Reine Service-Sache
In der IP-Konvergenz liegen erhebliche Produktivitäts- und Einsparungspotenziale. Bleibt die Frage, ob die flankierenden Managementmaßnahmen mit diesen hochkritischen Geschäftsprozessen Schritt halten.

Vor allem seitdem sich oberhalb der Netzwerkinfrastruktur Applikationen wie Unified-Communications, Telefon- und Videokonferenzen sowie Online-Collaboration zum Einsatz anbieten, wirbt das Gros der Hersteller und Dienstleister mit hohen Nutzwerten. »Theoretisch passen diese Anwendungen, die voll das Potenzial einer kombinierten Sprach-, Daten- und Videokommunikation ausschöpfen, voll ins Konzept«, konstatiert Robert Heinrich, Partner und Head of Advisory Services bei Ernst & Young. Praktisch aber bestehe weiterhin erheblicher, technischer Nachholbedarf.
Er spricht damit vor allem die Service-Managementwerkzeuge an, die in der Praxis nur mit Mühe mit den Prozessvorgaben konvergenter Applikationen Schritt halten. »Und genau die, so Heinrich, werden dringend gebraucht, um verkettete Prozesse, wie im Rahmen von Unified-Communications, oder die Synchronität von Sprache und Video, wie beim Video-Conferencing, sicherzustellen.« Dieser Service-Management-Herausforderung, so der Ernst & Young-Chefberater, sähen sich beide Seiten gegenüber: »die Unternehmen für den Fall des Eigenbetriebs ebenso wie die Provider, für den Fall, dass sie solche Applikationen hosten und als Managed-Services vorhalten.«
Uwe Welzel, Solution Principal bei HP Services, entschärft: »Es muss und es wird nicht gleich die große, multimediale Installation sein. Normalerweise wird der erste Migrationsschritt darin bestehen, auf Basis einer Voice-over-IP-Infrastruktur in Applikationen wie in eine unternehmensweite IP-Telefonie, in Telefonkonferenzen und UC aufzubrechen.« So lange nur die Telefonie mit ihrem geringen Bandbreitenbedarf über das konvergente Netz geführt werde, seien kein umfassendes Service-Management notwendig, so Welzel. Das würde gegenüber den mobilen Mitarbeitern ohnehin wenig bringen.
»Mobilfunkdienste wie UMTS können weder in puncto Stabilität noch Performance mit der Festnetzkommunikation mithalten.« Also könnten zu hohe Serviceansprüche und zu ehrgeizige SLAs zur mobilen Seite hin per Service-Management sowieso nicht durchgehalten werden. Dennoch rät er, selbst für den ersten Projektschritt den Kommunikationsbedarf genau zu analysieren und dabei auch das Kommunikationsverhalten der Mitarbeiter an Desktops, IP-Telefonen und mobilen Geräten einzubeziehen. »Denn was nutzt eine zu ehrgeizige Umsetzung von UC einschließlich Kommunikations- und Bearbeitungs-Weiterleitungsprozessen, wenn später die Mitarbeiter dadurch überfordert sind«, gibt er zu bedenken. Dann schlage die erwartete höhere Empfangsbereitschaft und Produktivität schnell ins Gegenteil um. Für eine Vereinfachung des Kommunikationsszenarios empfiehlt er, auf Providerseite auf Features wie »eine Telefonnummer für alle eingesetzten Mitarbeiter-Endgeräte« zu achten.
Für den zweiten Projektschritt, Echtzeit-Video-basierende Applikationen einzuführen, empfiehlt er den Unternehmen noch zu warten. »Erstens ist das dafür erforderliche Ende-zu-Ende-Service-Management weder in den Unternehmen noch bei den Providern in ausreichender Breite realisiert«, argumentiert er. »Zweitens müssen die Mobilfunkdienste für diesen Schritt deutlich an Verfügbarkeit und Performance zulegen. Drittens sind mobile Geräte wie Handys und PDAs mit ihren kleinen Displays nicht dafür geeignet, vollwertig an Video-Conferencing und Web-Collaboration zu partizipieren.«
Welzel sieht angesichts dieser Ausgangssituation in Unternehmen, die dennoch in Richtung Echtzeit-Video aufbrechen, weiterhin Notebooks und Tablett-PCs mit eingebauter Konferenzeinheit Dienst tun. »Mit Video-Conferencing und Web-Collaboration noch zu warten, könnte sich für die Unternehmen aus weiteren Gründen lohnen«, weiß Welzel. »Der Markt für mobile Geräte mit ihren unterschiedlichen Betriebssystemen hat seine Konsolidierung noch vor sich. Binnen der nächsten 18 Monate könnten an die Stelle von teuren Video-Installationen wesentlich kostengünstigere, softwarebasierende Lösungen wie Roundtable von Microsoft treten.« In ferner Zukunft, so Welzel weiter, könne es sein, dass nur noch portable Geräte eingesetzt werden, die einfach an den Einsatzort mitgenommen werden. Der Preisverfall und immer kostengünstigere Flatrates im Mobilfunkbereich würden diese Entwicklung einleiten.
Doch noch ist es nicht soweit. Mathias Hein, freier IT-Berater in Neuburg an der Donau, sieht viele Gründe, wieso das Service-Management in den Unternehmen wie bei den Providern nur zögerlich in die Gänge kommt. »Beide investieren zuerst in die Anwendungen. Erst danach machen sie sich Gedanken darüber, welche Management- und Abrechnungsvorkehrungen getroffen werden müssen.« In dieser Haltung würden beide, sowohl die Unternehmen als auch die Provider, von den meisten Anbietern konvergenter Applikationen bestärkt werden. »Sie verschweigen gern die erforderlichen Managementwerkzeuge, weil sie so mit ihren Modellrechnungen und ohne diese Kostenpositionen besser ankommen«, stellt Hein fest. Das dicke Ende komme nach der Installation. »Dann stellen die IT-Entscheider schnell fest, dass mit der Optimierung der Geschäftsprozesse, mit oder ohne Sprach-/Video-Integration, ohne geeignete Managementwerkzeuge wenig geht.« Auch Hein sieht mit der neuen Generation an multimedialen Anwendungen den Service-Management-Handlungsdruck in den Unternehmen wie bei den Providern steigen.
Zumal sich speziell Unified-Communications förmlich als Motor für das Geschäft erweisen könnte. »Sofern die damit verbundenen kollaborativen Prozesse stabil und hoch performant ablaufen«, schränkt Andreas Essing, Experte im Bereich Systems Integration für Kollaborationslösungen bei Siemens IT Solutions and Services, ein. Wie wichtig solche stabilen und hoch performanten kollaborativen Prozesse für die Unternehmen sind, dafür verweist er auf eine Studie von Frost & Sullivan.