Gastkommentar von Birds on Mars

Generation AI – ein neues mentales Modell für unsere Zeit

24. Juni 2025, 10:30 Uhr | Autor: Florian Dohmann / Redaktion: Diana Künstler
© metamorworks – shutterstock.com

Was bedeutet KI jenseits von Tools und Technik? Florian Dohmann von Birds on Mars fordert in seinem Gastkommentar ein neues Denken: Die „Generation AI“ steht nicht für Alter, sondern für Haltung. Ein Plädoyer für Bildung, Teilhabe und verantwortungsvolle Mitgestaltung der KI-Zukunft.

Der Beitrag befasst sich unter anderem mit folgenden Fragen:

  • Was meint „Generation AI“?
  • Warum braucht es ein neues Denkmodell?
  • Welche Rolle spielt Bildung?
  • Wo wird KI bereits sinnvoll eingesetzt?
  • Wie gelingt verantwortungsvolle KI-Nutzung?

Die Diskussion um Künstliche Intelligenz ist in vollem Gange: technologisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich. Doch während sich viele Debatten auf einzelne Tools und technische Durchbrüche konzentrieren, fehlt es oft an einer übergeordneten Perspektive. Was bedeutet KI für uns als Gesellschaft, für die Arbeitswelt, für Individuen? Mit dem Begriff „Generation AI“ schlagen wir von Birds on Mars ein neues Denkmodell vor. Eines, das über Technologie hinausgeht und den fundamentalen Wandel beschreibt, den wir alle gerade erleben.

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Generation AI: kein Altersbegriff, sondern eine gemeinsame Erfahrung

Florian Dohmann, Birds on Mars
Florian Dohmann ist Wirtschaftsinformatiker, Intelligenzarchitekt und Mitbegründer sowie Co-CEO des Berliner Unternehmens Birds on Mars, einer der ersten deutschen Beratungen und Agenturen für Daten und KI.
© Birds on Mars

„Generation AI“ klingt zunächst wie ein weiterer demografischer Stempel à la Gen Y oder Z. Doch gemeint ist etwas anderes: Wir befinden uns in einem Umbruch, der uns alle betrifft. Nicht eine bestimmte Altersgruppe steht im Zentrum, sondern jede*r, der*die diesen Wandel miterlebt, vom Kind bis zur Senior*in. KI ist dabei nicht nur Werkzeug, sondern Katalysator eines tiefgreifenden Wandels in Wissen, Arbeit, Kreativität und gesellschaftlicher Teilhabe.

Diese „Generation AI“ ist nicht durch ihr Geburtsjahr definiert, sondern durch ihre Bereitschaft zu lernen, zu verlernen und sich neugierig auf Neues einzulassen – unabhängig vom Lebensalter. Sie steht für eine Haltung, keine demografische Kategorie.

Vom Werkzeugkasten zum Denkraum

Um den Wandel der „Generation AI“ wirklich zu verstehen, reicht es nicht aus, nur auf neue Tools und Technologien zu blicken. Der Begriff beschreibt einen Denkraum, ein neues mentales Modell, das unser Verständnis von Technologie, Kreativität und Entscheidungskompetenz neu strukturiert. Die Systeme, die heute Texte schreiben, Bilder generieren oder komplexe Daten analysieren, sind Werkzeuge in einem riesigen Werkzeugkasten. Doch es ist nicht entscheidend, jedes dieser Werkzeuge zu verstehen – das ist bei der aktuellen Geschwindigkeit der Entwicklung dieser neuen Tools auch gar nicht möglich. Vielmehr geht es darum, das Prinzip dahinter zu begreifen. Welche Probleme möchten wir lösen? Welches Werkzeug passt dazu? Und wo liegen seine Grenzen?

