funkschau Interview mit Dirk Werth/AWSi

"Die deutsche Industrie hat den Kampf noch lange nicht verloren"

18. Dezember 2018, 12:11 Uhr |
„Ich glaube, dass wir die großen Wellen verschlafen haben. Wir hatten dafür nicht die richtigen Voraussetzungen und auch nicht die richtigen politischen Rahmenbedingungen.“ - Dirk Werth, Geschäftsführer und wissenschaftlicher Direktor des AWS-Instituts für digitale Produkte und Prozesse
© AWSi

Deutschland befindet sich im Hintertreffen, vor allem China hat die hiesige Wirtschaft in vielen Bereichen abgehängt, wie Dirk Werth vom AWSi im funkschau Interview erläutert. Noch sei aber nicht alles "fundamental negativ", es brauche jedoch neue Denkmuster.

funkschau: Herr Werth, können Sie kurz erläutern, wofür genau das AWS-Institut steht, das Sie als Geschäftsführer und wissenschaftlicher Direktor leiten?

Dirk Werth: Das AWSi ist ein sehr junges Innovationszentrum, das 2014 gegründet wurde. Ab circa 2015 sind wir dann auch operativ gestartet. Das Institut ist als gemeinnützige GmbH organisiert und stellt als Organisation ein Bindeglied zwischen Wirtschaft und Wissenschaft dar. Wir wollen forschungsseitig neue, innovative Themen entwickeln und sie dann auch in der Wirtschaft auf die Straße bringen.

funkschau: Sie unterstützen Unternehmen dabei auch bei der Umsetzung digitaler Prozesse und Produkte. Wo steht die deutsche Wirtschaft Stand heute Ihrer Meinung nach bei der Digitalen Transformation, haben sie tatsächlich die erste Halbzeit verschlafen, wie es schon oftmals festgestellt wurde?

Werth: Ich glaube, wir fangen gerade erst mit der Digitalisierung an. Wir befinden uns nicht in der zweiten Halbzeit, sondern allenfalls in den ersten zehn bis 15 Minuten. Aber schon jetzt befinden wir uns im Hintertreffen, das ist richtig.

funkschau: Was heißt das genau?

Werth: Ich glaube, dass wir die großen Wellen verschlafen haben. Wir hatten dafür nicht die richtigen Voraussetzungen und auch nicht die richtigen politischen Rahmenbedingungen. Allerdings sind die meist angeführten internationalen Beispiele für eine erfolgreiche Digitalisierung hauptsächlich in den Consumer-Märkten groß geworden. Da war Deutschland nie groß, das muss man immer beachten. Es gibt aber andere Beispiele, wo wir gerade im B2B-Geschäft sehr gut vorankommen. Besonders im Bereich Industrie 4.0.

funkschau: Ist es für eine erfolgreiche Digitale Transformation in Deutschland also noch nicht zu spät?

Werth: Die deutsche Industrie hat den Kampf noch lange nicht verloren, wir müssen aber aufpassen. In der Planung sind deutsche Unternehmen sehr gut, aber in der Umsetzung fehlt ihnen oft der Mut. Vieles hängt also davon ab, ob es im Zuge der Digitalisierung lineare oder disruptive Entwicklungen geben wird.

funkschau: Worin besteht der Unterschied für Unternehmen?

Werth: Der Mensch denkt linear, nicht exponentiell. Ein Beispiel: Das 1990 gestartete Human Genome Project zur Entschlüsselung der menschlichen DNA war auf 15 Jahre angelegt. Nach 7,5 Jahren hatten die Forscher gerade mal ein Prozent dekodiert, was meinen Sie, wie viel Zeit sie für die übrigen 99 Prozent benötigten? Keine 700 Jahre, faktisch haben sie es dann sogar eineinhalb Jahre schneller geschafft als geplant. Das zeigt, wie wir Menschen denken und wie sich im Gegensatz dazu viele Technologien exponentiell entwickeln und Märkte disruptiv verändern – beispielsweise die Elektromobilität.

funkschau: Was sollten Unternehmen also tun, um schneller auf disruptive Effekte reagieren zu können?

Werth: Die Umsetzung digitaler Geschäftsmodelle muss sich ändern. Viele Unternehmen befinden sich im sogenannten Innovator‘s Dilemma. Wenn ich ein funktionierendes Geschäftsmodell habe, dann tue ich alles dafür, um dieses am Laufen zu halten. Kein Taxi-Anbieter würde Uber erfinden. Das liegt aber auch immer an der Mentalität der handelnden Personen. So sind beispielsweise Start-ups viel unbeschwerter und können leichter in viele Richtungen blicken.  

funkschau: Das klingt eher so, als wäre das „Hintertreffen“ für ein Gros der deutschen Wirtschaft nicht mehr oder nur schwer aufzuholen.

Werth: In Relation zu China sehe ich das tatsächlich sehr negativ. Viele schauen vor allem in die USA, aber im Bereich der Digitalisierung ist China sehr stark. Auch im Maschinen- und Anlagenbau passiert aktuell viel in China. Beispielsweise gibt es dort Autofertiger, die den Verbrennungsmotor einfach überspringen und mit Elektromotoren einsteigen. Diese Tendenz sehe ich auch in anderen Bereichen.

funkschau: Das klingt abermals sehr negativ für die hiesige Wirtschaft. Ist Deutschland also ein Verlierer bei der Digitalisierung?

Werth: Wenn es einen wachsenden Markt gibt, kann ich Gewinner sein, auch wenn ich nicht als Nummer eins mit dabei bin. Man muss das also relativieren. Es entstehen im Zuge der Digitalen Transformation viele neue Märkte, es ist also nicht alles so fundamental negativ.

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