Green Coding

„Die richtige Balance zwischen Nutzen und Kosten finden“

21. April 2022, 15:10 Uhr | Interview: Sabine Narloch

Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Von emissionsminimierenden Algorithmen und Green Coding als Kaufargument

funkschau: Wo im Software-Lebenszyklus lässt sich entgegenwirken, um die CO2-Bilanz zu verbessern?
Haseleu: Beim Herstellungsprozess ist neben dem bereits erwähnten Einfluss von Hardware auch der Entwicklungsprozess zu berücksichtigen: In das Design, die Entwicklung und das Testen des Programms fließt viel Energie. Auch das Drumherum des gesamten Entwicklungsprojekts hat erheblichen Einfluss. Werden Workshops und Meetings wenn möglich remote durchgeführt? Werden relevante KPIs am Anfang definiert und im Verlaufe des Projekts berücksichtigt? Ansätze zum Nachhaltigkeitsmanagement im Projekt können helfen, den Prozess der Softwareentwicklung umweltverträglicher zu gestalten. Die Auswirkungen der Nutzungsphase werden stark durch die Entscheidungen während des Designs der Software geprägt. Wurden bei der Entwicklung funktionale und nicht-funktionale Nachhaltigkeitsanforderungen berücksichtigt?

funkschau: Was ist darunter zu verstehen?
Haseleu: Nicht-funktional ist zum Beispiel ein möglichst geringer Energieverbrauch, der durch effizienten Code und intelligente Architektur erreicht werden kann. Funktionale Anforderungen könnten beinhalten, dass ein Gerät bei Nicht-Nutzung automatisch in den Standby-Modus geschaltet wird oder, dass eine Website im Dark-Modus zur Verfügung steht. Der Fußabdruck von Hardware kann zum einen durch konsequentes, effizientes Recycling, aber vor allem durch eine möglichst lange Nutzung der Geräte reduziert werden – und hier kommt wieder effiziente Software ins Spiel, die auch auf älteren Geräten gute Leistung bringt.

funkschau: Und was zeichnet einen emissionsminimierenden Algorithmus aus?
Haseleu: Es gibt verschiedene Aspekte, die den Energiebedarf von Software maßgeblich beeinflussen: zum Beispiel die Speicherung und die Übertragung von Daten sowie die Komplexität der zugrundeliegenden Rechenaufgabe. Diese Aspekte fallen für unterschiedliche Technologien anders ins Gewicht. Bei grünem Webdesign gilt es, andere Dinge zu beachten, zum Beispiel Videos nicht automatisch abzuspielen, als beim Cloud Hosting. Dort zählen beispielsweise eine effiziente Edge- und Cloud-Architektur und eine intelligente Skalierungssteuerung. Oder auch bei KI-Anwendungen. Hier sind der passende Algorithmus, die richtige Größe des Trainingsdatensets und eine angemessene Genauigkeit wichtig.

funkschau: Gibt es so etwas wie einen CO2-Check für Software? Also eine Auflistung oder Gewährleistung der entsprechenden Anbieter, dass gewisse Obergrenzen nicht überschritten wurden?
Haseleu: Seit 2020 berücksichtigt das älteste Umweltsiegel der Welt – der Blaue Engel der Bundesregierung – auch Software. Um mit dem Blauen Engel ausgezeichnet zu werden, muss Software einen umfassenden Kriterienkatalog erfüllen. Zum Beispiel wird neben dem Energieverbrauch während des Standardnutzverhaltens dabei auch die Abwärtskompatibilität mit älterer Hardware und die Autonomie des Nutzers berücksichtigt. Weitere Kriterienkataloge stehen mit dem GHG Protocol und dem EU Code of Conduct für Datenzentren zur Verfügung.

funkschau: Wie sieht es bei unterschiedlichen Arten von Software aus: Schneidet beispielsweise eine CRM-Software aufgrund des umfassenden Funktionsumfangs grundsätzlich schlechter ab als ein reines Textverarbeitungsprogramm?
Haseleu: Natürlich. Komplexere Aufgaben sind energieintensiver als einfache. Es fällt auch ins Gewicht, wie lange eine Anwendung benutzt wird und von wie vielen Anwendern. Bei einer App, die ständig im Hintergrund läuft und von sehr vielen Menschen verwendet wird, fallen Ineffizienzen viel schneller ins Gewicht als bei Programmen, die nur gelegentlich von wenigen verwendet werden.

funkschau: Ist Green Coding bei Produkten von Reply eingeflossen?
Haseleu: Green Coding ist generell ein sehr junges Gebiet. Erste Best Practices sind bei uns bereits im Einsatz, und es gilt noch viel Neues zu entwickeln. Beim Umweltbundesamt läuft die durchs Bundesministerium für Wirtschaft finanzierte Forschung im Bereich Green Coding auf Hochtouren. Wir verfolgen solche Initiativen genau, um uns nach den neuesten Erkenntnissen richten zu können.

funkschau: Ist Green Coding ein ausschlaggebendes Argument für die Kaufentscheidung oder ist es dann doch nur ein „Nice-to-have“?
Haseleu: Das Interesse für diesen Bereich beginnt stärker aufzukeimen. Mit zunehmenden Regularien und Vorgaben wird dieser Bereich in den nächsten Jahren stärker in den Fokus rücken und muss zwangsläufig zu einem Kaufkriterium werden. In der seit Januar gültigen EU-Taxonomie wird IT bereits explizit berücksichtigt. Detaillierte Anforderungen werden für Datenzentren beziehungsweise die Cloud gestellt. Für Software betont die Taxonomie den Energiebedarf als wichtigen Aspekt, stellt aber mit Verweis auf die derzeitig laufende Forschung noch keinen ausführlichen Kriterienkatalog zur Verfügung. Dieser wird in den nächsten Jahren mit einem Update der Taxonomie erwartet. Gleichzeitig wird die derzeit gültige Report-Pflicht (NFRD) überarbeitet und voraussichtlich 2024 als Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) in Kraft treten. Dann werden wesentlich mehr Unternehmen über ihre Nachhaltigkeit in viel umfassenderen Ausmaß berichten müssen – oft auch über die eingesetzten ICT-Systeme. 

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