Funktioniert Process Mining auch ohne Quellsysteme aus der Cloud? Wo geht es künftig mit Process Mining hin? Und was kann man an einem so genannten Spaghetti-Diagramm ablesen? Am Rande der diesjährigen Anwenderkonferenz „Celosphere“ sprach connect professional mit Manuel Haug von Celonis.
connect professional: Viele Unternehmen fühlen sich im Hinblick auf ihre Geschäftsprozesse mehr oder weniger gut aufgestellt – bis Celonis aufzeigt, wie Prozesse dort tatsächlich ablaufen. Ein Diagramm mit unzähligen Abweichungen macht sie sichtbar. Wird eine solche Übersicht für jedes Ihrer Kundenunternehmen erstellt?
Manuel Haug: Ja, das machen wir immer und das bildet die Grundlage, um Prozesstransparenz herstellen zu können. Wir sehen dadurch, was in einem Unternehmen tatsächlich passiert. Da wir in jeden Prozess hineinzoomen können, sieht man auch, um was für Abweichungen es sich handelt. Wenn wir zum Beispiel in die Arbeit eines Finanz-Teams hineinschauen, dann lassen sich alle Prozesse nachvollziehen: Rechnungen wurden angelegt, bearbeitet, gebucht und letztlich an den Kunden verschickt. Diese verschiedenen Aktivitäten im Prozess ergeben die verschiedenen Prozessvarianten. Diese können in Celonis mit Visualisierungen wie einem Prozess Explorer bis ins letzte Detail analysiert werden. Bis hin zu einem sogenannten Spaghetti-Diagramm, das 100 Prozent aller Prozessvarianten im Unternehmen enthält.
connect professional: Wie sehen die Reaktionen der Führungsebene des jeweiligen Unternehmens aus, wenn sie ein solches Spaghetti-Diagramm sehen?
Haug: Grundsätzlich ist natürlich klar, dass sich über die Zeit Abweichungen von einem ursprünglich designten Prozess eingeschlichen haben. Dass es aber – zumindest bei einem Großunternehmen – Millionen oder gar Milliarden solcher Varianten im Prozess gibt, ruft einerseits Unglauben hervor, andererseits ist das aber auch ein Wow-Moment. Denn nun kann man ganz konkret auf eine Rechnung oder eine Bestellung fokussieren und nachvollziehen, wie der reale Ablauf in diesem konkreten Fall war. Das ist meistens der Moment, in dem verstanden wird, dass sich über diesen Zugriff ganz viele Fragen datengetrieben beantworten lassen. Zum Beispiel: Wer macht eigentlich was, was läuft gut und was nicht so gut? Im nächsten Schritt kann man entscheiden, welche Abweichungen man erlauben möchte und welche nicht.
connect professional: Wenn sich ein Unternehmen dazu entschließt, Process Mining zu nutzen, ist es dann Voraussetzung, dass die Quellsysteme Cloud-Lösungen sind?
Haug: Nein, wir integrieren uns letztlich mit allen klassischen großen Systemen, gleich ob On-Premises oder in der Cloud. Zudem haben viele unserer Kunden noch On-Premises-Systeme. Wir als Celonis haben ja auch so gestartet: Vor 13 Jahren war Cloud eine schöne Idee, aber es gab eigentlich keine Cloud-Systeme, in denen wirklich signifikante Daten lagen. Das ist bei vielen Unternehmen immer noch so.
connect professional: Gibt es einen Bereich, der sich für den Einstieg besonders gut eignet?
Haug: Wir starten meistens beim Backoffice, speziell in der Finanzbuchhaltung oder dem Einkauf. Das sind Unternehmensbereiche, die sich über Branchen hinweg ähneln. Das hilft uns dabei, dem Kunden recht schnell nachvollziehbare Verbesserungsvorschläge geben zu können. Von dort geht es dann weiter zu Themen wie Lagerung, Produktion oder Auslieferung an den Kunden – und damit dann auch in branchenspezifischere Bereiche.
connect professional: Haben Sie konkrete Beispiele, wo die Technologie von Celonis zum Einsatz kommen kann?
Haug: Unsere Kunden integrieren Celonis sehr stark in ihrem existierenden Ökosystem und binden es quasi als Gehirn im Hintergrund in Prozesse ein. Das kann beispielsweise im Backend eines Online-Shops sein, wodurch sich unter anderem der aktuelle Lagerbestand eines Artikels anzeigen lässt. Ein anderer Fall ist die Orchestrierung von End-to-End-Prozessen: Trifft zum Beispiel eine erwartete Lieferung nicht rechtzeitig ein, so dass ein Unternehmen seine Kunden nicht termingerecht beliefern kann, erhalten diese ein Update mit dem aktuellen Stand. Oder es wird von einer normalen Lieferung auf eine Express-Lieferung geswitcht. Für solche Orchestrierungen über die Prozesse hinweg ist Celonis eine Enabling-Technologie, die die Information liefert, damit diese Re-Priorisierung stattfinden kann.