Wie sich gerade schmerzhaft zeigt, ist Deutschland bei Gas und Öl stark von anderen Ländern abhängig. Bei der Digitalisierung ergibt sich ein ähnliches Bild. Dabei existieren längst Lösungen, mit denen sich Behörden und Unternehmen von den US-Konzernen loseisen könnten.
Einige Bundesländer setzen auch schon auf europäische Lösungen. Ob es bald deutlich mehr werden, hängt auch von der Digitalstrategie der neuen Bundesregierung ab.
Was die Abhängigkeit von anderen Staaten bedeuten kann, zeigt sich derzeit bei den Sanktionen gegen Russland. Eigentlich würde man gerne einen Importstopp für Gas und Öl einführen. Doch die Politik und die damit verbundenen Entscheidungen der letzten Jahrzehnte macht dies nicht ohne Weiteres möglich. Wie kaum ein anderes Land ist Deutschland von Russland abhängig. Das soll sich jetzt, da es zur absoluten Eskalation kam, ändern.
In anderen Bereichen ist Deutschland ebenfalls stark von anderen Ländern abhängig – nicht zuletzt in der IT. „Die bittere Erkenntnis, dass nationale Selbstbestimmung und territoriale Integrität auch in Europa keine Selbstverständlichkeit sind, führt zwangsläufig zu Fragen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die im Kern auch digitale Fragen sind“, warnt Bitkom-Präsident Achim Berg. Deutschland müsse souveräner und resilienter werden und unter anderem die eigenen Kommunikationsnetze und kritischen Infrastrukturen gegen Cyber-Angriffe wappnen. „Einseitige Abhängigkeiten haben uns verwundbar und erpressbar gemacht“, so Berg.
Selbst in Europa sei Deutschland nur digitales Mittelmaß, mahnt der Bitkom-Chef. Global wachse der Rückstand zu Vorreitern wie den USA immer mehr und Staaten wie Dänemark seien Deutschland in zentralen Feldern der Digitalpolitik sogar bis zu 20 Jahre voraus. „Das gilt zum Beispiel für die Digitalisierung der Schulen und des Gesundheitswesens oder für die digitale Verwaltung und elektronische Identitäten“, nennt Berg Beispiele.
Das Problem ist jedoch, dass Deutschland, ähnlich wie beim Gas und Öl aus Russland, zurzeit stark von anderen abhängig ist. Bei der Digitalisierung sind es allerdings die großen IT-Riesen vor allem aus den USA, die bestimmen, was geht – und was nicht. Langsam setzt allerdings ein Umdenken ein bei einigen deutschen Behörden und Unternehmen. Und so werden bereits in einigen Bundesländern etwa im Schulwesen europäische Lösungen eingesetzt, die auf quelloffenem Code basieren, sprich: Open Source. „Open Source Software ist die Grundlage für digitale Souveränität, denn sie stellt sicher, dass die Systeme, die in Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft verwendet werden, überprüfbar, gestaltbar und ersetzbar sind“, benennt die OSB Alliance einige der Vorteile von Open-Source-Lösungen. „Der Einflussnahme Dritter auf unsere IT-Systeme durch die Kontrolle von Schnittstellen oder durch das gezielte Einschleusen von Schadsoftware sowie der generellen Abhängigkeit von einzelnen Anbietern wird so vorgebeugt.“
Noch sind allerdings viele Unternehmen und auch öffentliche Einrichtungen von Microsoft und anderen IT-Konzernen abhängig, die über Jahrzehnte den Markt bestimmt haben. Wenn Microsoft, wie angekündigt, ab 2025 ausschließlich Cloud-basierte Bereitstellungsmodelle anbietet, werden alle Anwender in die Microsoft-Cloud gezwungen. So landen dann auch mitunter äußerst sensible Daten von Bürgern und Kunden beim US-Unternehmen – ob man dies als Schüler, Patient oder Endkunde will oder nicht, macht dann de facto keinen Unterschied mehr.
„Einige wenige US-Unternehmen besitzen zurzeit gewissermaßen eine Monopolstellung in Deutschland“, schildert Frank Hoberg, Mitgründer vom Open-Source-Lösungsanbieter Open-Xchange, die aktuelle Situation. „Umso wichtiger ist es, diesen Zustand zu ändern, bevor deutsche Behörden, Schulen und Unternehmen bei der Digitalisierung in einer Sackgasse landen, in der sie keine Kontrolle über ihre Lösungen und Daten und ihre digitale Kommunikation mehr haben“, warnt Frank Hoberg.
Open-Xchange möchte hier Teil der Lösung sein – und ist es schon. Denn im Zusammenschluss mit anderen europäischen Open-Source-Anbietern hat das deutsche Unternehmen Dataport mit der „Phoenix“ eine Suite entwickelt, bei der die E-Mail, Kalender und Kontakt-Komponente von Open-Xchange stammt. Zusätzlich umfasst die Suite auch Komponenten wie Textverarbeitung, Chat und Videokonferenzen, die von anderen Open-Source-Lösungsanbietern entwickelt wurden. Letztlich können öffentliche Einrichtungen wie Behörden und Schulen somit auf einen vollständigen Arbeitsplatz mit allen Anwendungen für die digitale Zusammenarbeit zugreifen. Die Kontrolle liegt dank Open Source dabei komplett beim Anwender.
Somit gibt es also bereits jetzt Alternativen zu Microsoft – bei der sensible Daten bei Bedarf auch zukünftig im eigenen Rechenzentrum abgespeichert werden können. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass die Suite von Dataport in einem deutschen Rechenzentrum gehostet wird. Einige Bundesländer wie Schleswig-Holstein nutzen das Angebot bereits.
Um wirklich unabhängig von anderen Ländern zu werden, müssen allerdings noch deutlich mehr Behörden und Unternehmen umdenken. So sieht man es auch beim Bitkom-Verband. „Wichtig ist jetzt, dass alle Ressorts in digitalpolitischen Belangen an einem Strang ziehen, dem Digitalministerium dabei eine führende Rolle zubilligen und schnell Ergebnisse liefern“, fordert Achim Berg. Seine Hoffnung – und die vieler anderer – liegt dabei auch auf der neuen Bundesregierung, die derzeit an einer Digitalstrategie arbeitet. Ob Deutschland künftig unabhängiger von anderen Ländern sein wird, entscheidet sich zurzeit also in nicht unwesentlichem Ausmaß in den Hinterzimmern der Politik.
Tillmann Braun, freier Redakteur