Ein weiteres Beispiel für den Einsatz von HPC im Gesundheitsbereich, ist das seit 2000 bestehende Projekt zum „Digitalen Modell der Lunge“, welches von Prof. Dr. Wall, dem Leiter des Lehrstuhls Numerische Mechanik an der Technischen Universität München (TUM) und dessen Team betreut wird. Dafür arbeiten sie mit dem Leibniz-Rechenzentrum (LRZ) zusammen, das die notwendigen HPC-Ressourcen zur Verfügung stellt. Das digitale Lungenmodell wurde im Laufe der Jahre immer detaillierter, sodass die Datenmengen heute nur noch von einem Supercomputer bewältigt werden können. Inzwischen gibt es eine Reihe von Modellen der digitalen Lunge, die auf statischen Ansichten aus Computertomografen und Röntgengeräten, sowie auf Bilddaten von umfangreichen Experimenten mit Gewebsproben aus Mikroskopen basieren. Des Weiteren wurden auch anonymisierte Patientendaten und Messwerte herangezogen. Dadurch ist es möglich, das Luftröhren- und Bronchiensystem, die Lungenbläschen und das -Gewebe sowie das Parenchym, wo die Atmung stattfindet, zu modellieren und diese in einer Simulation zusammenzuführen. Dies erfordert allerdings hohe Rechenkapazitäten, da durch die Zusammenführung mehrerer einzelner Modelle zu einem Detaillierten die Datenmengen exponentiell wachsen. Ärzte können mithilfe dieses digitalen Lungenmodells simulieren, wie sich der Druckverlauf der Atemluft, die Frequenz der Atemzüge oder der Sauerstoffgehalt auswirken und bei einzelnen Patienten verbessern lassen. Dadurch können zum Beispiel Lungenschäden, etwa nach einer Corona-Infektion oder auch bei Frühchen, die in ihren ersten Lebenswochen beatmet wurden, verhindert werden.
Gerade aber auch im Bereich der Präzisionsmedizin ist der Einsatz von HPC wesentlich. Unter Berücksichtigung der Gene und des Lebensstils jedes einzelnen Patienten, müssen alle Daten, die von Edge-Geräten – Wearables, medizinischen Apparaten, IoT-Geräten – gesammelt werden, zeitgleich zur Verfügung stehen und verwertet werden können. Für die erforderliche Geschwindigkeit braucht man dementsprechend viel Rechenleistung.
Arzneimittelhersteller wenden häufig Techniken des maschinellen Lernens an, um chemische Informationen aus großen Datensätzen von Wirkstoffen zu extrahieren und auf dieser Grundlage dann neue Arzneimittel für klinische Studien zu entwickeln. KI-Modelle können außerdem trainiert werden, um die Studienteilnehmer mithilfe von statistischen Methoden auszuwählen und die Ergebnisse der Studien zu analysieren.
Auch im klinischen Umfeld ist das Potenzial von KI enorm und reicht von der Automatisierung der Diagnoseprozesse bis hin zur therapeutischen Entscheidungsfindung und klinischen Forschung. Zu den vielversprechendsten Anwendungen der KI gehört die automatisierte Verarbeitung bei der kardialen Bildgebung, die für die Beurteilung der Herzstruktur und -funktion erforderlich sind. Es ist davon auszugehen, dass die Erstellung genauerer und automatisierter Echokardiogramme mit Hilfe von KI bislang unerkannte Bildgebungsmerkmale aufdecken wird, die die Diagnose von Herz-Kreislauf-Erkrankungen erleichtern. Außerdem werden dadurch die mit der menschlichen Interpretation dieser Scans verbundenen Einschränkungen minimiert.
KI kann außerdem im öffentlichen Gesundheitswesen helfen, Krankheiten vorzubeugen, die Lebenserwartung zu steigern und die Gesundheit zu fördern. Sie trägt dazu bei, bestimmte demografische Gruppen oder Orte zu identifizieren, an denen Krankheiten oder Risikoverhaltensweisen besonders verbreitet sind, was es Ärzten wiederum ermöglicht, den Kontakt zu Patienten zu intensivieren und Dienstleistungen gezielt auf bestimmte Personen auszurichten.
Auch in der Verwaltung kann KI Vorteile bringen. Das Gesundheitssystem ist aufgrund umfangreicher, administrativer Verwaltungsaufgeben oftmals überlastet. Mit KI können Mitarbeiter von Routineaufgaben entlastet werden und diese Aufgaben effizienter, genauer und objektiver durchgeführt werden. Des Weiteren ist beispielweise mangelnde Bettenverfügbarkeit in Krankenhäusern eine der Hauptursachen für die Stornierung von Operationen. Der Einsatz von KI zur Optimierung dieser Verfügbarkeit, kann dazu beitragen, dies zu verhindern.
Mit Hinblick auf die Zukunft muss die Gesellschaft den Gesundheitseinrichtungen die Nutzung dieser Werkzeuge und Technologien erleichtern. Anstatt dass Forschungseinrichtungen die entsprechenden Bestandteile nehmen und bei null anfangen, müssen diese Technologien so integriert werden, dass es für Organisationen im Gesundheitssektor einfacher wird, sie bestmöglich zu nutzen.
Andreas Thomasch, Director HPC & AI in DACH, France und UKI, Lenovo