Künstliche Intelligenz

Ein Werkzeug, keine Allzweckwaffe

2. September 2021, 8:30 Uhr | Interview: Diana Künstler
Prof. Dr. Volker Gruhn, Inhaber des Lehrstuhls für Software Engineering an der Universität Duisburg-Essen und Gründer des Münchner IT-Dienstleisters Adesso
© Adesso

Adesso hat die Ergebnisse einer Befragung von KI-Verantwortlichen in der DACH-Region vorgestellt. Ein Ergebnis: Jeder Zweite attestiert seiner Firma KI-Nachholbedarf. Über die Gründe, das Anwendungspotenzial von KI und die Licht- und Schattenseiten von Regularien – ein Interview mit Volker Gruhn.

funkschau: Herr Prof. Dr. Gruhn, das Thema KI ist allgegenwärtig, facettenreich und beschäftigt mittlerweile nicht mehr nur Sci-Fi-Enthusiasten. Kein Wunder, dass der Begriff ein sehr dehnbarer ist. Was ist Ihre Auffassung von „Künstlicher Intelligenz“?

Volker Gruhn: Wenn Sie drei Fachleute fragen, haben Sie nachher drei Definitionen von KI auf dem Tisch. Ich verstehe Künstliche Intelligenz als ein Teilgebiet der Informatik, das sich mit der Erforschung von Mechanismen des intelligenten menschlichen Verhaltens befasst. Wichtig ist: Eine KI-Anwendung, die schneller und akkurater als Vergleichspersonen Äpfel von Birnen unterscheidet, „denkt“ nicht besser als wir. Sie denkt gar nicht – und würde beim Test mit Erdbeeren und Orangen kläglich scheitern. Denn dies müssen wir uns bei allen Diskussionen über die Gefahren einer Superintelligenz bewusst machen: Wir reden über Anwendungen, die exakt für eine Aufgabe trainiert wurden, eine sogenannte schwache KI. In einem Moment über KI nachdenken, im nächsten über Fußball diskutieren und dann die Heimreise planen: Die Vielfalt der menschlichen Fähigkeiten mit unseren Methoden zu erreichen, ist weit außerhalb unserer Schlagweite. Und ich bin nicht davon überzeugt, dass das jemals in Schlagweite kommen wird.  

funkschau: Welchen Nutzen sehen Sie speziell für Unternehmen in der Anwendung von KI? Welche konkreten Einsatzmöglichkeiten gibt es in dem Zusammenhang?

Gruhn: KI-Anwendungen spielen dann ihre Stärken aus, wenn viele Daten vorhanden sind. Denn für das Entwickeln, Testen und Verbessern dieser Lösungen benötigen die Fachleute Daten. Liegen diese in der nötigen Qualität und Aufbereitung vor, sind den Möglichkeiten von KI kaum Grenzen gesetzt.

Ein Ansatz von KI-Anwendungen ist bespielsweise die bessere Vorhersage von Entwicklungen. Wo bisher das Bauchgefühl entschied, stehen uns in Zukunft häufiger Daten zur Verfügung. Und das in einem Detaillierungsgrad, der momentan nicht realisierbar ist: Welcher einzelne Kunde trägt sich mit Kündigungsgedanken? Mit welchen Angeboten können wir ihn wieder überzeugen? Welches Kommunikationsthema verfängt bei wem besonders gut? Das gleiche gilt auch für das Vorhersagen von Problemen bei Maschinen oder das Orchestrieren von Logistikketten: Künstliche Intelligenz erlaubt es Unternehmen, die Gegenwart besser zu verstehen und die Zukunft genauer zu prognostizieren.

Ein anderer Ansatzpunkt ergibt sich aus der Fähigkeit des Umgangs mit Geschriebenem und Gesprochenem. Spracherkennung, Sprache in Text oder Text in Sprache zu verwandeln gehören inzwischen zum Alltag. Aber in den Themen steckt noch einiges an Potenzial, Stichwort Personalisierung. Unternehmen schneiden – dank KI automatisiert – die Inhalte der Kommunikation immer exakter auf die Wünsche und Lebensumstände einer Person zu. KI-Anwendungen übernehmen dabei die Rolle des Content Creators.

funkschau: Und wie gut sehen Sie deutsche Unternehmen mit Blick auf KI derzeit aufgestellt?

Gruhn: Das variiert von Branche zu Branche so stark, dass ein pauschales Bewerten schwerfällt. Da gibt es von Natur aus digitale Unternehmen wie Banken oder Versicherungen. Das Sammeln, das Aufbereiten und das Nutzen von Daten gehören hier zu den etablierten Prozessen. Diese Unternehmen bringen beim Umgang mit KI einen Startvorteil mit. Andere Bereiche der Wirtschaft, beispielsweise das produzierende Gewerbe, müssen vielfach noch Grundlagen schaffen.

Aber für alle Wirtschaftszweige gilt: KI-Anwendungen, die in der tagtäglichen Praxis ihre Dienste leisten, sind eher die Ausnahme als die Regel. Vielfach gibt es Einzelinitiativen oder Testballons, die Fachleute machen sich mit Technologien vertraut und probieren aus. Unternehmen schaffen jetzt die Voraussetzungen – Prozesse, Technologien, Fachwissen – auf denen sie ihre KI-Lösungen aufbauen. Deshalb wird die Zahl der Anwendungen in nächster Zeit deutlich zunehmen.

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