funkschau: Frau Nilsson, in einer von Männern dominierten Branche – 2017 waren laut Bitkom 72 Prozent aller Mitarbeiter in der IT Männer – sind Sie sehr erfolgreich unterwegs. Was meinen Sie, woran das liegt?
Nilsson: Um als Frau in einer von Männern dominierten Branche Fuß fassen und erfolgreich sein zu können, muss man sehr selbstbewusst sein und sein Wissen und Können genauso gut präsentieren wie seine männlichen Kontrahenten. Es ist wichtig, nicht zu schnell klein beizugeben und seine Unsicherheit zügig abzulegen. Spricht man auf einer Ebene – also selbstbewusst und mit klarer Branchenerfahrung – wird man nicht anders als seine Kollegen wahrgenommen. Kennt man sich nicht aus, verlaufen Gespräche schnell im Sand. Zudem sollte man sich als Frau einige männliche Gesprächseigenschaften aneignen und nicht zu schnell verärgert sein, wenn es doch einmal gegen einen selbst oder Frauen im Allgemeinen geht.
funkschau: Würden Sie sagen, Sie bringen als Frau bestimmte Fähigkeiten in Ihren Job ein, die Männer nicht haben? Gehen Frauen anders an IT-Fragestellungen heran? Lösen sie anders?
Nilsson: Frauen neigen dazu, einfühlsamer und fürsorglicher zu sein. Als Geschäftsführerin lege ich potenziell mehr Wert auf das Wohlbefinden innerhalb meines Teams und auch den Aufbau einer dies unterstützenden Unternehmenskultur. Fragen rund um das Team und HR im Allgemeinen spielen für mich eine große Rolle – ich denke eine größere als bei meinem Mitgründer und meinen anderen männlichen Teammitgliedern. Meiner Meinung nach ist Vielfalt – in jeder Hinsicht – auch für Innovationen und IT-Fragen entscheidend. Menschen mit unterschiedlichem beruflichem Background oder Geschlecht bringen verschiedene Standpunkte in Gespräche und Ideen ein und beleuchten Themen grundsätzlich aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass ein vielfältiges Team Fehler oder Verzerrungen in Datenmodellen viel früher erkennen und Korrekturen vornehmen kann.
funkschau: Weniger Frauen in der IT – ist das vielleicht auch „nur“ ein deutsches Problem?
Nilsson: Nein, leider nicht! Der Mangel an Frauen in der Digital- und IT-Branche ist ein weltweites Problem, wobei es in einigen Länder größer ist als in anderen. Die postsowjetischen Staaten verfügen hinsichtlich IT-Jobs oder Positionen mit technischem Fokus über ein nahezu ausgeglichenes Geschlechterverhältnis, was ihnen immer noch einen klaren Vorteil gegenüber Westeuropa verschafft. Ich bewege mich beruflich derzeit in zwei Ländern: in Großbritannien und in Deutschland.
In Großbritannien reißt die Debatte über eine verstärkte Integration von Frauen in die IT nicht ab. Zunächst empfand ich diesen Disput etwas frustrierend, denn es fühlte sich so an, als würde nur darüber geredet aber nichts dafür getan werden. Inzwischen habe ich aber erkannt, dass all diese Diskussionen zu einer langsamen und allmählichen Verbesserung der Situation führen. Wenn Vielfalt stets im Vordergrund steht, ist sie auch im Vordergrund, wenn es darum geht, Menschen einzustellen, auszubilden oder für etwas zu ermutigen. Es kommt zu Veränderungen – für meinen Geschmack allerdings zu langsam. Die Situation in Deutschland sieht meines Erachtens allerdings eindeutig schlechter aus und ich hoffe, dass ein ähnlicher Wandel auch bald hier stattfinden wird.
funkschau: Welche Chancen und Herausforderungen bietet die Digitalisierung Ihrer Meinung nach gerade für Frauen in der Arbeitswelt?
Nilsson: Im Zuge der Digitalisierung entwickeln sich viele neue Karrierewege und Berufsbilder. Diese ermöglichen es Frauen, von Anfang an durchzustarten, den Ton anzugeben und Führungspositionen zu übernehmen. Sobald eine Berufsbezeichnung als „männlich“ eingestuft wurde, ist es für Frauen schwieriger Fuß zu fassen. In den kommenden Jahrzehnten werden einige Arbeitsplätze beziehungsweise Jobs von der Bildfläche verschwinden, es werden aber auch viele neue entstehen. Vor allem soziale Berufe, die den Einsatz menschlicher Kompetenz erfordern (Lehrer, Therapeuten, Kinderbetreuung, Kranken- und Altenpflege, Friseure, etc.), werden wieder mehr Wertschätzung erlangen. Dabei handelt es sich zumeist um weiblich dominierte Karrierepfade. Es besteht hier durchaus die Gelegenheit zur Neubewertung von Frauenarbeit. Die größte Herausforderung für Frauen besteht vor allem darin, selbstbewusst zu sein und ein größeres Durchsetzungsvermögen zu entwickeln. Denn noch sind die meisten IT-Teams männlich dominiert. Frauen müssen sich noch anpassen, um Teil dieser Teams und akzeptiert zu werden.
funkschau: Wie kann die Tech-Branche für Frauen interessanter werden?
Nilsson: Ich denke, das größte Problem liegt darin verborgen, dass Frauen oder Mädchen gegenüber der Tech-Branche voreingenommen sind und nicht gut genug über die Vorteile und Freude, die die Arbeit in dieser Branche mit sich bringt, informiert sind. Ziel sollte es sein, Mädchen schon im jungen Alter für MINT-Themen und Technik zu begeistern. Ich ermutige beispielsweise häufig Menschen dazu, ein Mädchen, das sie aus ihrer Familie, von Kollegen oder Freunden kennen, mehr für Technik zu sensibilisieren, indem sie ihr ein wissenschaftliches Spielzeug schenken, ihr von einem weiblichen Vorbild in der Technik/IT erzählen oder ihr ein Buch über ein wissenschaftliches Thema geben. Auf diese Art und Weise kann früh ein Interesse für diese Thematik geweckt werden.
Auch aus Unternehmenssicht ist es wichtig, sich für das Thema Diversity einzusetzen. Derzeit sind Teams von Technologieunternehmen – vor allem in Führungsebenen – oftmals noch Männer-dominiert, was viele Frauen davon abhält, sich für eine Stelle bei ihnen zu bewerben. Mit dem 2015 in Deutschland in Kraft getretenen Gesetz für eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen wurde ein erster Versuch unternommen, dieses Phänomen zu regulieren. Allerdings ist es meiner Meinung nach nicht sinnvoll, solche Positionen nur an Frauen zu vergeben, um eine vorgegebene Frauenquote von 30 Prozent zu erfüllen. Die ausgewählte Person sollte die Position natürlich auch erfolgversprechend ausführen können. Nichtsdestotrotz sollte man als Arbeitgeber auch abseits dessen sein Engagement im Bereich Diversity zeigen und rigoros an der Verbesserung dieser im Unternehmen arbeiten. Vor allem männliche Teams sollten darüber nachdenken, wie sie ihr Umfeld für Frauen attraktiver gestalten können. Zudem sollten Technologieunternehmen, besonders Start-ups, ein größeres Augenmerk auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie legen.