Der Mangel an Fachkräften ist dramatisch, vor allem in der IT. Klassische Rekrutierungswege funktionieren immer weniger. Und was sagen die IT-Personaldienstleister? Welche Trümpfe haben sie noch im Ärmel?
Der Artikel liefert unter anderem Antworten auf folgende Fragen:
Mit Widersprüchen ist das so eine Sache, erst recht, wenn man aus den Entwicklungen des IT-Fachkräftemarktes der vergangenen Monate eine tragfähige Personalstrategie für das eigene Unternehmen ableiten soll. Obwohl in zahlreichen Branchen tausende IT-Fachkräfte fehlen, scheinen das Nachfrageverhalten vieler Unternehmen und der steigende Anstieg offener IT-Positionen nicht recht zueinander zu passen. Der Branchenverband Bitkom weist immer wieder darauf hin, dass in der deutschen Wirtschaft derzeit 137.000 offene IT-Stellen existieren, doch die Nachfrage nach IT-Spezialisten schwankt quartalsweise.
Dies geht aus dem aktuellen Fachkräfte-Index der Personalberatung Hays hervor. In den letzten drei Quartalen des Jahres 2022 hatten es Unternehmen anscheinend, trotz hoher Vakanzen, nicht besonders eilig bei der Suche nach zusätzlicher IT-Expertise. Die Nachfrage nahm seit dem zweiten Quartal 2022 kontinuierlich ab. Und das, obwohl viele Positionen noch unbesetzt waren.
Seit dem ersten Quartal 2023 scheint die Wirtschaft insgesamt wieder etwas zuversichtlicher zu sein, was möglicherweise den Anstieg der Stellenausschreibungen erklärt. Insgesamt wurden 117.500 IT-Stellen ausgeschrieben, wobei laut Hays-Index insbesondere IT-Security-Experten, SAP-Entwickler und IT-Architekten gesucht werden. Doch wie lässt sich das ambivalente Einstellungsverhalten angesichts des chronischen Personalmangels in der IT erklären? Und welche Lösungen gibt es noch jenseits eingetretener Rekrutierungspfade?
Andreas Sauer, Bereichsleiter Technology beim Personaldienstleister Hays, hat aus seiner Erfahrung heraus festgestellt: „In den vergangenen Quartalen bestand auch grundsätzlich ein Bedarf an IT-Fachkräften. Allerdings hat die Investitionsbereitschaft im Jahr 2022 stark abgenommen. Da Digitalisierungs- oder Transformationsvorhaben in der Regel große IT-Projekte sind, wurde verstärkt der Return on Investment hinterfragt. In einigen Fällen wurden sogar Projekte komplett gestoppt", erklärt Sauer. Außerdem betont er, dass es wichtig ist, bei der IT-Nachfrage immer nach Positionen oder Branchen zu differenzieren. „Im Bereich IT-Security sind die Kompetenzanforderungen mittlerweile so komplex, dass es keinen Sinn machen würde, nur eine Person für eine Position zu suchen. Hier geht es häufig um mehrere Stellen gleichzeitig“, so Sauer.
Eine Branche, die große Engpässe, aber auch großen Bedarf an IT-Fachkräften hat, ist die Automobilindustrie. Hier sind die Innovationszyklen mittlerweile so schnell geworden, dass die Rekrutierung für eine Festanstellung keinen Sinn machen würde. „Wir beobachten, dass gerade im Zuge laufender Digitalisierungsprojekte bevorzugt IT-Experten zum Einsatz kommen, die sich mit Embedded IT-Systemen sowie der funktionalen Sicherheit auskennen“, erklärt Christoph Kugelmann, Vertriebschef von Etengo. Der Personaldienstleister hat sich auf die Organisation von projektbasierten IT- und Digitalexperten spezialisiert. Das bedeutet, dass hochqualifizierte IT-Freiberufler je nach Umfang und Dauer eines Transformations- oder Digitalprojektes per Dienstvertrag eingekauft werden. Ist der gesuchte Skill tatsächlich verfügbar, kann das IT-Projektgeschäft eine lohnende und effiziente Alternative sein, schnell externes Wissen für komplexe, zeitkritische Projekte zu sichern. Aber nicht nur rein wirtschaftlich macht der Einsatz dieser externen IT-Experten Sinn. Sie entlasten zusätzlich die ohnehin bereits chronisch überlastete interne IT-Organisation. Einziger Wermutstropfen: Gesetzliche Vorgaben machen den projektbezogenen Einsatz von Externen unnötig kompliziert.
Firmen kommen also nicht umhin, sich mit neuen Möglichkeiten anzufreunden, um ihre offenen Positionen zu besetzen. Es dürfte jedoch weder den internen IT-Rekrutern noch den IT-Personaldienstleistern leichtfallen, geeignete Kandidaten zu finden. Denn der Markt ist so gut wie leergefegt. Zudem fischen doch alle im selben Teich. Dennoch haben einige Unternehmen mehr Erfolg als andere.
