Algorithmus-Schweinerei

Haste‘ Töne?

8. März 2022, 11:27 Uhr | kopfnuss@ict-channel.com
© AdobeStock/Countrypixel

Arm dran ist die Sau, um deren Schicksal sich viel zu lange niemand geschert hat. Warum auch sollte man sich für frühere Gefühle eines Schweinebratens interessieren? Verlorene Empathie lässt sich mit Daten leicht wiederfinden – eine prima App nicht nur für grobschlächtige Bauern.

Glück lässt sich sehr gut vermarkten. Ein Stück vom Weiderind klingt schon mal gut, doch nicht gut genug für den heute mehr denn je kritischen Konsumenten. Der will es nämlich genauer wissen und interessiert sich für alle noch so kleinen Wege in der Supply-Chain, die seine Mahlzeit von der Wiege bis zum Teller durchlaufen hat. Der Braten schmeckt einer ökologisch-ethischen Wohlstandsklientel umso besser, wenn sie weiß, dass der Bolzenschuss die gerade fröhlich grunzend in der Schlammkuhle sich wälzende Sau unvermittelt traf - die auch sonst ein zwar kurzes, aber überaus glückliches Leben gelebt hatte.

Wer vor den Fleischbergen bei der Metro steht, das Kilogramm Schwein billiger als eine Amazon Prime Monatsrate, will nicht so recht daran glauben, dass es so etwas wie Tierwohl geben, geschweige denn vermarktet werden kann. Geht das überhaupt zusammen: Fürsorge und Massengeschäft? Es geht – mit Hilfe von Lauschangriffen auf Ställe.

Genauer: Ob Schweine gut oder schlecht gelaunt sind, können Forscher nun anhand der Grunzlaute der Tiere erkennen. In positiv und negativ erlebten Situationen gebe es deutliche Unterschiede bei den Rufen von Schweinen, zitiert dpa ein Forscherteam, die im Fachmagazin „Scientific Reports“ von ihrem Experiment berichten. So sei das Grunzen in positiven Situationen viel kürzer und weise geringere Schwankungen in Lautstärke, Intensität und Tonlage auf, erklärt Elodie Briefer von der Universität Kopenhagen.

Über 7.000 Geräuschaufnahmen von 411 Schweinen zeichneten die Forscher auf. Mit Hilfe der Daten erstellten sie einen Algorithmus, mit dem sich feststellen lässt, ob die Gefühle eines einzelnen Schweines positiv sind wie „glücklich“ und „begeistert“ oder negativ wie „verängstigt“ und „gestresst“ oder sich irgendwo dazwischen bewegen. Nun braucht nicht einmal ein Laie einen Algorithmus, um das Schreien eines Schweins auf dem Weg zum Schlachthof vom sachten Grunzen einer Sau im Feld zu unterscheiden und auf die jeweilige Gemütslage des Tiers schließen zu können.

Aber allein weil es faszinierende Technologie  gibt und brillante KI akustische Signale kategorisieren und interpretieren kann, wird der forschende Mensch die letzten Geheimnisse der Natur dekodieren und sie in ein Raster zwängen - und sei es selbst das Glück von Schweinen. Gesucht wird nun noch eine Softwarefirma, die das ganze Datenmaterial in eine App überführen kann, auf das der Bauer per Smartphone seine Schweine analysieren und ihre Töne anschließend in irgendeinem zertifizierten Tierwohl-Label verwursten, respektive auf sein Stück Schweinebraten drucken kann.

Was die Sau davon hat? Sie wird jetzt immerhin abgehört, was den Menschen in seinen innersten Regungen noch bevorsteht.

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