Veränderungen im Markt für Netzwerkinfrastruktur sind auch bei den großen Mobilfunkkonzernen zu spüren. Doch die Telekommunikationsunternehmen können sich hierbei freier bewegen, wenn sie von proprietären Systemen auf ein offenes Ökosystem umsteigen.
Die deutschen Mobilfunkkonzerne haben erhebliche Summen in die Ersteigerung ihrer 5G-Mobilfunkfrequenzen investiert. Jetzt möchten sie 5G monetarisieren, um die nötigen Kapitalrenditen zu erzielen ¬– und sind dabei zwingend auf Innovationen angewiesen. Der herkömmliche Markt für Netzwerkausrüstung kann sie wegen der Konsolidierung der vergangenen Jahre dabei aber oft nicht optimal unterstützen. Manche Unternehmen haben sich aus strategischen Gründen aus diesem Segment zurückgezogen, andere Anbieter sind sogar ganz vom Markt verschwunden.
Zudem ist fraglich, ob künftig noch Technologien von chinesischen Herstellern wie Huawei und ZTE eingesetzt werden können. In den USA sowie in Großbritannien besteht aufgrund von Sicherheitsbedenken bereits ein Bann gegen die beiden Netzwerkausrüster. Auch die Bundesregierung scheint immer wieder zu überlegen, dass kritische Bauteile dieser Ausrüster künftig nicht mehr im deutschen 5G-Netzwerk verbaut werden. So oder so existieren nur einige wenige klassische Anbieter von Netzwerktechnologie, die in der Lage sind, Mobilfunkbetreiber im größeren Stil mit Netzwerktechnologie auszurüsten. Innovation lebt aber nun einmal von einem wettbewerbsintensiven Umfeld mit möglichst vielen Playern.
Ein offenes Ökosystem für Telekommunikation kann hierbei eine Alternative für die Mobilfunkkonzerne liefern. Bei herkömmlicher Netzwerkausrüstung handelt es sich um proprietäre Technologien, die Netzwerkfunktionen mit Appliances ausführen, also Systemen, bei denen Hard- und Software vom selben Hersteller stammen und untrennbar miteinander verbunden sind. Vor einigen Jahren begann sich allerdings ein Ökosystem zu etablieren, das diese Trennung aufhebt. Dieses Ökosystem basiert auf Virtualisierung, welche die Software für die Ausführung der Netzwerkfunktionen von der darunterliegenden Hardware entkoppelt. Dadurch ist es möglich, TK-Software von beliebigen Herstellern auf Standard-Hardwaresystemen zu betreiben, die auch in der normalen Unternehmens-IT zum Einsatz kommen.
Dieser Ansatz senkt nicht nur die Kosten für die Netzwerkbetreiber, sondern erleichtert auch neuen Anbietern den Eintritt in den TK-Markt erheblich und schafft damit ein innovationsfreudiges Umfeld. So bieten inzwischen nicht nur die Branchengrößen Ericcson und Nokia spezielle 5G-Applikationen für den Einsatz auf Standardhardware an, sondern auch Unternehmen wie Samsung oder ganz neue Player und Start-ups wie etwa der US-amerikanische TK-Software-Provider Mavenir.
IT-Infrastruktur-Anbieter wiederum haben ihre Hardware gezielt an die spezifischen Anforderungen von Netzbetreibern angepasst und etwa ihre Server so gestaltet, dass sie der Kälte in Funktürmen widerstehen können und sich auch in engen Räumen gut unterbringen lassen. Zudem haben Anbieter gemeinsam mit Virtualisierungsspezialisten wie VMware, Red Hat oder Windriver vorgetestete und validierte Infrastruktur-Komplettlösungen für die Telekommunikation geschaffen, die sich vom Rechenzentrum über den Edge bis hin zum Funkzugangsnetz (Radio Access Network, RAN) erstrecken. In speziellen Labs können Mobilfunkunternehmen dabei ihre individuell gewünschten Kombinationen aus Hardware und Software härten lassen.
Eine besondere Bedeutung innerhalb des offenen TK-Ökosystems hat Open Radio Access Network (Open RAN). Damit 5G die versprochenen Leistungsverbesserungen erzielen kann, sind deutlich mehr Funkzellenstandorte erforderlich als bei den bisherigen Mobilfunk-Architekturen – und das Technologiekonzept Open RAN vollzieht die Aufspaltung der traditionellen proprietären Systeme in eben diesen Funkzellen.
Organisationen wie die O-RAN Alliance und das Telecom Infra Project definieren gemeinsam mit den großen Mobilfunkkonzernen offene Standards, die es den Netzbetreibern ermöglichen, in ihren Funkzellen Antennen, Software und Server verschiedener Hersteller miteinander zu kombinieren. Dadurch werden auch in diesem wichtigen Bereich die Einstiegshürden für kleinere und neue Marktteilnehmer deutlich gesenkt. Es können vielfältige neue Angebote entstehen, die es den Netzbetreibern erlauben, ihre Effizienz zu steigern, ihre Kosten zu senken und ihren Kunden viel flexibler individuelle und innovative Services bereitzustellen.
Wie dieses Ökosystem Mobilfunkunternehmen dabei helfen kann, 5G zu monetarisieren, zeigt unter anderem das Beispiel der SK Telecom. Der südkoreanische Netzwerkbetreiber brachte eine auf 5G basierende Mobile-Edge-Computing-Lösung auf den Markt. Die Lösung ermöglicht es Organisationen, private 5G-Netzwerke etwa für Smart Factories einzurichten. Durch den Einsatz der 5G-Mobile-Edge-Computing-Lösung können Unternehmen Daten, die in ihren Fabriken entstehen, direkt vor Ort analysieren und weiterverarbeiten. Sie müssen sie dazu nicht mit einem zentralen, weit entfernten Rechenzentrum austauschen und profitieren dadurch von geringeren Latenzzeiten, weniger Fehlern bei der Datenübertragung sowie einer optimierten Effizienz und Stabilität des Netzwerks. Die SK Telecom bietet ergänzend zu ihrer Lösung außerdem auch Ende-zu-Ende-Services für Beratung, Bereitstellung und Wartung der Infrastruktur an.
Chris Kramar ist Managing Director OEM Solutions DACH bei Dell Technologies