KI krempelt IT-Berufe um – rasant und radikal. Sie erkennt Muster in riesigen Datenmengen, automatisiert Routineaufgaben und kann Komplexes erstaunlich einfach machen. Was bedeutet das für die klassischen IT-Kompetenzen? Welche neuen Fähigkeiten wichtig werden, zeigt ein Blick in die Praxis.
Angesichts einer lahmenden Wirtschaft sind Unternehmen in Deutschland vorsichtig bei Neueinstellungen. Das zeigt auch der IT-Arbeitsmarkt. Laut Hays Fachkräfte-Index ging die Nachfrage nach IT-Positionen im vierten Quartal 2024 gegenüber dem dritten Quartal um satte 18 Prozent zurück. Mit einem zaghaften Plus von 8 Prozent im ersten Quartal 2025 sahen die Zahlen dann allerdings schon wieder etwas positiver aus. Neben dem üblichen „Budget-Effekt“ durch neu aufgestockte Personalbudgets, begründet sich dieser leichte Hoffnungsschimmer sicherlich die zunehmende Attraktivität von generativer künstlicher Intelligenz, deren rasanter Fortschritt angestammte IT-Jobprofile nahezu täglich verändert. Firmen scheinen sich laut Aussagen des Personaldienstleisters bei der Suche nach Softwareentwicklern allmählich umzuorientieren. Zumal die Suche nach klassischen IT-Entwicklern in Summe im vergangenen halben Jahr stark abgenommen hat. Ein mögliches Indiz dafür, dass sich viele lieber gleich auf die Suche nach KI-kundigen Kandidaten machen.
In der Hoffnung, die neuen KI-Koryphäen können ihren Job deutlich effizienter erledigen und lassen ihr Wissen direkt in neue Produkte einfließen. Allerdings haben die KI-bezogenen Stellengesuche meist nicht so sehr die Anwendung von künstlicher Intelligenz auf dem Zettel. Gesucht werden vor allem spezialisierte KI-Entwickler, die Wissen in den Bereichen Machine Learning oder Large Language Models (LLM) einbringen. „Der Fokus unserer Auftraggeber liegt bei KI klar auf Skill-based Hiring“, so Sarah Köhl, Director Technology bei Hays. Dabei geht es um kompetenzbasiertes Recruitments. Die tatsächlichen Fähigkeiten stehen im Mittelpunkt, nicht etwa Zeugnisse oder Studienabschlüsse. Köhl beobachtet, welche Kompetenzen bei Softwareentwicklern gerade heiß begehrt sind, und welche locker durch die KI übernommen werden können. „Prompting, der souveräne Umgang mit Open-Source-KI-Modellen oder auch Kenntnisse in der KI-Governance stehen ganz oben auf der Wunschliste. Routine-Coding oder manuelles Testing hingegen weniger, das kann die KI übernehmen.“
Dieser wachsende Bedarf an ausgewiesener KI-Expertise hat mittlerweile auch das Weiterbildungsangebot verändert. Universitäten, Hochschulen und einschlägige Bootcamps haben längst reagiert und bieten heute spezialisierte Lernformate an, die versuchen, ihre Angebote so gezielt wie möglich auf die Anforderungen der Zielgruppe auszurichten. Für angehende Softwareentwickler, die sich auf diesen Bereich spezialisieren möchten, eröffnet sich damit eine breite Auswahl an attraktiven Möglichkeiten – sowohl im internationalen als auch im nationalen Raum. Besonders einsteigerfreundlich zeigen sich Programme wie die Code Labs oder der Anbieter Le Wagon, der unter anderem in Berlin und München vertreten ist. Aber auch öffentliche Hochschulen mischen mit: So bieten etwa die Hochschule Offenburg und die HTW Berlin spezialisierte Studienangebote für interessierte Studieneinsteiger. Letztere verweist nicht ohne Stolz darauf, dass zahlreiche deutsche GenAI-Gründer dort ihr Studium absolviert haben.
Was oft vergessen wird: Der Umgang mit angewandter künstlicher Intelligenz allein macht noch keinen versierten KI-Entwickler. Darüber hinaus sollte sich der Entwickler-Nachwuchs klar darüber werden, welche berufliche Laufbahn er im Bereich der Softwareentwicklung anstreben möchte. Wenn es um die reine Programmierleistung geht, kommt man kaum noch ohne KI-Know-how aus. Sie übernimmt bereits weite Teile der klassischen Programmierschule, wie automatisiertes Testing oder das automatische Generieren von Codes. In der Programmierung läuft es also künftig auf eine Teilautomatisierung des Aufgabenspektrums hinaus. Für Entwickler mit Fokus auf den operativen IT-Betrieb wird es allerdings herausfordernder. Ihre Arbeit wird durch den Umgang mit großen Sprachmodellen deutlich komplexer. Diese Experten brauchen umfangreiches Know-how, um die großen Blackbox-Lösungen wie Gemini oder ChatGPT für unternehmensspezifische Anforderungen kompatibel zu machen.
