Fachkräftemangel

Abschied vom Post & Pray

19. Juli 2019, 14:41 Uhr |
Christoph Zöller, Co-Gründer und CEO der Reverse-Recruiting-Plattform Instaffo, welche 2017 an den Markt gegangen ist. Mit mehr als 600 zahlenden Unternehmenskunden in Deutschland, Österreich und der Schweiz hat das Unternehmen im vergangenen Jahr rund 1,7 Millionen Euro umgesetzt. Mit 60 Mitarbeitern am Standort Heidelberg ist Instaffo damit auf einem guten Weg vom Start- zum Grown-up.
© Instaffo

In Zeiten von Fachkräfte-Engpässen und Digitalisierung stehen sowohl Bewerber als auch Unternehmen vor der Herausforderung, den passenden Arbeitspartner zu finden. Wie mit "Reverse Recruiting" und KI gegen den Fachkräftemangel vorgegangen werden kann, verrät Christoph Zöller von Instaffo.

Der Mangel an Fachkräften frisst sich durch Deutschlands Mittelstand. So zumindest das Bild, das sich zeichnet, schenkt man einer Umfrage der DZ Bank und des Bankenverbandes BVR Glauben: Demnach nannten 96 Prozent der 1.501 befragten Unternehmen Fachkräftemangel als drängendstes Problem. DZ Bank und BVR sprachen von einem „alarmierenden Rekordwert“, denn im Herbst 2018 lag der Wert noch bei 79 Prozent.

funkschau: Wie sehen Sie diese Entwicklung? Kann wirklich von einem Fachkräftemangel die Rede sein oder suchen die Unternehmen einfach nicht richtig?

Christoph Zöller: Wir beobachten diese Entwicklung ebenfalls und sie ist durchaus alarmierend. Alleine im technischen Bereich gab es 2018 laut IW-Studie rund 315.000 unbesetzte Stellen – Tendenz steigend. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass eine Medaille immer zwei Seiten hat. Auf der einen Seite sind es die Unternehmen, die sich aktuell einer guten Auftragslage gegenübersehen, aber das nötige Personal nicht finden. Gleichzeitig sind in Deutschland viele Mittelständler außerhalb der großen Metropolen ansässig, was ihnen die Personalgewinnung noch erschwert. Die zweite Seite zeigt, dass sich viele Unternehmen selbst kaum bewegen und trotz neuer Herausforderungen veraltete Methoden anwenden. Sie veröffentlichen Stellenanzeigen und warten darauf, dass sie von Bewerbern gefunden werden, statt proaktiv auf diese zuzugehen. In Zeiten des akuten Fachkräftemangels müssen Unternehmen genau hinschauen, wo sich potenzielle Kandidaten aufhalten und wie diese angesprochen werden wollen. Das bedarf einer genauen Analyse – und dem Einsatz der richtigen Tools.

funkschau: Der Fachkräfte-Engpass stimmt zwar für einige Berufsgruppen, ist aber auch regional sehr unterschiedlich ausgeprägt. Die aktuellste Engpass-Analyse der Bundesagentur für Arbeit etwa sieht keinen flächendeckenden Fachkräftemangel – wohl aber Engpässe in einigen technischen Berufen sowie in Gesundheits- und Pflegeberufen. Was glauben Sie, worauf diese Engpässe zurückzuführen sind?

Zöller: Sicher sind einige Berufsgruppen attraktiver als andere – aus verschiedenen Gründen. Nicht immer spielt die Bezahlung eine Rolle. Gerade die junge Generation hält immer häufiger nach einem passenden Team, einer gesunden Work-Life-Balance und Wertschätzung am Arbeitsplatz Ausschau. Hier müssen viele Arbeitgeber noch aufholen und ihr Image aufbessern. Gleichzeitig müssen sich Arbeitgeber stärker öffnen und flexibler in ihren Recruiting-Prozessen werden. Noch immer suchen viele Personaler nach Hard-Skills und einem bestimmten Werdegang. Dass ein Großteil der potenziellen Jobkandidaten Fähigkeiten besitzen, die sie nicht im Rahmen ihrer Ausbildung erlangt, sondern sich selbst angeeignet haben, bleibt dabei unbeachtet. So entstehen Engpässe, wo vielleicht gar keine sind.

funkschau: „Fachkräfte und Auszubildende sind oft zu wenig mobil“, konstatiert eine IW-Studie und empfiehlt im gleichen Atemzug den Arbeitgebern, selbst aktiver und beweglicher zu werden. Wie sehen Sie das? Und welche grundsätzlichen Empfehlungen würden Sie Arbeitgebern geben?

Zöller: Hier kann man sich natürlich sehr einfach auf den Standpunkt stellen, der Bewerber sei Schuld, wenn er zum Beispiel nicht bereit ist, umzuziehen. New-Work-Konzepte haben in Unternehmen allerdings bereits sichtbare Veränderungen angestoßen. Denn Unternehmen erkennen zunehmend, dass sie selbst aktiv werden müssen, wenn sie Top-Fachkräfte anziehen und halten wollen. Das bedeutet auch, dass Unternehmen Mitarbeiter nicht mehr zwingend am eigenen Standort beschäftigen, sondern diese ganz woanders wohnen und von zuhause oder von Coworking Spaces aus arbeiten. Doch viele Unternehmen können oder wollen sich damit noch nicht anfreunden. Das hat zur Folge, dass Stellen nicht besetzt werden können, obwohl es eigentlich passende Kandidaten gibt. Es ist nicht schwer, Mitarbeitern neue Möglichkeiten zu bieten, ohne die eigenen Prozesse völlig umzukrempeln. Unternehmen müssen dafür allerdings offen sein und ein Konzept ausarbeiten, das beide Seiten zufriedenstellt.


  1. Abschied vom Post & Pray
  2. "Unternehmen müssen proaktiver werden"

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