Ein großer Teil dieses Erfolgs liegt laut Andreas Sauer von Hays an den guten Kundenbeziehungen: „Durch langjährige Beziehungen zu unseren Auftraggebern erfahren wir manchmal schon von offenen Stellen im IT-Bereich, bevor sie offiziell ausgeschrieben werden. Das gibt uns einen Vorteil bei der Suche.“ Zudem agiert Hays bei der Suche nach IT-Fachkräften auch international und arbeitet mit Niederlassungen in Ländern wie Polen, Spanien und Rumänien zusammen. „Dort finden wir oft Kandidaten, die bei uns bereits knapp sind.“
Auch Etengo kennt Wege, die zum Erfolg führen. „Neben der Projektanfragen auf einschlägigen Freelancer-Plattformen oder Empfehlungen unserer IT-Experten beraten wir unsere Auftraggeber bei der Konkretisierung der Anforderungsprofile“, erklärt Kugelmann. Denn mit der zunehmenden Komplexität unterschiedlicher IT-Disziplinen ist es nicht immer klar, welcher spezifische Skill eigentlich benötigt wird. „Gemeinsam mit unseren Kunden machen wir eine Bedarfsanalyse, in der Aspekte wie Projektumfang, Verfügbarkeit von Experten mit bestimmten Fähigkeiten und alternative Profile besprochen werden. Schnelligkeit ist dabei besonders wichtig, denn wenn der Prozess zu lange dauert, sind die begehrten IT-Experten wieder in anderen Projekten gebunden.“
Auch der Wettbewerber Robert Half setzt auf enge Zusammenarbeit mit langjährigen Kunden und Kandidaten. „Wir sind mit Kunden, Kandidaten und Partnern in ständigem Austausch, mitunter auch ohne konkreten Recruiting-Anlass. Wir verstehen uns vor allem als Wissenspartner, der Markttrends beobachtet, analysiert und kommuniziert,“ sagt Pascal Köth, Vice President Technology von Robert Half in Deutschland. Seiner Ansicht nach sollte man aber, auch wenn die Not groß ist, die Finger von der Kaltakquise lassen. „Die Akquise hat sich merklich gewandelt. Hat das Unternehmen oder der Kandidat das Gefühl, die jeweilige Zeit werde geraubt, kann und wird sich das negativ auf den entsprechenden Gesprächsverlauf auswirken,“ so Köth.
Offene Positionen per tragfähiger Kundenbeziehung oder dank diverser Standorte im Ausland schließen, schön und gut. Aber was ist mit der aktuellen Entlassungswelle der großen Tech-Giganten wie Microsoft, Amazon oder Meta? So manch verzweifelter IT-Rekruter dürfte auch auf diese Quelle seine derzeitigen Hoffnungen setzen, um an Personal zu gelangen. Aber auch hiesige Start-ups und kleinere Technologiefirmen mussten aufgrund eines anhaltenden Kostendrucks ihre IT-Talente ziehen lassen. Die angespannte wirtschaftliche Lage belastete vor allem die Gründerszene in Deutschland.
Bekannt ist, dass viele dieser talentierten Fachkräfte derzeit vor allem abseits der großen Namen nach neuen Beschäftigungsmöglichkeiten mit guten Arbeitsbedingungen suchen. Auch eine aktuelle Studie der Marktforscher von Gartner1 bestätigt, dass die Talente aus der schnelllebigen Tech-Welt nun verstärkt über ihre Arbeitsidentität und den Wert von Arbeit als Teil ihrer Lebensgestaltung nachdenken. Es geht ihnen also mehr um die Work-Life Balance und weniger um das hohe Gehalt. Das könnte weniger bekannten Unternehmen mit moderner Arbeitskultur, die zudem eher in ländlichen Regionen ansässig sind, einen großen Vorteil bringen. Ein weiterer attraktiver Faktor für IT-Fachkräfte ist die Innovationskraft des jeweiligen Standorts, wie das prominente Buhlen der Regierung aus Bayern zeigt, wenn es darum geht, Spitzenkräfte aus dem Silicon Valley anzulocken.
Allerdings bestehen berechtigte Zweifel gegenüber solchen Lockangeboten. „IT-Fachkräfte aus den USA nach Deutschland zu holen, ist eine schwierige Angelegenheit und nur in absoluten Ausnahmefällen erfolgversprechend“, erklärt Bernhard Rohleder, Geschäftsführer des Branchenverbandes Bitkom. „Auch in den USA haben Unternehmen einen hohen Bedarf an IT-Know-how, weshalb die Betroffenen im eigenen Land in der Regel ebenfalls sehr gute berufliche Perspektiven haben“, fügt Rohleder hinzu. Darüber hinaus weist er darauf hin, dass in Deutschland hohe Steuern anfallen, was einen Wechsel aus den USA rein finanziell wenig attraktiv macht. Dann doch besser gemeinsam mit dem Personaldienstleister des Vertrauens die IT-Talente aus der hiesigen Wirtschaft ansprechen, ganz ohne bürokratische und finanzielle Hürden.
Silvia Hänig, Managing Director bei iKOM
1 https://www.gartner.de/de/insights/future-of-work