„Die erfolgreichsten IT-Projekte, die wir sehen, sind die, in denen ein IT-Generalist oder Mitarbeiter aus einem anderen Fachbereich sich die nötigen Tool- und Programmierkenntnisse aneignet, um ein Businessproblem zu lösen,“ sagt Ines Montani, Gründerin und Geschäftsführerin von Explosion.ai. „Das funktioniert meist schneller und besser als bei ausgebildeten KI-Experten. Die suchen erst nach einem Anwendungsbereich, um ihre Technologie einzusetzen.“ Nach Einschätzung von Montani sind es vor allem IT-Generalisten – nicht die spezialisierten KI-Experten –, die die technische Integration von KI in Unternehmen vorantreiben oder sogar eigenverantwortlich umsetzen. Sie sieht vor allem einen großen Bedarf bei Entwicklern, die sich mit Open-Source-Tools auskennen, nicht jene, die ausschließlich auf große KI-Sprachmodelle setzen. Ihrer Erfahrung nach basieren die meisten praxisnahen KI-Anwendungen auf spezifischen Unternehmensanforderungen. „Ein überdimensioniertes „Generalmodell“ ist dafür nicht nötig“, so Montani. Stattdessen brauche es schlanke, maßgeschneiderte Lösungen – und IT-Generalisten, die den Blick für das große Ganze behalten.
IT-Positionen mit den größten Gehaltszuwächsen durch KI-Kompetenz |
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Laut StepStone und IT-Talents bringen KI-Kenntnisse in der IT spürbare Gehaltsvorteile – je nach Position bis zu 25 Prozent mehr. Besonders gefragt: Data Scientists, ML-Engineers und KI-Entwickler. Die lukrativsten Rollen im Überblick:
Fortgeschrittene KI-Kompetenzen führen in diesen IT-Berufen zu Gehaltssteigerungen von 10 Prozent bis über 25 Prozent gegenüber vergleichbaren Positionen ohne KI-Schwerpunkt. |
Aber die brauchen zunächst eine handfeste Weiterbildung. Daher machen sich Unternehmen parallel zum Recruitment vielversprechender Hochschul-Absolventen bereits konkrete Gedanken zum internem „KI-Enablement“. Sie möchten – oft aus Kosten und Zeitgründen - den eigenen Mitarbeitenden die Möglichkeit geben, sich in künstlicher Intelligenz aufzuschlauen. „Ausgelöst durch KI als Wettbewerbsfaktor stehen Unternehmen hier unter enormen Qualifizierungsdruck,“ weiß Personalberaterin Köhl. Insbesondere IT-Generalisten, die sich bisher um die Administration sowie den Support von IT-Systemen oder auch den Betrieb von Hard- und Software gekümmert haben, stehen im Fokus. Sie kennen die IT-Infrastruktur, Entscheidungswege und Abläufe zwischen den Bereichen. Der Hays Report „Future Skills“ hat in diesem Kontext unter knapp 1.000 befragten Unternehmensentscheidern herausgefunden, dass fast die Hälfte sich dafür ausspricht, bestehende IT-Kenntnisse durch KI-Know-how zu ergänzen (Upskilling). Ihre IT-Kräfte sollen sich über grundlegende Konzepte von KI informieren und ein Grundverständnis für maschinelles Lernen, Data Mining sowie ein Verständnis für Entscheidungsbäume sowie neuronale Netze entwickeln. Aber auch Kenntnisse über generative KI-Modelle und der KI-Einsatz zur Personalisierung von Produkten und darüber hinaus eine gewisse Datenkompetenz gehören dazu.
Deutlich weniger Studienteilnehmer sprechen sich dafür aus, ihre IT-Mitarbeitenden auf komplett neue Fähigkeiten umzuschulen. Nur 36 Prozent ziehen Reskilling in Betracht, da sie um die Bedeutung von moralischen Fragestellungen, Datenschutz und Compliance im KI-Kontext wissen. Denn gerade die Softwareentwicklung bringt erhebliche ethische Herausforderungen mit sich. Bedenken, die sich sowohl auf die Entwicklung als auch auf die Anwendung von KI-gestützten Systemen und Entscheidungen beziehen. Diese Fähigkeiten gehören nicht zum gängigen Skillset eines Entwicklers, sind aber erfolgskritisch für jede KI-basierte Anwendung. „Gerade weil Softwareentwickler beim Einsatz von KI quasi am offenen Herzen operieren, brauchen sie ein ausgeprägtes ethisches Verständnis sowie kritisches Denken, um beispielsweise Diskriminierung oder Haftungsaspekte sofort anhand der Ergebnisse identifizieren zu können“, so Sarah Köhl. Denn je autonomer KI-Systeme agieren, desto schwerer wird es für den Mitarbeiter, zu kontrollieren und mögliche unethische Entscheidungen rechtzeitig zu erkennen.
Besonders aufschlussreich in diesem Zusammenhang: Die Mehrheit der Studienteilnehmer geht davon aus, dass mit dem wachsenden unternehmensweiten Einsatz von KI auch die Anforderungen an die Qualifikationen für IT-Generalisten als auch Spezialisten steigen werden. Daher die Erwartung: In der IT werden künftig mehr qualifizierte Stellen entstehen, als durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz möglicherweise entfallen. Aber zeigt sich diese Aufwertung des Berufsbilds bereits im Gehalt?
„Aktuell sehen Unternehmen KI vor allem als Produktivitätsbooster – nicht als Grundlage für ein Premium-Gehalt“, erklärt Sarah Köhl. Dennoch weiß jede Fachkraft: Wer die Produktivität seines Arbeitgebers nachweislich steigert, schafft am Ende eine solide Basis für eine bessere Bezahlung.
Silvia Hänig ist Managing Director bei Ikom.