„KI ist weit mehr als ein neues Tool. Sie ist eine Grundlagentechnologie und damit zentraler Hebel für einen fundamentalen Wandel, der unsere Entscheidungsprozesse, Wissensvermittlung und den Möglichkeitsraum für nachhaltige Innovation völlig neu definiert.“ – Florian Dohmann

Wer diesen Denkraum betritt, lernt Technologie nicht nur zu nutzen, sondern sie aktiv mitzugestalten.

Neue Formen von Wissen, Kreativität und Entscheidungen

KI verändert, wie wir Wissen erlangen, strukturieren und teilen. An die Stelle linearer Suchmaschinen tritt eine dialogische, oft kontextbasierte Wissensinteraktion. Der Zugang zu Wissen wird dynamischer, individualisierter, oft intuitiver. Gleichzeitig verschieben sich Rollen: Wissen wird weniger gespeichert als vielmehr orchestriert. Das bedeutet: Nicht das bloße Merken von Fakten steht im Vordergrund, sondern die Fähigkeit, relevantes Wissen gezielt zu finden, kritisch einzuordnen und sinnvoll zu verknüpfen. Wer diese Kompetenz beherrscht, kann Wissen als aktives Gestaltungsinstrument einsetzen – in der Bildung, in Organisationen und in der gesellschaftlichen Debatte.

Auch Kreativität erfährt eine Transformation: KI-Systeme komponieren Musik, entwerfen Mode, generieren Bilder oder schreiben Gedichte. Zwar bleibt Kreativität ein zutiefst menschlicher Prozess, doch KI erweitert die Ausdrucksmöglichkeiten und schafft neue Formen der Co-Kreation zwischen Mensch und Maschine. Gleichzeitig gewinnt die menschliche Kreativität an Bedeutung – als das, was Maschinen (noch) nicht imitieren können: Intuition, kulturelle Tiefe, emotionale Intelligenz.

Im Bereich der Entscheidungen gilt das Prinzip „Human in the Lead“. KI kann Daten analysieren, Szenarien vorschlagen, Risiken abwägen. Aber Entscheidungen müssen nachvollziehbar, verantwortbar und an gesellschaftlichen Werten ausgerichtet bleiben. Es geht primär darum, dass man die Menschen in ihren Entscheidungsfindungen unterstützt und befähigt, nicht ersetzt. Das verlangt nicht nur technisches Verständnis, sondern auch verantwortungsbewusstes Urteilsvermögen und institutionelle Rahmenbedingungen.

Bildung als Schlüsselkompetenz im KI-Zeitalter

In dieser neuen Realität wird Bildung zur kritischen Infrastruktur. Es reicht nicht aus, KI nur technisch zu verstehen. Es braucht ein umfassendes Verständnis für die Funktionsweise, die Grenzen und die gesellschaftlichen Implikationen dieser Systeme. Medienkompetenz, ethisches Denken und Gestaltungswille sind ebenso gefragt wie Datenverständnis und algorithmische Grundkenntnisse.

Hier liegt eine große Chance: KI kann helfen, Bildungsbarrieren zu überwinden, Lernprozesse zu individualisieren und Inklusion zu fördern. Jedoch müssen dafür Bildungseinrichtungen, Verwaltungen und Unternehmen gemeinsam neue Lernräume schaffen – experimentell, interdisziplinär und partizipativ.

Von der Idee zur Anwendung: zwei Beispiele aus der Praxis

Wie ein sinnvoller Einsatz von KI im öffentlichen Raum gelingen kann, zeigen zwei Projekte unserer Firma Birds on Mars exemplarisch:

  1. Quantified Trees (entwickelt zusammen mit dem CityLAB der Technologiestiftung Berlin und dem Straßen- und Grünflächenamt (SGA) Berlin-Mitte) ist ein KI-System zur bedarfsgerechten Bewässerung von Stadtbäumen. Sensoren, Wetterdaten und Machine-Learning-Modelle helfen dabei, Wasser gezielter einzusetzen und Bäume priorisiert zu bewässern. In diesem Fall leistet das KI-System einen Beitrag zur Ressourcenschonung und zum Stadtklima.
  2. Beim Abfall ABC (ein Projekt in Zusammenarbeit mit Berlin Recycling) kommt ein multimodales generatives Modell zum Einsatz. Bürger*innen können Gegenstände fotografieren und erhalten Hinweise zur korrekten Entsorgung. So wird Mülltrennung einfacher, sicherer und effizienter – mit direktem Nutzen für die Kreislaufwirtschaft.


