In der Pflege sind digitale Lösungen noch nicht weit fortgeschritten, obwohl sie viel Potenzial für die Bewältigung von Problemen bieten. Es lohnt sich also, Hürden bis zur Implementierung abzubauen. Doch wie tragen digitale Lösungen genau dazu bei, die Pflege attraktiver und menschlicher zu machen?
Aktenberge aus Papier, eine zeitraubende Kommunikation via Fax oder die händische Planung der Schichten für die MitarbeiterInnen: Diese Tätigkeiten sind Zeitdiebe, die die aktuellen Probleme in der Pflege wie den Fachkräftemangel und die Unterversorgung in ländlichen Gebieten weiter verstärken. Doch dafür gibt es Lösungen. Denn digitale Applikationen auf dem Smartphone, dem PC, Tablet oder Laptop bieten die Möglichkeit, die bestehenden Konzepte grundlegend zu überdenken. Wie genau funktioniert das?
Dokumentation: Cloud-basierte Applikationen können eine wichtige Änderung des bisher dominierenden Pflegekonzepts bewirken. So entfällt beispielsweise eine zeitraubende Übergabe an KollegInnen. Da Pflegekräfte hier ihre Tätigkeiten und den Zustand der Patientin beziehungsweise des Patienten vermerken, ist es aber wichtig, dass die Pflegeakte eines Patienten datenschutzkonform in der Lösung gespeichert wird. Von Vorteil ist jedoch, dass die Pflegeleitung beispielsweise durch eine vernetzte Tourenplanung eine gute Übersicht erhält. Und auch die Abrechnungen der erbrachten Leistungen sind mit dieser Art der elektronischen Pflegedokumentation (ePD) leichter und zeitsparender zu handhaben. Viele dieser Lösungen werden im Gesundheitswesen bereits gefördert.
Recruiting: Auch für Recruiting- und HR-Angelegenheiten in der Pflege gibt es zahlreiche Anwendungen, die bei der Einstellung neuer MitarbeiterInnen das Dokumentenmanagement erleichtern und die digitale Vertragsunterschrift ermöglichen sollen. So wird der komplette Einstellungsprozess und später dann die Personalakte der MitarbeiterInnen digital dokumentiert.
Schulungen: Pflegekräfte müssen und wollen sich kontinuierlich weiterbilden. Und auch dieser Bereich lässt sich mit digitalen Lösungen abdecken. So können beispielsweise bereits bestehende Learning-Plattformen wie „Pflegecampus“ verwendet und programmatisch an die Bedürfnisse der Nutzer angepasst werden. Somit sind MitarbeiterInnen von Pflegediensten idealerweise in der Lage, gezielt Schulungen zu buchen und die Weiterbildung in ihren beruflichen Alltag zu integrieren.
Wichtig: Nutzt ein Pflegedienst mehrere Anwendungen für verschiedene Bereiche, sollten diese Lösungen miteinander verbunden sein und regelmäßig synchronisiert werden. So ist sichergestellt, dass alle wichtigen Daten immer aktuell sind und MitarbeiterInnen diese einsehen können.
Insbesondere langjährige und etablierte Pflegedienste stehen der Digitalen Transformation aber oft kritisch gegenüber. Gründe dafür sind zum einen Skepsis und mangelnde technische Kenntnisse. Die Nutzung entsprechender Anwendungen gestaltet sich aber immer einfacher, Schulungen für MitarbeiterInnen können zudem weiteres notwendiges Wissen vermitteln. Viele der verfügbaren Anwendungen orientieren sich darüber hinaus in ihrem Aufbau an gängigen Messenger-Applikationen.
Bremsend auf die dringend nötige Digitalisierung in der Pflege wirken zum anderen aber vor allem die Rahmenbedingungen des Gesundheitswesens. So müssen Pflegedienstleister trotz vorhandener digitaler Möglichkeiten eine Papierakte für jeden Patienten führen. Alle Informationen digital an die Krankenkassen zu schicken, ist noch immer nicht möglich, obwohl die beleglose Abrechnung bereits 2019 eingeführt wurde. Bei Patientendaten handelt es sich zudem um hochsensible und datenschutzrechtlich stark geschützte Informationen. In der Pflege genutzte Apps müssen also einen viel höheren Sicherheitsstandard als beispielsweise Social-Media-Apps aufweisen. Das ist richtig so, aber keine Begründung dafür, dass die Einverständniserklärung zur Nutzung digitaler Applikationen durch Pflegedienste und PflegemitarbeiterInnen in Deutschland lediglich in Papierform erfolgen darf. Der Zeitaufwand für alle Beteiligten ist damit letztlich immens.
