Sustainable User Experience

Kleine Stellschrauben mit großer Wirkung

21. August 2024, 10:30 Uhr | Autoren: Oliver Bohl und Jan Portz / Redaktion: Diana Künstler
© Tonton54 – stock.adobe.com

Digitale Effizienz bei gleichzeitiger Nachhaltigkeit gewinnt massiv an Relevanz. Mit Sustainable User Experience reduzieren Unternehmen nicht nur die Umweltbelastung, sondern behalten parallel Nutzende im Fokus.

Der folgende Artikel beantwortet unter anderem diese Fragen:

  • Was ist Sustainable User Experience (SUX)?
  • Warum ist SUX wichtig für Unternehmen?
  • Wie wirkt sich der digitale Fußabdruck auf die Umwelt aus?
  • Welche Rolle spielt das Design bei der Reduzierung des CO2-Fußabdrucks?
  • Wie kann KI zur Nachhaltigkeit beitragen?
  • Welche Maßnahmen können Unternehmen ergreifen, um ihre digitale Nachhaltigkeit zu verbessern?
  • Welche Herausforderungen gibt es bei der Integration von Virtual und Augmented Reality?
  • Wie können Unternehmen durch kleine Anpassungen große Auswirkungen erzielen?
  • Was ist die „Zwillingstransformation“ und wie unterstützt sie die Nachhaltigkeit?

Sie haben gerade eine E-Mail verschickt? Glückwunsch – das „kostet“ 4 Gramm CO2. Mit einem Fotoanhang steigt der Energieverbrauch auf 30 Gramm. Jeder Klick im Netz wirkt sich auf den CO2-Abdruck aus. Verglichen mit dem Verbrauch einer Bitcoin-Transaktion von 313.000 Gramm CO2 erscheint eine durchschnittliche Autofahrt von 10 km mit 1.500 Gramm CO2 erstaunlich energiearm. Damit zeigt sich das Spannungsfeld, in dem sich die Digitalwirtschaft derzeit befindet: Einerseits reduzieren intelligente Programmierung, ressourcenschonendes Design und innovative Technologien den ökologischen Fußabdruck, andererseits ist die Informations- und Kommunikationstechnologie eine der energieintensivsten Branchen weltweit, wie verschiedene Studien zeigen. So ist es kaum verwunderlich, dass die IT- und Digitalwirtschaft nach performanten digitalen Lösungen sucht, die gleichzeitig umweltfreundlich sind. Die sogenannte Zwillingstransformation – also die digitale und die parallel adressierte Nachhaltigkeitstransformation – kann Unternehmen langfristig erfolgreicher machen, indem sie nachhaltige Geschäftsmodelle und Services stärkt, die durch Technologie erst ermöglicht werden.

Ein Beispiel dafür, wie ein Unternehmen Nachhaltigkeit bei der digitalen Transformation mitdenkt, ist das erweiterte Qualitätskontrollzentrum Advanced Quality Control Center (AQCC) von DHL1, das weltweit Millionen von Paketen über unzählige Logistiksysteme und verschiedene Anbieter verschickt. Mithilfe Künstlicher Intelligenz werden riesige Datenmengen interpretiert, Prognosen zu Lieferungen erstellt und Fehler frühzeitig erkannt. Technologie sorgt an dieser Stelle für eine effizientere Gestaltung der Logistik, die – etwa dank Lieferroutenoptimierungen – unmittelbare ökologische und ökonomische Potenziale zeigt. Gleichzeitig belegen entsprechende Ansätze, dass Unternehmen nicht ihr gesamtes Geschäftsmodell auf den Kopf stellen müssen, um eine Dualität aus Nachhaltigkeit und Digitalisierung zu erzielen. Oft reicht es zunächst aus, an „kleineren“ Stellschrauben zu drehen. Solche lassen sich auch an den Schnittstellen mit Kund:innen realisieren. Und zwar mit Ansätzen, mittels derer Unternehmen im Sinne einer Sustainable User Experience, kurz SUX, nachhaltige und zugleich komfortable digitale Nutzererfahrungen gewährleisten. Die Maßnahmen rangieren dabei von intuitiven Benutzeroberflächen über den effizienten Einsatz von KI bis hin zur ressourcenschonenden Entwicklung digitaler Produkte.

