Was die Energiekrise in Europa zeigt

Die Nachhaltigkeit der Lieferkette ist wichtig

18. November 2022, 10:09 Uhr | Autor: Christian Lanng / Redaktion: Diana Künstler
© IRENA

Regierungen, die noch vor einem Jahr Netto-Null-Ziele verkündeten, versuchen nun Kohlekraftwerke ans Netz zu bringen. In diesem Winter stellt sich die Frage, ob die Aufrechterhaltung der Energieversorgung Vorrang vor dem Engagement für die Energiewende haben sollte. Ein Kommentar von Tradeshift.

Christian Lang von Tradeschift
Ein Kommentar von Christian Lanng, CEO der Handelsplattform Tradeshift
© Tradeshift

Die Energiekrise zeigt deutlich, wie schnell gute Absichten auf dem Altar einer kurzsichtigen Politik und des Fehlens eines realistischen Plans B scheitern können. Aus der Tatsache, dass es nicht gelungen ist, das notwendige Gleichgewicht zwischen Zugang, Nachhaltigkeit und Sicherheit in den Energieversorgungsketten aufrechtzuerhalten, lassen sich umfassende und wichtige Lehren ziehen über die gesamte Energieversorgungskette hinweg. Unternehmen in fast allen Sektoren fanden sich in einem ähnlichen Schlamassel wieder, als die Pandemie dem jahrzehntelangen Wettlauf um die niedrigsten Kosten ein Ende bereitete.

Mitte 2020 durchgeführte Branchenumfragen1 deuteten darauf hin, dass Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen (ESG) auf der Prioritätenliste der Unternehmen während der Pandemie nach unten rutschten. Angesichts der Aussicht auf eine rasant ansteigende Inflation und eine weltweite Rezession könnten sich die Akteure der Lieferkette nun versucht fühlen, der Nachhaltigkeit zugunsten des Zugangs zu den benötigten Waren zu geringeren Kosten weniger Priorität einzuräumen. Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, warum dies schlecht ausgehen wird.

Laut McKinsey beruhten die strategischen Prioritäten für die Lieferkette vor der Pandemie auf drei Säulen:

  1. Service,
  2. Qualität sowie
  3. Kosten und Kapital.

Die „nächste Normalität“ hat drei weitere Säulen hinzugefügt:

  1. Widerstandsfähigkeit,
  2. Agilität und
  3. Nachhaltigkeit.

Diese drei Säulen voneinander zu trennen, ist ein Irrweg, da sie von so vielen gleichen Prinzipien getragen werden: Transparenz in der gesamten Lieferkette, enge Zusammenarbeit mit vertrauenswürdigen Lieferanten, Diversifizierung der Beschaffung, und die Fähigkeit, rasch auf sich schnell ändernde Bedingungen zu reagieren. Wird der Nachhaltigkeit weniger Bedeutung beigemessen, werden die Grundlagen geschwächt, die es Lieferketten ermöglichen, angesichts plötzlicher Schocks flexibel und widerstandsfähig zu bleiben.

Während der gesamten Pandemie haben Marken mit starken ESG-Referenzen durchweg besser abgeschnitten als Unternehmen, die der Nachhaltigkeit in der Krise weniger Priorität einräumen. Finanzvorstände, die immer noch nervös auf ihre Bilanzen schauen, müssen auch anerkennen, dass ESG das Umsatzwachstum fördert und gleichzeitig die Kosten senkt. Jüngste Daten deuten darauf hin, dass 59 Prozent der Verbraucher2 in den letzten zwölf Monaten einen Aufpreis für Produkte aus nachhaltiger Produktion zahlten. Es hat sich auch gezeigt, dass Unternehmen mit starken ESG-Programmen die Kosten um 5 bis 10 Prozent3 durch eine Kombination aus Abfallreduzierung und niedrigeren Energiekosten in Produktion und Versand senken können. Wenn das nicht schon Motivation genug ist, um sich an Nachhaltigkeitsverpflichtungen zu halten, wird eine Reihe neuer Vorschriften, darunter das Lieferkettengesetz in Deutschland, die Unternehmen zunehmend dazu zwingen, Informationen über den CO2-Fußabdruck, die Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und die Arbeitsbedingungen ihrer Lieferanten bereitzustellen.

Kurzfristiges Denken hat uns alle in diesen Schlamassel gebracht. Eine langfristige Strategie, die Agilität, Nachhaltigkeit und Widerstandsfähigkeit als gleichberechtigte Partner behandelt, ist der einzige Weg uns da herauszuholen. Unabhängig davon, woher der Druck kommt, bleibt die grundlegende Frage für die Akteure der Lieferkette dieselbe: Mildert das System die Auswirkungen oder vergrößert es sie?

1 https://www.mckinsey.com/capabilities/operations/our-insights/future-proofing-the-supply-chain
2 https://www.ibm.com/thought-leadership/institute-business-value/report/2022-sustainability-consumer-research

3 https://www.mckinsey.com/capabilities/operations/our-insights/buying-into-a-more-sustainable-value-chain


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