funkschau-Kommentar

Staatstrojaner auf leisen Sohlen

21. Juli 2017, 14:03 Uhr |
Die Ermittler dürfen nicht blind und taub gelassen werden – die Bürger aber auch nicht! Eine öffentliche Debatte um Staatstrojaner ist gefordert.
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Während alle zum G20-Gipfel nach Hamburg schauten, verabschiedete der Bundesrat in Berlin in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause neue Regeln zum Einsatz von Staatstrojanern...

Demnach dürfen Strafverfolger künftig im Rahmen ihrer Ermittlungsarbeit verschlüsselte Internet-Telefonate und Chats über Messenger wie Whatsapp, Signal, Telegram oder Threema rechtlich abgesichert überwachen sowie IT-Systeme ausspähen. Der Gesetzentwurf und die Art und Weise, wie er bisher auf die Spur gebracht wurde, ist nicht unumstritten. Der Bundestag hatte ihn Ende Juni in einem intransparenten Eilverfahren durch die Hintertür verabschiedet. Dass er jetzt auch vom Bundesrat durchgewunken wurde, überrascht kaum: Der federführende Innenausschuss hatte erwartungsgemäß keine Bedenken gegen den Entwurf, schließlich hatten die Innenminister der Länder die polizeiliche Lizenz zum Hacken von Computern und Smartphones gefordert.

Doch das allein ist nicht der Stein des Anstoßes. Kritiker bemängeln unter anderem, dass die Staatstrojaner gar nicht im Entwurf selbst stehen, sondern in einem Änderungsantrag, den die Bundesregierung selbst nachträglich als „Formulierungshilfe“ eingebracht hat. Die Krux: Eine größere, gar öffentliche Debatte kam deshalb im Grunde nicht zustande. Selbst die Bundesdatenschutzbeauftragte soll erst über die Berichterstattung von Netzpolitik.org davon erfahren haben. Zudem seien Einwände des mitberatenden Verbraucherausschusses nicht berücksichtigt worden: Dieser hatte vorab empfohlen, den Vermittlungsausschuss anzurufen und die Initiative so zumindest zu verzögern. In einer Entschließung sollte sich der Bundesrat zudem besorgt zeigen, dass die gesetzlich vorgesehenen weitgehenden Befugnisse „zu einer massiven Schwächung der IT-Sicherheitsstrukturen“ beitragen und Nutzer gefährden könnten. Die Länder seien zudem nicht umfassend an dem Gesetzgebungsverfahren beteiligt gewesen. Das Vorhaben stelle eine „völlig neue Schwere des Grundrechtseingriffs“ dar und beinhalte „erhebliche datenschutzrechtliche“ sowie verfassungsrechtliche Risiken. Die Länderchefs folgten dem aber bekanntermaßen nicht. Zum anderen steht die Verfassungskonformität des Gesetzentwurfs selbst zur Debatte: Mit der umstrittenen Initiative, gegen die schon mehrere Verfassungsbeschwerden geplant sind, kommt eine umfassende Rechtsgrundlage für die Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) und die heimliche Online-Durchsuchung in die Strafprozessordnung (StPO). Ermittler sollen mit ersterem laufende Kommunikation „an der Quelle“ abgreifen dürfen, bevor sie ver- oder nachdem sie entschlüsselt wurde. Als Voraussetzung gilt der breite Straftatenkatalog aus Paragraf 100a StPO, der auch das Abhören klassischer Telefonate oder den Zugriff auf E-Mails regelt. Zudem erhält die Polizei die Befugnis, beim Verdacht auf „besonders schwere Straftaten“ heimlich komplette IT-Systeme wie Computer oder Smartphones auszuspähen. Diese Lizenz ist an den strikteren Paragraf 100c StPO gekoppelt, also an die Vorgaben für den großen Lauschangriff. Für beide Maßnahmen ist es nötig, die Geräte der Betroffenen mit Schadsoftware in Form sogenannter Staatstrojaner zu infizieren – der Staat wird quasi selbst zum Hacker. Damit werde die IT-Sicherheit laut Experten allgemein untergraben. Vage bleibt, wie trotz Richtervorbehalt das vom Bundesverfassungsgericht im Streit um Computerwanzen entwickelte Recht auf Vertraulichkeit und Integrität von IT-Systemen in der Praxis gewahrt werden soll.

Die Kritikpunkte sind nachvollziehbar, zumal eine gesellschaftliche Debatte bisher geschickt umgangen wurde. Die niedersächsische Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz gab außerdem zu bedenken, es dürften nicht aus unangebrachter Eile elementare Grundrechte gefährdet werden. Auf der anderen Seite ist durchaus verständlich, dass sich die Strafverfolgung den gestiegenen Sicherheitsproblemen der heutigen Zeit stellen muss: Die Ermittler dürfen nicht handlungsunfähig gelassen werden, wenn sich potenzielle Täter über Whatsapp oder Skype unterhielten. So oder so – eine offene Diskussion ist gefordert. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte hat bereits eine Verfassungs-beschwerde gegen die Gesetzesänderungen an-gekündigt. Möglicherweise wird also beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Debatte um hackende Strafverfolger nachgeholt werden.

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