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CO2-Emissionen verschiedener digitaler und physischer Aktivitäten
Aktivität CO2-Emissionen (in Gramm)
E-Mail ohne Anhang 4
E-Mail mit Fotoanhang 30
10 km Autofahrt 1.500
Bitcoin-Transaktion 313.000

Ganzheitliche UX- und UI-Strategie für nachhaltiges Design

Digitale Produkte und Services können nur so energieeffizient sein, wie es eine UX-/UI-Strategie sowie die verwendeten Design- und Programmierungsparameter zulassen. Zunächst geht es darum, relevante und passende Services und Inhalte für eine reibungslose Nutzung auf einer Website oder einem Onlineshop bereitzustellen. Denn je geringer der Suchaufwand, desto stärker reduziert sich – durch weniger Zugriffe der Nutzer:innen –  die CO2-Last. Weiterhin minimiert ein schlankes und minimalistisches User Interface Design die Rechenanforderungen und damit den Energieverbrauch. Da es Nachhaltigkeit auch aus einer sozialen Dimension zu betrachten gilt, sollten UX-Verantwortliche von Beginn an die Nutzer:innen in den Designprozess einbinden, damit digitale Produkte und deren Navigationsstruktur den Bedürfnissen und Erwartungen aller entsprechen und zugänglich sind – auch für Menschen mit Behinderungen. Funktionen wie Screenreader-Kompatibilität, Tastaturnavigation und ausreichende Kontraste sind für die Barrierefreiheit und ein schnelles Auffinden unerlässlich. Und zahlen damit auf die soziale Nachhaltigkeit eines digitalen Produktes ein. Regelmäßige Usability-Tests gewährleisten neben nachhaltigen Verbesserungen eine benutzerfreundliche und intuitive Erfahrung.

Mithilfe modular aufgebauter Designsysteme lassen sich digitale Produkte nach Jahren noch ohne großen Zusatzaufwand erweitern. Auch zu einem späteren Zeitpunkt sollten die genutzten Systeme, Software und Tools nahtlos mit anderen Systemen und Plattformen zusammenarbeiten und möglichst mit älteren Hardware- und Softwarekomponenten kompatibel sein.

SUX im Webdesign: Kleine Anpassung, große Wirkung

Energieeinsparung durch Dark Mode
Das Tortendiagramm zeigt die potenzielle Energieeinsparung durch die Nutzung des Dark Modes . Die größten Einsparungen treten bei geringer Bildschirmhelligkeit auf, was bis zu 47 Prozent Energieeinsparung ermöglichen kann. Die Daten basieren auf einer Studie der Purdue University. Das Tortendiagramm wurde erstellt mittels chatgpt.com.
© Purdue University/OpenAI

Es bieten sich diverse Möglichkeiten, den CO2-Fußabdruck bei den für die Nutzer:innen direkt sichtbaren Touchpoints zu senken. Kleine Anpassungen können bereits große Effekte haben: Videos sollten nicht automatisch abgespielt, Bildgrößen optimal angepasst und unnötige Animationen vermieden werden. Systemschriften laden in der Regel schneller als individuelle Hausschriften und reduzieren deutlich den Energieverbrauch von Anwendungen. Hier lässt sich geschickt Datenvolumen sparen, indem nur ausgewählte Textauszeichnungen mit angepasstem Zeichenumfang einer Hausschrift verwendet werden.

Der Dark Mode gilt als weitere Option, Energie zu sparen. OLED-(Organic Light Emitting Diode) und AMOLED-(Active Matrix Organic Light Emitting Diode) Bildschirme schalten schwarze Pixel einfach aus. Die US-amerikanische Purdue-University hat in einer Studie2 herausgefunden, dass die CO2-Ersparnis über den Dark Mode je nach Bildschirmhelligkeit bis zu 47 Prozent betragen kann. Dass eine Website gleichzeitig leicht und farbenfroh sein kann, beweist das Smashing Magazine3. Hier scheinen eigens kreierte Illustrationen und sogar kleine Mikroanimationen der hervorragenden CO2-Bilanz4 keinen Abbruch zu tun.

