Was Agentic AI leisten kann

Die entscheidungsfreudige KI

11. Juli 2025, 7:00 Uhr | Autor: Glenn Nethercutt | Redaktion: Jörg Schröper
© Unai Huizi Photography - shutterstock.com

Die Entstehung virtueller Agenten auf Basis von generativer KI (GenAI) gilt als Meilenstein in der Entwicklung der künstlichen Intelligenz (KI). Der nächste evolutionäre Schritt dieser intelligenten Systeme wird von der agentenbasierten KI (Agentic AI) vorangetrieben.

Diese fortschrittliche Technik wird frei agieren, nicht-deterministische Probleme lösen und vollkommen souverän agieren. Unternehmen erhoffen sich vom Einsatz der KI-gesteuerten Agenten riesige Effizienz- und Einsparpotenziale. Doch nicht jede Lösung, die als Agentic AI angepriesen wird, verfügt auch tatsächlich über die gewünschten Fähigkeiten.

Seit Jahren verlassen sich Unternehmen auf die Unterstützung durch KI und Machine Learning (ML), um Aufgaben zu automatisieren, Arbeitsabläufe zu beschleunigen und Daten in großem Umfang zu analysieren. Die meisten heutigen KI-Systeme verfügen jedoch noch nicht über echtes Denkvermögen.

Chatbots und virtuelle Assistenten folgen starren Skripten, die auf vordefinierten Pfaden und vorhersehbaren Zielen basieren. Agentic AI geht weit über die Fähigkeiten eines Chatbots hinaus, denn sie verfügt über echte Intelligenz und Autonomie.

Agentic AI denkt mit

Agentenbasierende KI ist nicht eine weitere Automatisierungsschicht oder ein Chatbot mit ein paar zusätzlichen Entscheidungsbäumen. Sie generiert keinen Text und führt keine einfachen Befehle aus. Agentic AI wird als “handlungsfähige" und “agierende“ KI bezeichnet, denn sie kann frei und proaktiv agieren. Sie löst dynamische, nicht-deterministische Probleme, passt sich spontan an und bewegt sich abseits der starren, vordefinierte Pfade.

Ein einfaches Szenario veranschaulicht am besten, wie Agentic AI funktioniert: Ein Kunde möchte einen Internet-Ausfall melden. Der Standard-Chatbot fragt: „Haben Sie versucht, Ihren Router neu zu starten?“ und eskaliert an einen Menschen, sobald er keine geskriptete Antwort mehr parat hat. Ein echter Agent erkennt also automatisch den Ausfall im Gebiet des Kunden, prüft den Verlauf des Kundenkontos, stellt proaktiv eine Gutschrift für die Unannehmlichkeiten aus, setzt bei Bedarf einen Techniker ein und hält den Kunden auf dem Laufenden - und das alles, ohne dass er gefragt wird. Der Unterschied ist also immens.

Automatisiertes Denken (Automated Reasoning) ist die Grundlage für Agentic AI und trägt dazu bei, dass jede Entscheidung der KI, jeder Schritt in ihrem Prozess, hieb- und stichfest ist. Diese Entscheidungsfähigkeit hilft dabei, „Halluzinationen“, also falsche Schlussfolgerungen, zu verhindern. Jede Aktion wird anhand einer Reihe von Einschränkungen validiert, um unterstützend Konsistenz und Zuverlässigkeit zu gewährleisten.

Konstitutionelle KI: Grenzen für Innovation setzen

Der riesige Spielraum der Agentic AI muss kontrolliert werden, um Transparenz, Fairness, und Verantwortlichkeit in KI-Systemen zu ermöglichen. Dort kommt konstitutionelle KI ins Spiel: Sie ist das ethische Rückgrat der agentenbasierenden Technik und setzt dieser Grenzen, indem sie vordefinierte Regeln und Prinzipien verwendet, die den Entscheidungsprozess leiten. Durch die Vorgabe von ethischen Richtlinien, rechtlichen Rahmenbedingungen und Geschäftsstandards versucht die konstitutionelle KI, Verzerrungen und Voreingenommenheit in KI-Modellen zu verhindern. Ihre Aufgabe ist einfach: Sie setzt die Regeln durch, ohne Ausnahmen.

