Erstmals nimmt GP Bullhound den europäischen SaaS-Markt und die Investorentätigkeit genau unter die Lupe. Die Zahl der Deals sinkt 2022 dramatisch, doch weniger SaaS-Firmen erhalten im Schnitt mehr Geld von Investoren. Mehr denn je trennen sie Spreu vom Weizen.
Ob nun eine Million oder zwei Millionen SaaS-Anbieter in den kommenden Jahren neu auf den Markt kommen werden, bei der Zahl legen sich die IT-Analysten nicht fest. Der Trend aber ist unübersehbar: Es werden deutlich mehr Softwareanbieter für alle möglichen Spezialanwendungen mit ihren SaaS-Lösungen neu in den Markt drängen als es heute schon viele Start-ups mit ihrer Cloud-Technologie gibt. Die, die schon aktiv sind, können auf das Interesse und das Geld von Investoren zählen. Eines von vielen Beispielen: Verso.
Schon vor zehn Jahren trat der SaaS-Anbieter Verso aus München als Pionier für ESG-Software an. Nachhaltiges Wirtschaften wurde 2012 von vielen CEOs noch als „nice to have“ abgestempelt. Das hat sich mit CSR- Auflagen und entsprechendem Berichtswesen radikal geändert. Seit rund zwei Jahren „explodiert die Nachfrage nach Software und Services im Bereich Nachhaltigkeit“, sagt Andreas Maslo, Co-Founder und CEO von Verso. Mit dem jüngst erfolgten Einstieg der Nord Holding hat Maslo nun den passenden Wachstumspartner gefunden. Eine SaaS-Plattform zur Ermittlung des CO2-Ausstoßes und das große Thema Nachhaltigkeit: Es sind gleich zwei Trends, die den Investor überzeugten.
Das Bewerten von Mega-Trends und den dazugehörigen Technologie (Ausblick für 2023) gehört beim britischen Venture Kapitalgeber GP Bullhound seit jeher zum Handwerkszeug. Nun taucht der VC erstmals tiefer in den europäischen Markt der SaaS-Anbieter ein. Sein European SaaS Report 2022 erscheint zu ersten Mal und liefert detaillierte Einblicke, wie europäische SaaS-Unternehmen – vom Startup bis zum Scale-Up – am Ende dieses herausfordernden Jahres aufgestellt sind. Auf welche Kennzahlen blickt GP Bullhound? Was sind die größten Herausforderungen der Player im SaaS-Markt? Und wie sehen aktuell die M&A- und Fundraising-Aktivitäten der Investoren aus? Über 100 Gründer und CEOs von SaaS-Unternehmen in ganz Europa wurden dazu befragt. Dazu einige Take-Aways aus der umfangreichen Studie.
Vier Länder in Europa dominieren
Wenig überraschend, dass 65 Prozent des Transaktionsvolumens 2022 in Europa auf die drei großen Volkswirtschaften Großbritannien, Deutschland und Frankreich fallen. Als viertes Land kommt die Niederlande hinzu, wo besonders viele Technologie-Startups auf SaaS-Geschäftsmodelle setzen.
Investitionsvolumen gesunken
Auf den ersten Blick fällt auf, dass das Gesamtvolumen der Investitionen in den europäischen SaaS-Markt in diesem Jahr mit 18,1 Milliarden Euro rund eine Milliarde unter dem des Vorjahres liegt. Diese Delle relativiert sich indes, wenn man bedenkt, dass es 2019 erst 7,9 Milliarden Euro waren, wie aus dem European SaaS Report hervorgeht.
Verschnaufpause
Dazu passt die Zahl der Fundraising-Aktivitäten. Im dritten Quartal 2022 sind sie regelrecht eingebrochen. Aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen und vor allem geldpolitischen Unsicherheiten (Rezession, Inflation und steigende Zinsen) dürften Investoren zur Zurückhaltung bewogen haben. Die Zahl der Deals für 2022 soll laut GP Bullhound-Report bei rund 1.800 liegen, was einem deutlichen Rückgang im Vergleich zum Vorjahr mit fast 3.000 Deals im europäischen SaaS-Markt entspricht. Trotz der makroökonomischen Unsicherheit sind die Chefs der SaaS-Anbieter optimistisch gestimmt: Ein Drittel der befragten CEOs planten in den nächsten zwölf Monaten eine Kapitalerhöhung, so das Ergebnis der Umfrage.
Deals werden größer
Weniger, dafür höhere Beteiligungen, nämlich im Schnitt 12,6 Millionen Euro Beteiligungskapital stellen VCs 2022 SaaS-Firmen zur Verfügung. Im Vorjahr waren es durchschnittlich 8,3 Millionen Euro, 2019 sogar nur 3,9 Millionen Euro. Große Transaktionen wie Celonis (1,2 Milliarden Euro), Contentsquare (582 Millionen) sowie Relex und Ecovadis (jeweils 500 Millionen) treiben freilich den Durchschnitt des Kapitals pro Deal nach oben. Zeigen indes auch, dass der Markt reifer geworden ist und damit auch große und bereits internationale SaaS-Player hervorbringt. Die Bewertungen börsennotierter SaaS-Unternehmen in Europa und den USA hätten sich übrigens angenähert, nachdem sie seit Beginn der Pandemie stark voneinander abgewichen waren, schreibt der Report.
Hoher Skalierungseffekt
Recurring Revenue, also der wiederkehrende Umsatz meist aus Abo-Bezug, ist die Zukunftswährung, auf die Investoren einzahlen. Dazu diese Zahlen: Der ARR (Annual Recurring Revenue) pro Mitarbeiter liegt typischerweise bei 100.000 Euro, sobald ein Unternehmen einen ARR von fünf Millionen Euro erreicht. Er steigt auf 140.000 Euro pro Mitarbeiter bei einem ARR über 50 Millionen Euro
Sales- und Marketingkosten
Sie übersteigen F&E-Kosten im Verhältnis zum Umsatz ab rund fünf Millionen Euro ARR und erreichen einen Spitzenwert von 40 Prozent des Umsatzes. Interessant dürfte hierbei sein, wie sich junge SaaS-Anbieter künftig vertrieblich positionieren wollen. Ist die Marke und das Produkt noch unbekannt, dürfte es schwer fallen, allein mit einem Direktvertrieb zu reüssieren. Hier könnten die Marktplätze der IT-Distributoren für nötige Multiplikation sorgen, haben die Distributoren doch Tausende von Systemhäusern als Kunden, die entsprechende SaaS-Lösungen wiederrum ihren Anwenderunternehmen empfehlen können.
Enterprise schlägt KMU
Gewinnt man einmal mit einer SaaS-Lösung einen Konzernkunden, ist man langfrristig als SaaS-Anbieter gesetzt. Die Kundenbindung bei Enterprise-Geschäftsmodellen soll sehr hoch sein: „Die GRR (Gross Revenue Retention) liegt für SaaS-Unternehmen, die sich auf Enterprise-Kunden fokussieren, bei 95 Prozent – und damit deutlich höher als bei denjenigen, die sich auf KMUs konzentrieren“, hält der European SaaS Report 2022 von GP Bullhound fest.