Video-Ident-Verfahren und E-Rezept

Stop & Go im Gesundheitswesen

23. Januar 2023, 14:15 Uhr | Sabine Narloch
© Norbert Preiss, funkschau

Rotes Licht für das Video-Ident-Verfahren, grünes Licht beim E-Rezept: Die letzten Monate des vergangenen Jahres waren ereignisreich im deutschen Gesundheitswesen.

Es war ein Paukenschlag im Sommer des vergangenen Jahres: Am 9. August hatte die Nationale Agentur für Digitale Medizin Gematik die Nutzung von Video-Ident-Verfahren für die Ausgabe von Identifizierungsmitteln zur Nutzung in der Telematikinfrastruktur für nicht mehr zulässig erklärt und verfügt, dass die Krankenkassen das Video-Ident-Verfahren ab sofort auszusetzen haben. Die Gematik trägt die Gesamtverantwortung für die Telematikinfrastruktur, die zentrale Plattform für digitale Anwendungen im deutschen Gesundheitswesen.

Bei der videobasierten Online-Identifizierung, die auch Video-Ident genannt wird, können Nutzer ihre Identität per Video-Chat nachweisen. Das ist gerade im Gesundheitssektor von Vorteil. Denn krankheits- oder altersbedingt, bei Bewegungseinschränkungen oder im ländlichen Raum kann ein Gang zur Krankenkassen-Filiale beschwerlich sein. Für Video-Ident hingegen genügt es, ein ID-Dokument wie den Personalausweis in die Kamera zu halten. Dieses wird mit der zu identifizierenden Person abgeglichen und auf Echtheit geprüft. Im Falle der Krankenkassen war es auf diesem Weg möglich, beispielsweise eine elektronische Patientenakte (ePA) zu eröffnen.

Bereits in der Vergangenheit hatte es immer wieder Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Video-Idents gegeben. Ins Wanken gebracht wurde das Verfahren von einem Bericht des Chaos Computer Clubs (CCC). Dieser hatte im August einen Bericht veröffentlicht, in dem er inhärente Schwächen der Echtheitsprüfung physischer ID-Dokumente demonstrierte. Dreh- und Angelpunkt der Angriffe war laut Bericht, dass aus zwei oder mehreren echten ID-Dokumenten ein neues künstliches ID-Dokument hergestellt wurde. Auch Angriffe auf die elektronische Patientenakte einer eingeweihten Testperson wurden dabei unternommen, darunter eingelöste Rezepte, ärztliche Diagnosen oder Original-Behandlungsunterlagen.

Laut dem CCC-Bericht hatten zum Zeitpunkt der Demonstration von den 30 größten Krankenkassen in Deutschland 29 Kassen die Identifikation des Versicherten per Video-Ident angeboten. Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder sprach in einer Stellungnahme zum Verfahrensstopp denn auch von einem „Bärendienst“, den die Gematik den PatientInnen in Deutschland beschert habe. „Statt Anbieter mit Verdacht auf Sicherheitslücken anzusprechen und Lösungen zu erarbeiten, wurden alle Dienste pauschal gesperrt.“ Er forderte damals, dass Video-Ident-Anbieter ohne Sicherheitslücken „bei den Krankenkassen umgehend wieder für Identifizierungsverfahren zugelassen werden“.

Nun stellt sich fortan die Frage, was mit den bisher durchgeführten Identifikationen per Video passieren soll. „Die Gematik sieht keinen Anlass dafür, pauschal alle bereits in der Vergangenheit durchgeführten Video-Identifikationen infrage zu stellen“, erklärt Holm Diening, Chief Security Officer bei der Gematik, auf funkschau-Nachfrage im November 2022. Stattdessen würden die Krankenkassen eigenverantwortlich prüfen, ob es konkrete Verdachtsmomente gegeben habe. „Nur, wenn ein konkreter Verdacht besteht, wird eine Krankenkasse die Echtheit einer erfolgten Identifikation nachprüfen“, so Diening weiter. Bei AOK und Barmer gab es in dieser Hinsicht offensichtlich keine Vorkommnisse. „Uns sind keine Fälle bekannt, in denen es gelungen ist, das von der AOK eingesetzte Verfahren zu überlisten“, ließ ein Sprecher des AOK-Bundesverbandes gegenüber funkschau verlautbaren. Und auch die Barmer erklärte, dass sie in dieser Hinsicht keine Fälle identifiziert habe.

 

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