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Auf zu neuen Küsten

Auf zu neuen Küsten Wer über das Auslagern der IT nachdenkt, hatte noch nie so viele ­Optionen zur Umsetzung wie heute. Doch eines gilt für alle Modelle: Kein Vorhaben ohne die passende IT-Sourcing-Strategie.

Autor:Markus Bereszewski • 8.2.2007 • ca. 4:20 Min

Noch vor zwei Jahren war der Anteil von Nearshore- beziehungsweise Offshore-Leistungen am deutschen Gesamtmarkt für Projektgeschäft mit sieben Prozent verschwindend klein. Bis 2010 wird er jedoch jährlich um durchschnittlich 23 Prozent wachsen. Dies liegt zum einen an der geringen Ausgangsbasis, zum anderen aber auch an einem deutlichen Sinneswandel gegenüber Offsite-Konzepten hierzulande. Deutsche Unternehmen nutzen Nearshore- und Off­shore-Ressourcen lieber indirekt, das heißt über etablierte, internationale Anbieter (75 Prozent), als in direkter Zu-sammenarbeit mit ausländischen Anbietern (25 Prozent). Es ist vor allem eine Frage des Vertrauens sowie der geographischen Nähe, dass deutsche Anwender Nearshoring bevorzugen, besonders in Osteuropa sowie in Portugal, Spanien oder Irland. Langsam gewinnen jedoch auch Offshore-Standorte für sie an Bedeutung – neben Indien die Philippinen und China.

Immer mehr Erfahrung
Das hängt auch damit zusammen, dass die deutschen Marktteilnehmer immer mehr Erfahrung mit Nearshore-/Off­shore-Kapazitäten sammeln. Inzwischen erachtet ein Großteil der Unter-nehmen eine IT-Sourcing-Strategie für wichtig. Mehr noch, die meisten von ihnen verfolgen bereits eine solche. Doch was beinhaltet eigentlich eine IT-Sourcing-Strategie? Unternehmen stehen vor der Wahl zwischen In- und Outsourcing, zwischen Onsite- und Offsite-Leistungs­be­zug, wobei Letzteres nicht nur Near­shore-/Offshore-Kapazitäten sondern auch Standorte (sogenannte IT-Factories) im Inland umfasst. Die Entscheidung über Insourcing oder Outsourcing sollte verschiedene Aspekte berücksichtigen, allen voran Gewinn und Risiko abwägen. Welchen Reifegrad ein Service hat, sollte ebenso in die Überlegung mit einbezogen werden wie seine strategische Relevanz. So eignen sich »Commodity Services« von geringer strategischer Relevanz am besten für Outsourcing, während hochspezifische, strategische Services im Insourcing erbracht werden sollten. Es kommt also nicht von ungefähr, dass in Deutschland ein Hauptanteil von ­Near-/Offshore-Projekten aus Standarddienstleistungen mit geringem Risiko bestehen. Man sollte nur Projekte mit einer klaren Aufgabenstellung, bei denen sich die Anforderungen nicht beziehungsweise nicht häufig ändern, an Nearshore-/Offshore-Standorte verlagern. Sonst wird der Kommunikationsaufwand zu groß, ganz abgesehen davon, dass das Risiko steigt – beispielsweise dafür, dass es zu Diskrepanzen zwischen Anforderungen und Leistung kommt. Ein weiteres zentrales Kriterium dafür, ob ein Projekt sich für Offsite-Delivery eignet, stellt der Projektumfang dar: Damit sich der Aufwand für den Aufbau der Organisation und Steuerung der Nearshore-/Offshore-Kapazitäten lohnt, darf ein Projektvorhaben nicht zu klein sein. Weitere wichtige Faktoren für eine IT-Sourcing-Strategie sind die Reife eines Unternehmens, Verfügbarkeit des nötigen Know-hows sowie die Auslastung. Da ein in einem Service weniger erfahrenes Unternehmen schwerlich den Dienstleister kontrollieren kann, sollte es von einem Outsourcing desselben absehen. Überlegenswert ist dagegen, Spitzenauslastungen durch externe Service-Provider abzudecken. Der Faktor internes Know-how sollte unbedingt in Bezug zur strategischen Relevanz eines IT-Services gesetzt werden. Bei hochrelevanten IT-Dienstleistungen kann es durchaus Sinn machen, noch nicht vorhandenes internes Know-how aufzubauen. Zwischen den beiden Polen Outsourcing einerseits und Insourcing andererseits gibt es viel Raum für Mischformen. Bei der Anwendungsentwicklung kann man beispielsweise nur bestimmte Teile wie Schnittstellen »off­shore« entwickeln lassen und den Rest intern oder durch eine Offsite-Filiale im eigenen Lande. Für die Festlegung einer IT-Sourcing-Strategie müssen die einzelnen Kriterien, die sich wechselseitig beeinflussen, in Kombination miteinander betrachtet und bewertet werden. Dabei sollten die Faktoren »Kosten« und »Risiken« nicht überbewertet werden, weil dies oft das Finden einer optimalen Lösung blockiert. Im Gegenzug sollte man das Einsparpotenzial durch Near-/Off­shore-Delivery nicht überschätzen. Berechnet man den Aufwand für den Aufbau von Kommunikationsstrukturen, Ab­stimmung, detaillierte Anforderungsdefinition und klare, umfangreiche Fachkonzepte mit ein, sind die häufig in die Diskussion geworfenen Einsparungen über 30 Prozent unrealistisch.

