Die Corona-Krise hat verdeutlicht, dass Deutschland in Sachen Digitalisierung etwas hinterherhinkt. Jedoch gibt es auch digitale Erfolgsgeschichten, wie die in kürzester Zeit entwickelte Corona-Warn-App der Bundesregierung.
Bis Mitte August 2020 wurde die Corona-Warn-App in Deutschland rund 17 Millionen Mal heruntergeladen und bislang wurden etwa 1.600 Infektionen darüber gemeldet und an die Nutzer weitergeleitet. Genauere Angaben zu den infizierten Personen sind aus Datenschutzgründen nicht möglich. Außerdem speichert die App Standorte nur lokal auf den Smartphones der Nutzer, die Betreiber führen keine zentrale Corona-Datenbank. Nur wenn ein Nutzer eine Infektion meldet, werden verschlüsselte Daten an einen zentralen Server geschickt.
Die Einhaltung hoher Anforderungen an den Datenschutz war ein entscheidender Faktor bei der Entwicklung der App. Zwar gab es im Vorfeld Diskussionen darüber, ob man einen zentralen Ansatz für die Datenspeicherung wählen und die strengen Regeln der DSGVO aufgrund der Dringlichkeit lockern sollte. Diese Überlegungen wurden jedoch zugunsten einer App mit einem hohen Maß an Transparenz und vor dem Hintergrund der Datenschutzrichtlinie verworfen. Im Gegensatz dazu hat sich die französische Regierung für den Ansatz mit zentral auf einem Server gespeicherten Daten entschieden. Hier wurde die Anwendung jedoch nach fast drei Monaten nur 2,3 Millionen Mal heruntergeladen. Hinzu kommt, dass zwischenzeitlich 460.000 Anwender in Frankreich die App wieder von ihren Geräten gelöscht haben. Und bereits im Mai ergab eine Umfrage, dass sich 54 Prozent der Franzosen bei ihrer Corona-Warn-App um die Sicherheit ihrer Daten sorgen.
Nutzerzahlen und Wirksamkeit
Dies zeigt, dass Transparenz im Umgang mit Nutzerdaten bei der Entwicklung einer App ein sehr wichtiger Faktor und entscheidend für ihre Akzeptanz in der Bevölkerung ist. Das Vertrauen in die Anwendung ist die Voraussetzung, um ausreichend Nutzerzahlen zu erreichen, damit die App flächendeckend effektiv ist. Als Wert werden hierhäufig 60 Prozent der Bevölkerung genannt. Diese Zahl beruht auf einer Simulationsstudie von Forschern der Universität Oxford, die mögliche Entwicklungen der Pandemie mithilfe eines mathematischen Modells abgeschätzt haben. Allerdings wurde dieses Modell mit Fallzahlen aus der Anfangsphase des Pandemiegeschehens in China gefüttert und die App als einziges Mittel gegen die Ausbreitung vorgesehen. Dementsprechend schwierig ist es, basierend auf diesem Konstrukt verlässliche Aussagen über die aktuelle Verbreitung des Virus in Deutschland und die Wirksamkeit der Corona-Warn-App zu treffen.
Um herauszufinden, wie viel Prozent der Bevölkerung tatsächlich die App installieren müssten, um die Verbreitung des Virus aufzuhalten, sind neue Berechnungen notwendig. Hier ist neben dem Infektionsgeschehen der letzten Monate auch weitere Faktoren eine Rolle spielen, wie die Regeln zum Abstandhalten und zum Tragen von Gesichtsmasken sowie die sich verändernden Auflagen zum Aufenthalt in Gruppen. Auf dieser Basis wäre die Qualität der hierbei verwendeten Daten wesentlich höher als sie am Anfang des Jahres sein konnten. Dies ermöglicht es Wissenschaftlern wiederum, genauere Aussagen zu treffen, beispielsweise über die Wirksamkeit der Corona-Warn-App. Dabei können sie auch zuverlässige Daten aus anderen Ländern einspeisen, um die Datenqualität noch weiter zu verbessern. So lassen sich weitere Erkenntnisse zur aktuellen Pandemie gewinnen, die auch bei ähnlichen Viren in der Zukunft helfen könnten, um deren Verbreitung besser zu verstehen und Hilfsmittel schneller einzusetzen.
Die Warn-Apps und ihre Grenzen |
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Wenig Abstand und zahlreiche anonyme Begegnungen: Einer der wichtigsten Anwendungsbereiche der Corona-Warn-App ist der öffentliche Personenverkehr. Forscher um Douglas J. Leith und Stephen Farrell von der Schule für Computerwissenschaften und Statistik des Trinity Colleges in Dublin haben nun in einer Studie untersucht, inwieweit die Tracing-Apps aus Deutschland, Italien und der Schweiz in Straßenbahnen funktionieren. Dafür wurden sieben Teilnehmer mit einem Smartphone ausgestattet. In einer Straßenbahn mit einer französischen Standardausführung, die in Europa weit verbreitet ist, nahmen die Testpersonen verschiedene Positionen ein, um die Abstandsmessung zu überprüfen. Verwendet wurde ein WLAN-Hotspot. Zudem wurden die Teilnehmer gebeten, ihr Smartphone wie im alltäglichen Gebrauch zu nutzen. Dabei kamen die Forscher zu dem Ergebnis, dass es in der Mehrheit der Fälle nicht gelang, die Abstände zwischen den einzelnen Nutzern richtig zu ermitteln. Bei den Erkennungsregeln der deutschen Corona-Warn-App und der Schweizer App SwissCovid konnten die Forscher in keinem Fall einen Abstandsalarm ermitteln. Und das, obwohl die Tester für den kritischen Zeitraum von 15 Minuten nah beieinander saßen. Bei der italienischen Regel habe die Abstandserkennung in nur 50 Prozent der Fälle richtig gelegen, in 50 Prozent allerdings falsch. Fazit: Die Erkennungsregeln der Apps funktionieren so zuverlässig – oder unzuverlässig – wie eine völlig zufällige Auswahl an Passagieren. Der Abstandsalarm sei bei der herkömmlichen Nutzung der Apps nicht einsehbar. User könnten nicht überprüfen, ob sich ein App-Nutzer in der Nähe befindet. Als Ursache für die fehlerhafte Messung führen die Autoren der Studie die metallenen Strukturen der Verkehrsmittel an, die zu Schwankungen im Bluetooth-Signal führen. Die Konstruktion der Straßenbahn führe dazu, dass sich das Signal teilweise um knapp 30 Dezibel veränderte, obwohl die Testpersonen an gleicher Position saßen. Die Forscher nehmen an, dass die Metallelemente der Bahn reflektierend wirken und so das Signal verstärken. Die Varianz des Signals führe zu erheblichen Problemen bei der tatsächlichen Abstandserkennung, da die Apps annehmen, dass sich der ermittelte Kontakt bewegt. Eine konstante Messung sei so nicht möglich. Eine Lösung für das Problem legen die Forscher in ihrem Papier nicht vor. (DK) |