Im Bereich Telemedizin berichtete die Bertelsmann Stiftung 2018 noch von ausschließlich regionalen und selektiven Projekten. Die Covid-19-Pandemie könnte telemedizinischen Anwendungen jetzt zum Durchbruch verholfen haben: Im Frühjahr 2020 boten laut „eHealth Monitor 2020“ von McKinsey bereits 52 Prozent aller niedergelassenen Ärzte Videosprechstunden an. Ende 2017 waren es gerade einmal zwei Prozent, wie eine Befragung der Stiftung Gesundheit und des Health Innovation Hub unter 2.000 Ärzten ergab. Zahlen, die sich auch mit Erkenntnissen der Bitkom-Befragung decken. Der Grund: In der Pandemie seien die hohen bürokratischen Hürden für Videosprechstunden deutlich gelockert und das Vergütungsmodell angepasst worden. Insgesamt sind 75 Prozent der Ärzte, die eine Sprechstunde auf Abstand anbieten, der Ansicht, die Pandemie habe diesem Angebot einen starken Schub verliehen. Mehr als jeder zweite meint, dass die Behandlung in bestimmten Fällen genauso gut klappe wie ein persönlicher Termin.
Die Digitalisierung der Gesundheitssysteme ist eine Mammutaufgabe, die Akteure und Entscheider in Deutschland und weltweit seit Jahren beschäftigt. Das Potenzial ist enorm. Grundsätzlich stehen Deutschlands Ärzte laut Bitkom der Digitalisierung positiv und voller Erwartungen gegenüber. Allerdings öffne sich zwischen den Ärzten in Kliniken und Praxen auch ein digitaler Graben. Zudem habe die Corona-Pandemie Defitizie im System schonungslos offengelegt. Dazu zählen die Nachverfolgung von Infektionsketten, die Information potenziell Infizierter oder jetzt die Terminvergabe bei der Schutzimpfung. „Zettelwirtschaft, analoge Prozesse und hohe Datenschutzhürden sorgen noch immer für Verzögerungen, unnötigen Mehraufwand und Informationsdefizite“, sagt Achim Berg. Insgesamt ziehen die Ärzte rund ein Jahr nach dem Ausbruch des Corona-Virus in Deutschland jedoch eine überwiegend positive Bilanz: Für drei Viertel hat die Pandemie gezeigt, dass das hiesige Gesundheitssystem insgesamt gut aufgestellt ist. Zugleich wünschen sich vor allem Klinik-Ärzte, dass es bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens schneller vorangeht. Und fast zwei Drittel der Mediziner in Krankenhäusern plädieren dafür, dass Deutschland im Kampf gegen die Corona-Pandemie stärker auf digitale Technologien setzt. Insgesamt gehen die Ärzte davon aus, dass mithilfe der Digitalisierung maßgebliche Fortschritte in der Medizin erreicht werden – auch bei der Bekämpfung globaler Pandemien. 72 Prozent erwarten, dass Organe wie Speiseröhrenimplantate, Haut oder Knorpelscheiben künftig mithilfe eines 3D-Druckers entstehen. 58 Prozent rechnen zudem damit, dass Tierversuche durch Versuche an 3D-gedruckten Zellstrukturen ersetzt werden.
Die Digitalisierung wird künftige Behandlungsmethoden stark beeinflussen. Interessant ist auch, wie sie sich grundsätzlich auf das Arzt-Patienten-Verhältnis auswirken wird. Denn gerade hier offenbart sich, welche janusköpfigen Auswüchse die Digitalisierung hierzulande annehmen kann. So informieren sich laut Bitkom mittlerweile viele Menschen im Internet über Symptome und Krankheiten, bevor sie zum Arzt gehen. Dabei stellen neun von zehn Medizinern fest, dass Patienten durch die Internetrecherche verunsichert werden. Zugleich sagen zwei Drittel der Ärzte, dass sie den Umgang mit Patienten, die sich im Internet vorinformiert haben, als anstrengend empfinden. 62 Prozent erleben, dass Patienten bereits mit einer Internet-Diagnose zu ihnen zur Behandlung kommen. Allerdings geben umgekehrt auch 42 Prozent der Ärzte an, dass die Patienten durch Informationen aus dem Internet mündiger werden. Und fast jeder zweite Mediziner lernt durch gut informierte Patienten sogar hin und wieder dazu.