Kombinierte Modelle am erfolgreichsten
In der Praxis hatten kombinierte Modelle bisher am meisten Erfolg. Entsprechend bevorzugen globale Player sowohl auf IT-Anbieter- als auch auf Anwenderseite gemischte Delivery-Modelle, die zudem auch eine Mischkalkulation je nach den Zielen und Bedürfnissen des Kunden bedeuten. PAC empfiehlt ein dreistufiges Delivery-Modell mit den Komponenten »Onsite«, »Offsite« (im Sinne von ­Niedrigpreis-Standorten oder spezialisierten »Factories« im eigenen Land) und »Near-/Offshore«. Die Onsite-Kom­ponente gewährleistet die Nähe zum Kunden, steuert das Projektvorhaben, entwickelt gemeinsam mit den Fachbereichen die Fachkonzepte, führt Onsite-Tests durch und zeichnet für die Integration verantwortlich. Das Offsite-Team wiederum fungiert als Entwicklerpool für dringende und kritische Komponenten (die häufig noch Änderungen in der Anforderungsspezifikation unterliegen), sowie als zentrale Schnittstelle zu den Near-/Offshore-Einheiten: Hier finden die konkrete Planung, technische Konzeption und Entwicklung der Aufgaben, sowie Testdurchläufe statt. Allein das Offsite-Team hat direkten Kontakt zu den Near-/Offshore-Kapazitäten, koordiniert die Offshore-Aufgaben und sorgt für Know-how-Transfer. Die Ausführung der Aufgaben, beispielsweise die Entwicklung bestimmter Anwendungen, erste Tests und Qualitätssicherung obliegen schließlich dem Nearshore-/Off­shore-Team. Mit der perfekten Strategie allein ist es jedoch nicht getan. Denn erst braucht man den geeigneten Partner, um diese Strategie umzusetzen. Der richtige Partner ist das A und O! An Qualifikationen soll der Anbieter auf jeden Fall fundiertes Branchen-Know-how und die nötige Reife mitbringen. Fachliche Ansprechpartner muss er nicht nur offsite sondern auch vor Ort einsetzen können, wobei die Schlüsselpersonen im Bestfall nicht nur in Englisch, sondern auch in der Landessprache kommunizieren können sollten. Weitere wichtige Eigenschaften eines Partners ergeben sich aus dem oben beschriebenen Modell. So sollte er beispielsweise nicht nur an Near­shore-/Offshore-Standorten präsent sein, sondern auch vor Ort Deli­very-Kapazitäten haben. Zudem sollte sich das Anwenderunternehmen erkundigen, wie schnell die Kapazitäten »onsite« geholt werden können. Zusätzlich sollte rechtzeitig geklärt werden, ob der Vertrag auf der Rechtsprechung des Kundenlandes basiert. Welche technologische Maßnahmen trifft der IT-Partner für Security und Datenschutz und wie gewährleistet er die Einhaltung von Vertraulichkeit? Zusammenfassend ist Deutschland auf jeden Fall bereit für die neuen IT-Sourcing-Modelle. PAC erwartet, dass der Anteil von Nearshore-/Offshore in Application-Development- und Application-Management-Projekten beispielsweise überproportional wachsen wird. Mit dem richtigen Partner an der Hand kann eigentlich jedes Unternehmen den Schritt hin zu Offsite-Sourcing wagen. Vorab sollte man sich erkundigen, ob der Anbieter Referenzen aus dem gleichen Kulturkreis aufzuweisen hat. Und wem die Partnerwahl schwer fällt, der kann sich dafür gezielt Beratung ins Boot holen.

Klaus Holzhauser ist Senior Consultant bei Pierre Audoin Consultants (PAC)