sie Planern und Betreibern?
Faust: Wir sollten beginnen, die Konzepte über die gesamte Energie-Recyclingkette vom Anfang an und auch bis zum Ende zu denken. Ohne dass synergetische Allianzen zwischen RZ-Betreibern und Gemeinden oder industriellen Wärmeabnehmern geknüpft werden, funktioniert Wärmerückgewinnung nicht. Eine genaue Evaluation dazu, wohin das RZ gebaut wird und wer potenzielle Wärmeabnehmer sein könnten, ist Voraussetzung für ein erfolgreiches Energie-Recycling und damit niedrigere Energiekosten in der Zukunft.

LANline: Welche Techniken und Konzepte sind nach Ihrer Auffassung vielversprechend, aber noch nicht hinreichend genutzt?
Faust: Darauf lässt sich nur mehrstufig antworten. Um Rechenzentren hocheffizient auszulegen, verfolgen wir einen strukturierten und skalierbaren Ansatz in vier Aktionsbereichen. Das sind zunächst die klassischen Effizienzoptimierungen, wie beispielsweise Kalt-/Warmgänge, wassergekühlte Server, adiabatische Kaltwassersätze und eine effizientere USV-Technik. Also alles, was man schon kennt und wahrscheinlich im Blick hat, um wichtige Prozentpunkte bei der Effizienz herauszuholen. Ein spannenderer zweiter Bereich ist das Thema erneuerbare Energien auf dem RZ-Gelände zur Eigennutzung. Hier kommen neben Solarenergie auch Windkraftlösungen ins Spiel, die in der Stadt verwendet werden dürfen und mittlerweile aus-gereift sind. Der dritte und von den RZ-Planern leider noch immer unbeachtet gelassene Bereich sind hochentwickelte Kälteanlagen, wie man sie heute schon in der Industrie vorfindet. Bei Anpassung an RZ-Umgebungen sind topologisch ungeahnte Potenziale für eine effizientere Kälteerzeugung und Aufbereitung der Abwärmenutzung erzielbar. Schlussendlich – und ebenfalls enorm wichtig – stellt ein intelligentes Energie-Recycling das größte Potenzial dar. Mit anderen Worten: alle möglichen Techniken und Strategien rund um die Abwärmenutzung und ihren Transport zum Verbraucher. Dies umso mehr, da sich in Deutschland durch die Besiedelungsdichte viele potenzielle Abnehmer in der Nähe von RZs befinden, was in Skandinavien nicht immer der Fall ist.

LANline: Und das Ziel?
Faust: Im Idealfall, also wenn alle Aktionsbereiche sehr gut zusammenspielen, würde sich sogar ein nahezu energieneutrales Rechenzentrum realisieren lassen. In gewisser Weise hätte man dann eine PUE-Kennzahl deutlich unter 1, wenn man dies denn mathematisch so umdefinieren würde.

LANline: Welche Rahmenbedingungen benötigt die Branche dazu?
Göhl: Betrachtet man beispielsweise die Abwärmenutzung, dann erkennt man, dass die Umsetzung nicht nur an der Politik hängt. Die Wirtschaft muss sich hier selbst finden. Die Politik kann dazu höchstens passende Anreize schaffen. Wer von wem die Abwärme nutzt, kann die Politik sicher nicht bestimmen. Deswegen wäre es auch falsch, dazu nur auf Lobbyismus zu setzen und mit dem Finger auf andere zu zeigen.

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Helmut Göhl
Helmut Göhl, Infrastruktur-Fachmann der ersten Stunde und nun in neuer Rolle: „Neben Büros in München und Coburg haben wir unsere Zentrale bewusst in Berlin platziert, um flexibel und kurzfristig in der Nähe der politischen Entscheider beraten und manchmal auch steuern zu können, damit die Branche ihre Risiken reduziert und Ziele erreicht.“
© greenDCision

LANline: Wie sehen Ihre bisherigen Erfahrungen bei Planung und Umsetzung von RZ-Projekten aus?
Göhl: Bisher war die Geschwindigkeit, mit der RZ-Projekte hochgezogen worden sind, erstaunlich hoch. Nun müsste sich auch eine deutliche Bereitschaft der RZ-Branche in Deutschland herausbilden, die ausgetretenen Pfade zu verlassen. Denn die Umsetzung umfassender grüner Konzepte mit Hilfe neuer technologischer Ansätze ist nicht mehr wegzudiskutieren und sollte bei jeder RZ-Planung in den Vordergrund rücken. Hier spielt auch das Thema aktives Fördermittel-Management mit hinein, um die höheren Investitionen zur Energieeinsparung und mehr Umweltschutz zu deckeln. Dies gilt gleichermaßen bei Erneuerungen im Bestand wie auch bei Neubauten auf der grünen Wiese.

