Das Headset Engage 55 von Jabra macht seinen Anspruch auf Professionalität schon dadurch geltend, dass es drahtlos über DECT statt Bluetooth kommuniziert. Wie professionell ist es sonst?
Mit einem Listenpreis von 341 Euro gehört das Jabra Engage 55 zu den teureren Headsets, die für Telefonie- und Konferenz-Anwendungen optimiert sind.
Genaugenommen müsste das getestete Headset noch den Namenszusatz „Stereo“ bekommen, denn neben ihm gibt es auch ein Engage 55 Mono und ein Engage 55 Convertible. Diese beiden Varianten haben je nur eine Ohrmuschel. Das andere Ohr bleibt auch bei aufgezogenem Headset frei. Das erleichtert den Wechsel zwischen direkter und elektronischer Kommunikation und bietet dem gerade nicht für Telefonate genutztem Ohr willkommene Kühlung. Die Seite der Ohrmuschel kann durch Drehen des Mikrofonbügels gewechselt werden. Beim Tragen wird das Engage Mono von einem Überkopfbügel gehalten, optional ist auch ein Nackenbügel erhältlich. Das Convertible, Nomen est Omen, bietet wahlweise Ohrhaken, Überkopf- oder Nackenbügel. Das Jabra Engage 55 Stereo setzt auf einen Überkopfbügel und eignet sich auch für die üblicherweise bei Kopfhörern zweikanalige Medienwiedergabe.
Und es setzt auf den auch von drahtlosen Festnetztelefonen bekannten DECT-Standard zur kabellosen Kommunikation. Für die Verbindung zu Desktop-PC oder Notebook, wird ein DECT-Adapter mit USB-A-Anschluss mitgeliefert, in unserem Test funktionierte dieser auch über einen USB-A-nach-USB-C-Adapter am Android-Smartphone. So geht auch DECT über Mobilfunk, um den Preis, dass eine lange Adapter-Schlange am Smartphone baumelt. Alternativ kommuniziert das Jabra Engage 55 über USB-Kabel mit einem Computer, Bluetooth kennt es hingegen nicht.
Das hat weitreichende Konsequenzen. Im Wortsinn etwa, wenn es um die Entfernung zwischen Headset und Kommunikationszentrale geht, wo Bluetooth in der bei Kopfhörern üblichen Klasse 2 etwa 10 Meter überbrücken kann, während bei DECT die Maximalreichweite zwischen 50 und 180 Metern liegt. Bei der Sicherheit setzt das Jabra Engage 55 auf DECT-Sicherheitsklasse C, die mit AES-256-Bit bei Sprachverbindungen abhörsicherer ist als das auf AES-128-Bit aufbauende Bluetooth.
Für Callcenter-Anwendung nicht ganz unwesentlich ist auch das Verhalten bei vielen parallel betriebenen Geräten. Während Bluetooth durch Multipoint-Anbindung zwar ein Headset mit mehreren Quellen, etwa Notebook und Smartphone verbinden kann, hat das auf eine Verbindung beschränkte DECT an anderer Stelle einen Vorteil. Bei ihm können sehr viele Funkverbindungen auf engstem Raum existieren, ohne sich gegenseitig zu stören. Das ist ideal für Großraum-Büros oder eben Callcenter mit vielen Mitarbeitern.
Im Lieferumfang unseres Jabra-Headsets fand sich neben dem Headset und dem USB-DECT-Adapter auch eine stabile Transporthülle. Eine USB-Ladestation gibt es optional. Der USB-DECT-Adapter kann über einen in verschiedenen Farben leuchtenden Ring die diversen Betriebsmodi, etwa aktives Gespräch, Musikwiedergabe oder stummgeschaltetes Mikrofon anzeigen.
Entsprechende Anzeigen gibt es auch am Headset, wobei die obligatorische Busy-Anzeige sowohl an der Ohrmuschel als auch an der Spitze des Mikrofonarms zu finden ist. An der Ohrmuschel befindet sich neben den beiden Tasten zur Lautstärkeregelung eine Multifunktionstaste, mit der das Headset durch längeres Drücken ein- und ausgeschaltet werden kann. Kürzeres Drücken dient dem Annehmen oder Beenden eines Calls und zweimaliges Drücken weist einen Anruf ab. Mit gutem Timing in den Fingern, nicht zu kurz und nicht zu lang gedrückt, lässt sich ein Anruf auch halten und dann wieder fortsetzen. Der Stummschaltung des Mikros ist ein weiterer Knopf an der Spitze des Mikrofon-Arms gewidmet.
Angaben zur Verwaltungssoftware (laut Hersteller) | |
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Wer installiert die Verwaltungssoftware? |
Anwenderunternehmen, Servicetechniker |
Sprache der Verwaltungssoftware | Englisch |
Bereitstellung Verwaltungssoftware | Server-lokal und Cloud |
Bereitstellung Verwaltungssoftware-Updates | Lokal, Server, Cloud |
Wo stehen die Server? | EU (Niederlande) |
Diverse Einstellungen des Headsets lassen sich auch per Sprachsteuerung vornehmen. Zudem gibt es Jabra-Direct-Software um das Engage 55 über Windows oder Mac OS zu personalisieren und Jabra Xpress für die Verwaltung einer großen Anzahl an Headsets. Eine App für Android oder iOS gibt es nicht, da das DECT-Headset für den Smartphone-Einsatz nicht vorgesehen ist.
