Das bedeutet: Bereits in der Planungsphase sind Mitarbeitende aller Fachabteilungen involviert und idealerweise durch die erfolgreiche Nutzung von Weiterbildungsangeboten vorbereitet. Denn eine IIoT-Umstellung erfordert neue Arbeits-, Kommunikations- und Interaktionsprinzipien auf allen Ebenen.
Und damit ist IIoT immer auch ein Change-Prozess, der die Unternehmenskultur verändert, die künftig von ständiger Lernbereitschaft, Dynamik, Schnelligkeit und auch dem Management von Komplexität in einer ganzheitlichen und flexiblen Ende-zu-Ende-Prozessverantwortung geprägt wird.
Anders als in der industriellen Massenproduktion, in der immer die gleichen Handgriffe, also die ständige Wiederholung, für die Fertigung hoher Stückzahlen identischer Produkte nötig ist, brauchen Mitarbeitende in einer IIoT-Fertigung die Bereitschaft zu ständiger Veränderung und dem Erwerb neuer Fähigkeiten. Agilität, Interdisziplinarität und Kreativität lassen sich aber nicht anordnen. Manager und Fachkräfte müssen ihre Aufgaben eigenverantwortlicher und in ständiger Veränderung schneller und flexibler wahrnehmen. In Routinearbeiten werden sie durch Algorithmen, Soft- und Hardware sowie immer häufiger durch Roboter und Co-Bots entlastet. Vor allem diese Kooperation und Interaktion mit maschinellen Kollegen erfordern Kompetenzen, die kaum ein Industriefacharbeiter in seiner Ausbildung erwirbt. Bis heute enthalten nur wenige Ausbildungskonzepte in Mittelstand und Konzernen diese neuen Kompetenzanforderungen, geschweige denn, dass sie Facharbeiter wirklich auf die Industrie 4.0 vorbereiten.
Zudem ist es gerade für den Mittelstand noch unüberschaubar, welche Kompetenzprofile für die Industrie 4.0 gefragt sind. Deshalb ist es von zentraler Bedeutung, mit der Einführung von IIoT neue Aus- und Weiterbildungsstrategien und -Module zu entwickeln, mit maßgeschneiderten kleinen Lerneinheiten und hohem Praxisbezug, die „on the Job“ neue Fähigkeiten und Kenntnisse vermitteln. Damit sie wirksam werden, sind diese Bildungskurven in den Arbeitsprozess zu integrieren und mit der Umstellung auf eine IIoT-Fertigung einzuplanen.
Schwieriger als der Aufbau Produktions-notwendiger Fähigkeiten ist die Entwicklung persönlicher Kompetenzen. Kommunikationsfähigkeit, der proaktive Umgang mit Wissen, Offenheit für permanente Veränderungen und eine neue Führungskultur bedeuten eine Verhaltensentwicklung und sind abhängig von der Motivation der Führungskräfte. Unternehmen haben die Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Führungskräfte ihr Know-how, und sich persönlich weiterentwickeln. Mit dem Verlagern von Verantwortung und einer stärkeren Spezialisierung einzelner Mitarbeiter überholen sich alte Führungskonzepte. Klassische Führungsaufgaben wie Arbeitsanweisungen und Kontrolle reduzieren sich. Projektarbeit mit gemischten Teams ersetzt klassische Abteilungsstrukturen. Führungskräfte managen künftig auf Zeit zusammengestellte Projektteams, die sich ihre Arbeiten selbstorganisiert aufteilen.
Manager agieren in solchen Arbeitsstrukturen eher als Moderatoren, Mentoren oder Coaches, die Ressourcen koordinieren und die Gruppendynamik begleiten. Sie agieren eher wie Regisseure, die das Gesamtkunstwerk ähnlich eines Film- oder Theatersets mit übergeordnetem Blick formen. Es wird bedeutsam, gemeinsam geteilte Werte zu schaffen, Zusammenhalt zu fördern und jeden Einzelnen in selbst organisierenden Teams zu befähigen, die jeweils beste Leistung zum Erfolg des Projektes beizutragen. Angesichts dieser neuen Anforderungen an Fach- und Führungskräfte kommen Unternehmen künftig nicht umhin, für jede Ebene fachspezifische Qualifizierungsangebote anzubieten und zwar im richtigen Timing. Sie sind gefordert, eine Kultur zu entwickeln, in der Lern- und Veränderungsbereitschaft ein zentraler Teil der Unternehmensleitlinien sind. Parallel zu einer IIoT-Einführung muss deshalb eine Qualifizierungsinitiative für einen rollenspezifischen Kompetenzaufbau der Mitarbeitenden sorgen. Idealerweise wird der Veränderungs-Prozess einer IIoT-Einführung durch ein Schulungssystem begleitet, das die Mitarbeiter zeitgerecht mit Virtual Classrooms und hybriden Lernformen auf die neue Welt vorbereitet. In sicherheitsrelevanten Bereichen sind neben Schulungen und Weiterbildungsmaßnahmen auch Personenzertifizierungen sinnvoll, um die Befähigung der Mitarbeitenden zu prüfen und einen Nachweis zu führen. Das Ziel: Mit dem Start des Live-Betriebs verfügen alle Mitarbeiter ein ihrer Rolle angepasstes und dennoch einheitliches Verständnis der Prozesse.
Die Planung neuer digitaler Prozesse und deren Einführung sind ohne fachkundige Mitarbeitende schwer vorstellbar. Qualifizierung und Kompetenzmanagement der Akteure sowie Personenzertifizierung sind zentrale Erfolgsfaktoren für die Entwicklung einer erfolgreichen smarten Fabrik. Denn sie funktioniert dann smart, wenn sie als ein Mensch-Maschinen-System geplant ist, in dem jeder (menschliche und maschinelle) Akteur seine Rolle kennt und dynamisch und agil ausfüllt. Damit Unternehmen den Sprung in die Industrie 4.0 meistern – und nicht nur digitale Technologien einziehen, haben Unternehmen parallel in ihre Mitarbeiter zu investieren. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, können Menschen, Technik und Prozesse optimal zusammenspielen und das Unternehmen das Potenzial seiner neuen IIoT-Fertigung voll ausschöpfen.
Markus Dohm ist Bereichsvorstand Academy & Life Care bei TÜV Rheinland