Die Ohnmacht, Amazons Willkür nahezu alternativlos ausgeliefert zu sein, trifft alle von CRN kontaktierten Distributoren. Dass man als Lieferant von Handelsriesen – sei es Media Markt/Saturn, Metro, Lidl oder Aldi – mit harten Bandagen angefasst wird, kennen Distributoren nur zu gut. Trotz aller Differenzen im Tagesgeschäft ließe sich das Risiko im Geschäft mit diesen auch nicht gerade zart besaiteten Kunden aber noch kalkulieren, ist doch diesen Handelsketten das Leitbild eines ehrbaren Kaufmanns nicht gänzlich abhanden gekommen. Amazon dagegen scheint von einem ehrbaren Kaufmann meilenweit entfernt zu sein.
Anders als Hersteller, die Ausfälle und Teilabschreibungen aufgrund hoher Deckungsbeiträge ihrer Produkte in der Regel verkraften können, sieht die Rechnung im margenschwachen Produktgeschäft für den Zwischenhandel völlig anders aus. »Für uns sind Zahlungsausfälle sehr bitter. Wir müssen unsere Hersteller fristgerecht bezahlen, die offenen Posten bei Amazon schlagen folglich bei uns voll durch. Die knappen Handelsmargen können das Defizit nicht auffangen«, sagt der Chef eines Distributors. Bis zu drei Prozent Abschreibung auf Forderungen preist er von vorneherein in jede Amazon-Bestellung ein.
Kann nach allem, was man über die Risiken der Amazon-Belieferung hört, der ITK-Zwischenhandel dann überhaupt noch ein profitables Geschäft mit diesem Etailer aufrecht erhalten? Ein klares »Nein« hört CRN von keinem Distributor. Zu groß sind mittlerweile die Geschäfte der Distribution mit Amazon gewachsen, zu mächtig ist die weltweit mit einem Marktanteil von 30 Prozent stärkste E-Commerce-Plattform – weit vor den Shops von Ebay und Alibaba –, um die vom 100 Milliarden Dollar schweren Jeff Bezos gegründete Company zu meiden.
Immerhin eine Stimme erwägt den Bruch mit Amazon: »Wir überlegen ernsthaft, ob wir künftig auf die Belieferung von Amazon verzichten werden.« Man warte noch ab, wie Amazon auf die aktuell rechtlichen Vorstöße seiner Firma reagieren werde. Erst dann wolle man entscheiden. »Wir können jedenfalls ohne Amazon. Anders als andere Distributoren«, ergänzt der Vertriebsleiter.
Mit »anderen Distributoren« meint er solche Grossisten, die offenbar im großen Stil als Fulfillment-Dienstleister für Hersteller fungieren und in deren Auftrag den gesamten Amazon-Bestellprozess erledigen. Würde ihnen ein signifikanter Umsatzanteil mit Amazon wegbrechen, könnte das auch negative Folgen für die anderen Sparten einer Handelsgruppe nach sich ziehen.
Alternativ böte sich für solche Distributoren eine Art »Amazon Fulfillment light« an, indem der Zwischenhändler lediglich eine gebührenbasierte Logistik anbietet, der Hersteller das Geschäft mit Amazon aber direkt abschließt. Ob diese Art der Risikoabwälzung bei Herstellern Anklang findet, darf allerdings bezweifelt werden. Distributoren haben sich doch in den letzten Jahren längst als kompetente Amazon-Fulfillment-Experten positioniert und versprechen Herstellern, die komplexen Prozesse im Griff zu haben. Die Nachfrage verzweifelter Hersteller ist denn auch da, die mit der Direktbelieferung von Amazon auch nicht zurechtkommen und Hilfe bei Fulfillment-Distributoren suchen.
Amazon kann es letztlich egal sein, in welcher Konstellation die Zulieferer für den Warenfluss sorgen. Mit seiner Marktmarkt hält der Etailer alle seine Geschäftspartner fest im Würgegriff.