In Sachen Verarbeitung gibt sich das Jabra Engage 55 fast schon unscheinbar, mit 79 Gramm ist es federleicht. Das schmälert nicht den Eindruck einer professionellen Verarbeitung, die ohne aufgesetzte Effekte wirkt. Aufgezogen bemerkt man das Headset fast nicht. Es drückt weder auf die Ohren, noch mit dem Bügel auf den Kopf und lässt sich trotzdem auch mit heftigeren Kopfbewegungen kaum abschütteln. Zu dem Gefühl kein Headset aufzuhaben, trägt die geringe Schallisolation bei, Umgebungsgeräusche dämpft es kaum.
Wer das Engage 55 aufgrund seiner grazilen Bauweise für schwachbrüstig hält, darf sich wundern. Das Jabra-Headset schafft immerhin 103 dBSPL, damit lassen sich bei nicht allzu dynamikreicher Musik schon ordentliche Pegel fahren, die man seinen Ohren nicht allzu lange zumuten sollte.
Der Frequenzgang bei Medienwiedergabe steigt unterhalb von 1 Kilohertz (kHz) bis 100 Hz sanft, aber stetig an, auch zwischen 5 und 10 kHz gibt es eine schmalbandige Anhebung. Das verleiht dem Klang eine Mischung aus Wärme und Spritzigkeit und entschärft manche schlechte Aufnahme. Es nimmt guten Aufnahmen aber etwas die Energie. Erfreulich ist das sehr niedrige Klirrniveau.
Der Frequenzgang bei Telefonaten in Empfangsrichtung läuft vollständig im engen Toleranzschlauch der ITU-Empfehlung. Das ist nicht selbstverständlich. Es sorgt dafür, dass Engage-55-Nutzer mit hoher Wahrscheinlichkeit einen bekannten Gesprächspartner am Timbre der Stimme erkennen.
Das gilt auch in Senderichtung. Denn auch wenn der Frequenzgang hier ab ungefähr 3 kHz zu tiefen Frequenzen stetig abfällt, ist dieser Abfall doch so gering, dass er die tonale Charakteristik einer Stimme kaum verfälscht.
Wie gut man generell sein Gegenüber versteht und wie gut man verstanden wird, lässt sich mit entsprechenden Verfahren auf einer MOS-Skala (Mean Opinion Score) bestimmen, die von 1 (schlecht) bis 5 (ausgezeichnet) geht und durch die Korrelation von Messwerten mit echten Hörtests gewonnen wird. Bei der POLQA-Messung (Perceptual Objektive Listening Quality Assessment), die die Sprachqualität in ruhiger Umgebung beurteilt, erzielt das Jabra eine mehr als gute 4,3 in Empfangsrichtung, auch in Senderichtung schneidet es mit einer 4,1 besser als gut ab.
Erfreulich: Auch das Echo der eigenen Stimme bleibt beim Telefonieren über dies Headset vernachlässigbar. Ein EQUEST-MOS-Wert von 4,9 dokumentiert dies eindrücklich.
Doch schwierig wird die Sprachübertragung bei normalen Headsets, wenn man versucht ein Gespräch aus einer lauten Umgebung zu führen. Hier stößt man oft auf wörtlich gemeintes Unverständnis. Hier werfen Konferenz-Headsets ihre über einen Bügel in die direkte Nähe des Mundes geführten Mikrofone in die Waagschale. Die ermöglichen es die Stimme deutlich lauter als das Umgebungsgeräusch zu erfassen. Das gelingt dem Jabra Engage 55 in der simulierten Café-Umgebung mit einem Global-MOS-Wert von 3,6 mehr als ordentlich, mit simuliertem Straßenlärm fällt es knapp unter die 3 zurück in einen Bereich, wo die Silbenverständlichkeit zu leiden beginnt.
In der connect-professional-Bewertung erreicht das Jabra Engage 55 gute Ergebnisse für das Telefonieren bei ruhiger Umgebung und befriedigende Werte für das sehr schwierige Telefonieren aus lauter Umgebung. Frequenzgänge und Echo-Unterdrückung sind über jeden Zweifel erhaben. Damit zeigt es sich im anspruchsvollen Feld der Konferenz-Headsets durchaus konkurrenzfähig.
Eine Dämpfung von Außengeräuschen bleibt beim Jabra Engage 55 bis deutlich über 1 kHz aus, eine aktive Geräuschunterdrückung besitzt es nicht. Wer auf langen Dienstreisen entspannende Ruhe sucht, findet an anderer Stelle bessere Headsets.
Jabra Engage55 Tabelle
Erklärungen der Messwerte finden sie hier.
Das Jabra Engage 55 bietet insgesamt eine gute Sprachqualität, besonders in ruhiger Umgebung überzeugt es durch hohe Verständlichkeit und tonal neutrale Stimmübertragung. Wenig geeignet ist es als Reise-Headset, da hier Bluetooth, eine noch hochklassigere Medienwiedergabe und ANC zum ultimativen Komfort fehlen. Im Home-Office, im kleinen Büro oder bei allen Tätigkeiten, die einen erweiterten Bewegungsradius brauchen, spielt das Jabra Engage 55 die Vorteile der DECT-Übertragung voll aus. Auch weit ab von der DECT-Gegenstelle ist die Übertragung vollkommen störungsfrei. Hier ist das Jabra Engage 55 üblichen Bluetooth-Headsets deutlich überlegen.
Bernd Theiss ist Ingenieur für Nachrichtentechnik und Testlab-Leiter bei Weka Media Publishing