Der digitale Zwilling repliziert und visualisiert die dokumentierten Objekte zum Beispiel als georeferenzierte, schematische, tabellarische oder grafische 3D-Darstellungen aller relevanten Infrastruktur- und Ressourcendetails. Dazu sind bestimmte Funktionen erforderlich, die teilweise bereits in der Dokumentationslösung enthalten sein können, etwa Geokarten, 3D-Animationen sowie Analyse- und Simulationsfunktionen. Mit ihrer Hilfe lassen sich Darstellungen erzeugen, die die komplexen Infrastrukturen realitätsgetreu abbilden und künftige Szenarien, Changes, Planungen, Kapazitäten etc. berechnen und abbilden können.
Anwendungsbeispiel Rechenzentrum
Betreiber von Rechenzentren können anhand des digitalen Zwillings die optimale und energieeffizienteste Bestückung ihrer Racks und Einheiten errechnen. Sie können nicht nur jederzeit ablesen, wo noch Kapazitäten frei sind. Der Zwilling liefert ihnen auch Prognosen, wo sich in nächster Zeit Engpässe entwickeln könnten und jetzt schon Handlungsbedarf besteht – beispielsweise wenn der fortschreitende Server-Ausbau die Stromversorgung oder die Klimaanlage im Rechenzentrum zu überlasten droht. Dabei zeigt die Simulation auch auf, ob die Kühlleistung ausreicht, genügend Raum für Kabelstränge vorhanden ist und zum Beispiel Switches mit freien Ports zur Verfügung stehen, ohne dass sich zur Planung ein Mitarbeitender vor Ort begeben muss.
Fehlen Komponenten, kann der digitale Zwilling automatisch eine Liste der benötigen Hardware, Kabel etc. generieren und bei Bedarf auch in digitaler Form an den Einkauf weitergeben. Er liefert detaillierte Anweisungen für Dienstleister vor Ort, die die geplanten Erweiterungen oder Veränderungen vornehmen sollen. Dabei ist das System in der Lage, dank 3D-Darstellungen exakte Hinweise für den spezifischen Einsatzort zu erzeugen und dem technischen Personal vor Ort an die richtige Stelle zu navigieren. Die Aufträge an die Dienstleister selbst lassen sich per Workflow- und Arbeitsauftrags-Management direkt in der Dokumentationslösung erzeugen und verarbeiten. Dies hat den großen Vorteil, dass sich die im digitalen Zwilling geplanten Änderungen nach Ausführung direkt ins „echte“ System transferieren lassen. Mit einem Klick wird der geplante Soll-Zustand so zum neuen Ist-Zustand. Eine nachträgliche manuelle Erfassung der eingebauten Komponenten entfällt.
Ein weiteres Szenario, bei dem der digitale Zwilling gut zum Einsatz kommen kann, ist der Ausbau eines mobilen Netzwerks. Im digitalen Zwilling lassen sich alle aktuellen mobilen Standorte inklusive der Fronthaul-Verbindungen zu den Edge-Rechenzentren sowie Mid- und Backhaul-Verbindungen zum Core-Rechenzentrum detailliert abbilden – zum Beispiel durch eine georeferenzierte Karte.
Aus der Vogelperspektive können Planer dann in einzelne Standorte zoomen und zusätzliche Standortinformationen finden, die auf einer Vielzahl von verschiedenen Hintergrundkarten basieren und sich auch mit Standortfotos etc. anreichern lassen. Auch die Rechenzentren inklusive ihrer physischen und virtuellen Komponenten sowie deren Abhängigkeiten untereinander lassen sich im digitalen Zwilling realitätsgetreu abbilden, wahlweise sogar als interaktive 3D-Modelle. Diese Daten und Visualisierungen helfen Anbietern, einen Netzausbauplan zu erstellen. Dazu benötigen sie zudem präzise Last- und Kapazitätsinformationen, um den Bedarf genau einzuschätzen und die Infrastruktur proaktiv ausbauen zu können.
Ein digitaler Zwilling kann diese Daten liefern. Er kann die verfügbaren Ressourcen analysieren und dann die entsprechenden Anpassungen planen, um die Bereitstellung von Diensten unterbrechungsfrei aufrechtzuerhalten. Er hilft auch dabei, ungenutzte Kapazitäten zu identifizieren – dank einer genauen Inventarisierung der Netzwerkressourcen, der Verfolgung aller Änderungen und deren Auswirkungen auf die Kapazitäten.
Fazit
Damit Unternehmen, Telekommunikations- und Rechenzentrumsbetreiber sowie Behörden von einem digitalen Zwilling profitieren können, müssen sie zunächst ihre Infrastrukturen oder Objekte, die digital repliziert werden sollen, umfassend dokumentieren. Diese Aufgabe ist keinesfalls trivial. Sie erfordert Zeit und Know-how sowie ein Dokumentations-Tool, das über entsprechende Funktionalitäten für die Analyse, Visualisierung sowie über ein Workflow- und Prozess-Management verfügt. Ist dies jedoch einmal vorhanden und halten sie streng am Closed-Loop-Prinzip fest, eröffnen die neu generierten digitalen Zwillinge viele Möglichkeiten, die die Analyse, Planung und Umsetzung in verschiedensten Infrastrukturbereichen wesentlich erleichtern.
Patrick Büch ist VP Products, Head of Product & Design bei FNT Software.