Die Europäische Kommission erhält laut Jury den Big-Brother-Award 2021 in der Kategorie Verkehr für die Einführung des Verfahrens "On-Board Fuel Consumption Meter" (OBFCM). Dabei werden erhebliche Mengen an technischen Informationen eines Autos aufgezeichnet und zusammen mit der Fahrzeugidentifikationsnummer an den Hersteller übermittelt. Das OBFCM ist seit Jahresbeginn 2021 für Neuwagen verpflichtend. Das Fazit der Jury zur Nominierung: "Mit der elektronischen Verbrauchsdatenerfassung und -übermittlung (die englische Abkürzung dieses Verfahrens ist 'OBFCM') wird ein weiteres Mosaiksteinchen in Richtung gläserne AutofahrerInnen gelegt, obwohl dies gar nicht notwendig wäre. Wir sehen mit Sorge, wie Telematikdienste ihren Weg in die Autos finden und der Datenschutz dabei auf der Strecke bleibt. Deshalb sagen wir für diese EU-Verordnung 2019/631: Herzlichen Glückwunsch, zum BigBrotherAward 2021, liebe EU-Kommission."
Kategorie Bildung: Proctorio
Die Proctorio-GmbH erhält den Award 2021 für den angebotenen "vollautomatischen Prüfungsaufsichtsservice“, der eine Totalkontrolle von Studierenden bei Online-Prüfungen ermöglichen soll. Während der Prüfung soll die KI-basierte Software insbesondere Blicke von Prüflingen erkennen, die auf einen Täuschungsversuch hindeuten, und dann automatisch Alarm schlagen. Die Jury gibt dazu folgende Zusammenfassung:
Die Nutzung von Proctorio für die Beaufsichtigung von Online-Prüfungen führt zu einem schweren Eingriff in die Integrität der privaten Geräte der Studierenden.
Die permanente Videoüberwachung der Prüflinge während der Prüfungszeit ist ein schwerer Eingriff in ihre Privatsphäre und in ihre privaten Räume – insbesondere, wenn ein Raum-Scan stattfindet.
Die von der "KI"-Software durchgeführten automatischen Analysen ihres Verhaltens sind für die betroffenen Studierenden nicht transparent. Die allgemeine Unschuldsvermutung, die für alle Bürger gilt, wird durch die verwendeten Algorithmen und die hieraus folgende intransparente Kontrolle außer Kraft gesetzt.
Die Gestik und insbesondere Augenbewegungen werden permanent erfasst und ausgewertet. Die Software kann hieraus negative Schlussfolgerungen ziehen, was den Druck und den Stressfaktor für die Studierenden erhöht.
Online-Prüfungen zu Hause finden manche Studierende sicher angenehm. Sie gefährden aber aufgrund ungleicher Wohn- und Lebensverhältnisse die Chancengleichheit, die bei der Ablegung von „Präsenzprüfungen“ hergestellt werden soll.
Das Einsparpotential, das Proctorio für automatisierte Prüfungsaufsichten verspricht, macht die Software für kostenbewusste Hochschulen attraktiv. Diese Einsparung geht aber auf Kosten der Studierenden, die mit klassischen Präsenzprüfungen besser zurecht kommen als mit Online-Prüfungen unter den Augen einer Software.
Die Datenschutzkonformität ist schon deshalb zweifelhaft, weil belastbare Aussagen zur Rechtsgrundlage fehlen und eine „freiwillige Zustimmung“ der Studierenden in Prüfungssituationen wohl eher nicht gewährleistet ist.
Die Big-Brother-Awards prämieren nach eigenen Angaben Datensünder in Wirtschaft und Politik und wurden deshalb von Le Monde "Oscars für Datenkraken" genannt. Die Awards sind ein internationales Projekt: In bisher 19 Ländern wurden fragwürdige Praktiken mit diesen Preisen ausgezeichnet. In Deutschland werden sie organisiert und ausgerichtet von Digitalcourage, Mitveranstalter sind unter anderem die DVD, ILMR und der CCC. 2021 bestant die Jura aus:
Rena Tangens & Padeluun (Digitalcourage)
Thilo Weichert (Deutsche Vereinigung für Datenschutz und Netzwerk Datenschutzexpertise)
Frank Rosengart (Chaos Computer Club)
Prof. Dr. Peter Wedde (Institut für Datenschutz, Arbeitsrecht und Technologieberatung)