LANline: Ist es dann für einen Mittelständler heute überhaupt noch sinnvoll und bezahlbar, ein eigenes RZ zu betreiben?
Göhl: Aus der Sicht von greenDCision kommt es sehr auf die Anwendung an und wie das RZ in den Geschäftsbetrieb des Mittelständlers eingebunden ist. Natürlich auch darauf, ob die Abwärme gleich mitbenutzt wird. Wenn beispielsweise ein Milchkonzern mit einer Großkäserei, die die Abwärme sehr gut verarbeiten kann, ein eigenes RZ betreiben will, mag das sogar kostentechnisch Sinn ergeben. Mit dem Ausbau des Glasfaser-Backbones gibt es auch zunehmend viele regionale RZ-Anbieter, und so sollte sich jedes Unternehmen genau überlegen, was dafür spricht, eigenes Fachpersonal auf die Payroll zu setzen, um ein kleines Datacenter selbst zu betreiben. Dafür mag es bisweilen gute Gründe geben. Gleichzeitig und gemäß dem alten Motto „Schuster bleib bei Deinen Leisten“ zeigt sich aber über viele Jahre auch, dass es oft profitabler ist, wenn diese Managed Services bei Profis eingekauft werden und man sich auf sein Kerngeschäft fokussiert.

LANline: Was müsste sich in diesem Umfeld ändern, und was funktioniert besonders gut?
Göhl: Betreiber digitaler Infrastrukturen spielen eine tragende Rolle für die digitale Leistungsfähigkeit und ökonomische Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Die Branche ist Wachstumsmotor und Garant für Steuereinnahmen und Beschäftigung, aber eben auch wichtiger Innovationstreiber und Multiplikator für andere Industrien, insbesondere im Bereich Industrie 4.0. Während Provider und große Anbieter sozialer Plattformen häufig im Fokus von Politik und Öffentlichkeit sind, bleiben die Unternehmen, die am Anfang der Wertschöpfungskette Internet stehen, nämlich Betreiber digitaler Infrastrukturen wie Rechenzentren oder Carrier sowie ihre Verdienste und Herausforderungen, bislang weitgehend unbeachtet. Gleichwohl ist diese Branche von herausragender Bedeutung für eine gelingende digitale Transformation Deutschlands. Dementsprechend kann sich Deutschland eine Abwanderung der RZ-Unternehmen und digitalen Investoren in andere Länder gar nicht leisten. Daraus ergibt sich durchaus verständlich der Wunsch nach mehr Wahrnehmung in der Öffentlichkeit.

LANline: Zum Schluss eine ganz wichtige Frage. Wie sehen Ihre eigenen Pläne für die mittelfristige Zukunft aus?
Göhl: Der Beratungsansatz und die Zielsetzung von greenDCision wollen genau die genannten Lücken ansprechen und Unternehmen dabei umfassend unterstützen, diese nachhaltig zu schließen. Neben der gezielten Weiterentwicklung unseres Teams halten wir ständig Ausschau nach neuen grünen Best Practices sowie deren Integration in die RZ-Welt. Dabei setzen wir auf eine immer breiter werdende Basis von zuverlässigen Partnern, die in der Lage sind, individuelle und innovative Konzepte umzusetzen. Neben Büros in München und Coburg haben wir unsere Zentrale bewusst in Berlin platziert, um flexibel und kurzfristig in der Nähe der politischen Entscheider beraten und manchmal auch steuern zu können, damit die Branche ihre Risiken reduziert und Ziele erreicht. Wer mit uns darüber diskutieren möchte: Wir sind auch auf dem Datacenter Symposium in Berlin anzutreffen.

LANline: Herr Faust, Herr Göhl, herzlichen Dank für dieses interessante Gespräch.


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