Die Richtlinien können auf mehreren Ebenen angepasst werden, von allgemeinen Unternehmensregeln bis hin zu länderspezifischen Vorschriften – um alle unterschiedlichen und individuellen Anforderungen zu berücksichtigen. Regionale Anpassungen erlauben die Einhaltung lokaler Gesetze und kultureller Normen, während branchenspezifische Regeln die besonderen Gegebenheiten in Betrieben beachten.

Eine entscheidende Herausforderung in diesem Prozess liegt darin, das Gleichgewicht zwischen Flexibilität und Strenge zu halten. So kann es beispielsweise sein, dass ein Unternehmen KI zur Erörterung eines sensiblen Themas benötigt, während ein anderes sie gänzlich verbietet. Konstitutionelle KI erlaubt es dem KI-Agenten im Idealfall, verantwortungsvoll zu agieren, ohne übermäßig restriktiv zu sein. Ein solches Rahmenwerk sollten politische Entscheidungsträger, Unternehmen und Technikführer gemeinsam erarbeiten, um festzulegen, was Agentic AI tun kann und was nicht.

So gefragt ist Agentic AI

Die Unternehmenswelt scheint große Hoffnungen in die KI-gesteuerte Agenten zu setzen: Sie sollen enorme Zeitersparnisse bringen sowie Effizienz und Produktivität steigern. Laut einer Befragung unter IT-Entscheidern in Deutschland rechnen diese mit einem Einsparpotenzial von wöchentlich 18 Arbeitsstunden pro Mitarbeiter. Vor allem in IT-intensiven Branchen würde das einen deutlichen Anstieg der Produktivität bedeuten.

47 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass agentenbasierte KI dasselbe Effizienzniveau erreicht wie ein menschlicher Mitarbeiter; mehr als ein Drittel (37 Prozent) glaubt, dass sie sogar mehr leisten kann. Für diese vielversprechenden Aussichten sind Unternehmen bereit, viel zu investieren: 2,6 Millionen Euro planen deutsche Unternehmen im Durchschnitt für das Jahr 2025 ein. Das ist mehr als Firmen in Großbritannien (2,3 Millionen Euro) und in den USA (2,5 Millionen Euro) ausgeben wollen.

Der „Agentic AI Report 2025“ der US-Firma Uipath zeigt auf, welche konkreten Leistungen und Vorteile sich IT-Entscheider von KI-Agenten erhoffen: 58 Prozent möchten eine verbesserte Übersicht über die Geschäftsabläufe erhalten. 53 Prozent wünschen sich eine stärkere Integration zwischen Anwendungen und 52 Prozent die Automatisierung komplexer Geschäftsabläufe. Mehr als ein Drittel der befragten IT-Führungskräfte in den USA gaben an, dass sie bereits Agentic AI im Unternehmen einsetzen. Insgesamt gab mit 93 Prozent die überwältigende Mehrheit der Befragten an, sie seien „extrem“ oder „sehr“ an Agentic AI interessiert.

Ruhe bewahren im KI-Goldrausch

Wenn große Budgets in Aussicht sind, gibt es viele, die ein Stück vom Kuchen abhaben wollen. Daher sollten Unternehmen Angebote für Agentic AI genau daraufhin prüfen, ob diese auch wirklich echte Intelligenz und Souveränität bieten. Manche sogenannten „KI-gestützten“ Lösungen sind kaum mehr als verherrlichte Wenn-Dann-Funktionen, die lediglich Workflows abarbeiten und vordefinierte Reaktionen auslösen. Solche eingeschränkten Fähigkeiten führen beispielsweise bei Anfragen im Kundenservice zu Sackgassen und zu einem frustrierenden Kundenerlebnis. Automatisierungslösungen, die fälschlicherweise als KI-Agenten vermarktet werden, sind nicht nur irreführend und untergraben auch Innovationen und Fortschritt.

Wir befinden uns momentan in einer entscheidenden Entwicklungsphase: Bisher kennen wir KI, die effizient, aber vorhersehbar ist. Nun kommt agentenbasierende KI, die nicht nur reagieren kann, sondern Gründe und Zusammenhänge findet, sich anpasst und innerhalb intelligenter Leitplanken unabhängig agiert. Bald wird sich KI von einem digitalen Assistenten zu einem digitalen Strategen entwickeln, der selbständig komplexeste Szenarien bewältigt. Die Fortschritte und das Potenzial der agentenbasierten KI sollten nicht unterschätzt werden.

Glenn Nethercutt ist Chief Technology Officer bei Genesys.

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