Beide Anwendungen zeigen: Technologie allein ist nie die Lösung. Entscheidend ist die Verbindung mit realen Problemen, die Einbindung der Nutzer*innen sowie die Auswahl des passenden KI-Modells. In beiden Fällen wurden Fachabteilungen, Bürger*innen sowie Entwickler*innen frühzeitig einbezogen. So entstanden Vertrauen und ein System, das tatsächlich genutzt wird.

Verantwortung als Gestaltungsaufgabe

Vertrauen ist die Grundlage für die Akzeptanz von KI – in Organisationen, in der Gesellschaft, in der Politik. Es lässt sich nicht erzwingen, sondern muss durch Transparenz, Partizipation und klare Kommunikation aufgebaut werden. Wir dürfen Technologie nicht überhöhen, aber auch nicht dämonisieren – letztendlich entfaltet sie ihre Wirkung abhängig von der Art ihrer Nutzung durch Menschen. KI ist damit kein autonomes Subjekt. Sie ist das Ergebnis menschlicher Entscheidungen – im Design, in der Datenbasis, in der Zielsetzung.

Deshalb gehört zur Entwicklung moderner KI-Systeme auch immer die Frage: Was wollen wir mit dieser Technologie erreichen? Wem nützt sie? Wem könnte sie schaden? Wann verzichten wir bewusst auf KI, um Vertrauen zu schützen oder soziale Verantwortung wahrzunehmen?

Interdisziplinarität als Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit

Gute KI-Projekte entstehen nicht im Elfenbeinturm. Sie entstehen dort, wo Fachwissen, Technik und Organisation zusammenwirken. Bei Birds on Mars arbeiten AI Engineers, AIX Designer*innen, KI Strateg*innen, KI Produktmanager*innen und Kultur-Gestalter*innen in interdisziplinären Teams zusammen. Das ist nicht nur effizient, sondern notwendig.

Traditionelle Organisationen können hiervon viel lernen. Wer weiterhin in Silos denkt, wird die Komplexität von KI kaum meistern. Die Fähigkeit, über Disziplinen hinweg zusammenzuarbeiten, entscheidet darüber, ob eine Organisation in Zukunft noch wettbewerbsfähig ist.

Demokratie, Teilhabe und digitale Souveränität

Am Ende stellt sich eine zentrale Frage: Wer gestaltet die Zukunft der KI? Nur wenn breite Teile der Gesellschaft Zugang zu KI-Wissen, Beteiligung und Gestaltungsmöglichkeiten erhalten, kann sich diese Technologie demokratisch entfalten. Dafür braucht es transparente Infrastrukturen, interdisziplinäre Schnittstellen und den politischen Willen.

Die „Generation AI“ ist keine Elite, sondern eine Gemeinschaft. Ihr Erfolg hängt davon ab, wie inklusiv, verantwortungsvoll und vorausschauend wir Technologie nutzen – und wie wir sie in den Dienst der Gesellschaft stellen.

Ein Plädoyer für aktive Mitgestaltung

Wir stehen am Anfang einer Ära, in der KI nicht nur Technik ist, sondern Teil unserer gesellschaftlichen Infrastruktur wird. Damit sie zum Nutzen aller wirkt, müssen wir sie aktiv gestalten – technologisch, verantwortungsvoll und strategisch.

Die „Generation AI“ ist keine Zukunftsvision – sie lebt im Hier und Jetzt. Nun ist es unsere gesamtgesellschaftliche Aufgabe, diesen neuen Möglichkeitsraum im Sinne des Gemeinwohls zu gestalten.


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