Zudem gilt: Die Nutzung von Applikationen ist nur ein wichtiger Meilenstein für die Digitale Transformation in der Pflege. Denn auch die Implementierung anderer digitaler Lösungen muss voranschreiten. Aktuelle Beispiele sind smarte Hilfs- und Monitoring-Lösungen wie Sensoren, die eine bedarfsgerechte Pflege unterstützen sollen, sowie andere Smart Home-Konzepte, das sogenannte Ambient Assisted Living. Zu bedenken ist dabei allerdings, dass bei allen Innovationen der menschliche beziehungsweise emotionale Faktor nicht zu kurz kommen darf. Keine digitale Lösung kann die persönliche Zuwendung eines anderen Menschen ersetzen.
Die digitalen Entwicklungen leisten jedoch einen wichtigen Beitrag, Pflege durch die gewonnenen Zeit des Fachpersonals letztlich wieder menschlicher zu gestalten. Sie kommen somit den PatientInnen zugute und unterstützen sie dabei – trotz körperlicher und seelischer Beschwerden – autonom und selbstbestimmt zu leben. Und angesichts des sich immer weiter verschärfenden Pflegenotstandes ist eine schnellere Digitalisierung des Pflegesektors nicht nur dringend notwendig, sondern
alternativlos.
Die Digitalisierungsquoten in ambulanten und stationären Einrichtungen sind allerdings nach wie vor sehr gering. Die Kommunikation mit Ärzten und Apotheken erfolgt in vielen Fällen nach wie vor schriftlich oder per Faxgerät. Die vorhandenen Potenziale werden also noch längst nicht ausgeschöpft. Dabei zeigt die bereits erfolgreich umgesetzte Implementierung durchdachter und User-zentrierter Digitallösungen, dass die planvolle Anwendung technischer Entwicklungen in der Pflege die Lösung für viele aktuell bestehende Probleme sein kann – sowohl für PatientInnen und Angehörige als auch für die Pfleger selbst.
Clemens Raemy, Co-Gründer und -CEO von Kenbi
Aktuell gefordert: „Kompetenzzentrum Digitale Pflege“ |
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Der Koalitionsvertrag sieht eine regelmäßig fortgeschriebene Digitalisierungsstrategie im Gesundheitswesen und in der Pflege vor. Verbände aus dem Sozial-, Pflege- und Gesundheitswesen hatten sich vor diesem Hintergrund im Jahr 2020 zum Bündnis „Digitalisierung in der Pflege“ zusammengeschlossen, um sich dafür einzusetzen, dass die Beteiligten des Pflegesektors aktiv in diesen Strategieprozess einbezogen werden. Bei einem Treffen mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am 13. Juni 2022 im Gesundheitsministerium in Berlin machten VertreterInnen des Bündnisses deutlich, welche Chancen die Digitalisierung gerade für Pflegebedürftige und Pflegende bietet. Zugleich gebe es besondere Hürden, etwa bei der technischen Ausstattung der Einrichtungen, der Anerkennung digitaler Dokumente und der Refinanzierung, betonen die Verbändevertreter. Der Gesundheitsminister begrüßte den initiierten Austausch und sicherte dem Bündnis zu, über die anstehenden Schritte zur Digitalisierung der Pflege im Gespräch zu bleiben. Das Bündnis setzt sich konkret dafür ein, die Digitalisierungsstrategie für die Pflege an fünf übergeordneten Zielen auszurichten, darunter die Vermeidung von Pflegebedürftigkeit, eine bessere pflegerische Versorgung und bessere Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte. Die flächendeckende technische Infrastruktur in den pflegerischen Einrichtungen müsse sichergestellt werden, ebenso Nachhaltigkeit und eine stabile Refinanzierung der Digitalisierungskosten. Hierzu hat das Bündnis beim Treffen im Gesundheitsministerium das Konzeptpapier eines Nationalen Strategieplans vorgelegt. Aus Sicht des Verbändebündnisses sei es zudem wichtig, das projektbezogene Denken zu überwinden und die Digitalisierung ganzheitlich und strukturell anzugehen. Für das Gelingen entscheidend seien das Mitwirken und die Expertise aller Beteiligten, etwa der Pflegebedürftigen, Pflegenden, Leistungserbringer sowie der IT- und Softwarehersteller. Vor diesem Hintergrund empfiehlt das Bündnis die Einrichtung eines „Kompetenzzentrum Digitale Pflege“. Das Zentrum soll als beratende und Orientierung gebende Organisationsstruktur beim Bundesgesundheitsministerium angesiedelt sein und die diversen Stakeholder über ein Expertengremium kontinuierlich einbeziehen. Aufgabe des Kompetenzzentrums Digitale Pflege wäre es, den Einsatz digitaler Technologien in der Pflege zu analysieren und auszuwerten, strategische Teilziele zu formulieren sowie operative Maßnahmen zu planen, umzusetzen und zu evaluieren. (DK) |