Strategien für nachhaltige UX-/UI-Designs  
Strategie Beschreibung Beitrag zur Nachhaltigkeit
Minimalistisches Design Reduziert Rechenanforderungen durch schlankes Design Senkt Energieverbrauch
Nutzerzentrierte Entwicklung Einbindung der Nutzer in den Designprozess, inklusive barrierefreier Features Soziale Nachhaltigkeit, verbesserte Zugänglichkeit
Modular aufgebautes Designsystem Systeme sind auch nach Jahren erweiterbar, kompatibel mit älterer Hardware Langlebigkeit und Reduktion von Elektroschrott

Extended Reality: Ressourcenintensive Technologien managen

Immersive Erlebnisse laden die Customer Experience (CX) auf. Gleichzeitig erfordern sie rechenintensive Vorgänge. Technologien, die Interaktionen und digitale Informationen in den physischen Raum integrieren – wie Virtual- und Augmented Reality-Anwendungen – sorgen dafür, dass wir Kleidung vor dem Kauf virtuell anprobieren können und weniger Retouren entstehen, haben aber auch den Nachteil, dass viele Ressourcen verbraucht werden. Grafik und Rendering erfordern komplexe Berechnungen, die viele CPU-, GPU- und Speicherressourcen in Anspruch nehmen. Hier gilt es, die richtige Balance zu finden.

Datenkompression: Green Coding

Ein gut strukturierter und optimierter Code verbessert nicht nur die Performance, sondern reduziert den Energieverbrauch und die Umweltbelastung. Leichtgewichtige Codes, die redundante Code-Strukturen vermeiden und Skripte minimieren, können tatsächlich bis zu 20 Prozent Energie einsparen.

In großen Projekten kann das Entfernen von doppeltem Code die Größe der Anwendung reduzieren und damit den Speicher- und CPU-Verbrauch senken. Mehr Recheneffizienz lässt sich beispielsweise dadurch erreichen, indem man JavaScript-Dateien minimiert und bündelt. Ein weiteres Beispiel sind kompilierte Sprachen wie C oder C++, die in der Regel effizienter in Bezug auf die Rechenleistung sind als interpretierte Sprachen wie Python, da der Code direkt in die Maschinensprache übersetzt wird und weniger Overhead hat.

Eine Speicher- und Prozessorschonende Technik wie das Lazy Loading sorgt weiterhin dafür, dass Bilder und Inhalte nur dann hochgeladen werden, wenn Nutzer:innen dies initiieren.

Künstliche Intelligenz: Mehr Effizienz für mehr Ressourcenschonung

Oliver Bohl und Jan Portz
Jan Portz (rechts) ist Executive Creative Director bei Triplesense Reply. Gemeinsam mit Oliver Bohl, der die Geschäfte von Triplesense Reply führt, gestaltet er innovative digitale Produkte und Services, die eine holistische und nachhaltige Customer Experience gewährleisten.
© Triplesense Reply

KI birgt das Potenzial, viele Prozesse schneller, genauer und mit weniger Ressourcenverbrauch durchzuführen. Schon heute übernehmen KI-Tools viele Standardtätigkeiten – unter anderem von UX-Designer:innen – was viele Arbeitsprozesse minimiert. Entscheidend für die Nachhaltigkeit ist der Einsatz von KI-Modellen, die bereits auf großen Datensätzen trainiert wurden und die für spezifische Aufgaben angepasst oder verfeinert werden können. Es spart enorme Mengen an Rechenressourcen, Zeit und Energie, wenn der ressourcenintensive Prozess des Modelltrainings nicht jedes Mal neu durchgeführt werden muss.

Um das Potenzial von Green IT auf allen Ebenen auszuschöpfen, müssen Nachhaltigkeit und Digitalisierung Hand in Hand gehen. Indem Unternehmen IT-Infrastrukturen optimieren, auf nachhaltiges UX-Design und effiziente KI setzen, sparen sie massiv CO2 ein. Dies trägt nicht nur zum Umweltschutz bei, sondern verbessert die Effizienz und Wirtschaftlichkeit der Unternehmen.

1 https://www.dhl.com/discover/de-at/news-and-insights/reports-and-press-releases/digitalization-has-transformed-operations
2 https://dl.acm.org/doi/pdf/10.1145/3458864.3467682
3 https://www.smashingmagazine.com/
4 https://www.websitecarbon.com/website/smashingmagazine-com/


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